Kommentar:Es war einmal ein Volkssport

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SZ-Zeichnung

Wengen. Kitzbühel. Wenn die großen Rennen anstehen, ist in der Schweiz und in Österreich immer noch viel los. Ansonsten aber merken die beiden Nationen, wie sehr auch der Skisport gerade einem Wandel unterliegt.

Von Johannes Knuth

Das Budget: 6,5 Millionen Euro. 1,6 Millionen vor dem Fernseher, allein in Österreich, einem Land mit etwas mehr als acht Millionen Einwohnern. 50 000, die am Samstag die Skirennfahrer am Fuß des Hahnenkamms empfangen. 700 Hummer, 600 kg Fisch, 500 Kilo Uruguay-Rind, die sie im VIP-Zelt auftischen, ein Zelt so groß wie ein kleines Einkaufszentrum. 1000 Prominente (oder solche, die sich für prominent halten). 16 Bodyguards, die auf Österreichs Säulenheiligen Arnold Schwarzenegger aufpassen, der mit dem Helikopter einfliegen wird. Es sind beeindruckende Zahlen, mit denen sie am Wochenende ihre Abfahrt in Kitzbühel anreichern, mit denen sie das Bild der Skination Österreich malen. Und noch beeindruckender ist es, wenn man spürt, wie tief die Wurzeln der Verbundenheit in Kitzbühel reichen. Oder wie Sicherheitschef Sepp Wurzenrainer stellvertretend befindet: "Die Streif ist ein Teil von mir."

Es sind die Tage der Abfahrtsklassiker in Wengen und Kitzbühel, es sind die Tage, in denen die selbsternannten Skinationen Schweiz und Österreich wieder Skinationen sind. Sie waten gerade durch ein Meer an Verletzungen, aber irgendeiner klettert dann doch aufs Podest, am Freitag im Super-G war es Österreichs Hannes Reichelt (neben Sieger Aksel Lund Svindal/Norwegen und dem Zweiten Andrew Weibrecht/USA). Aber sonst?

Vor 30 Jahren fuhr halb Österreich Ski. Heute ist es laut Studien ein Drittel; gar nur fünf Prozent der Österreicher sind regelmäßig aktiv, also öfters als ein, zwei Mal pro Winter. Die Skigebiete expandieren, Super-Skigebiete spannen Gondeln über Täler und verbinden sich mit anderen Super-Premium-Gebieten zu Super-Mega-Premium-Ski-Arenen. Die Gäste kommen, aber sie kommen eben öfters aus Russland, Japan und den USA, nicht aus Annaberg oder Hinterglemm. Die kleineren Lifte im Tal, an denen viele Hochbegabte von heute früher lernten, haben es zunehmend schwer, auch, weil der Klima-Umschwung Schnee und Kälte aus tieferliegenden Regionen treibt.

In der Schweiz wird ein Skisport kultiviert, der sich abschottet

Ach ja, Klimawandel, ist das nicht das Phänomen, das ÖSV-Sonnenkönig Peter Schröcksnadel für eine Erfindung hält? Der Nachwuchs findet jedenfalls immer seltener den Weg in den Schnee. Die Schul-Ski-Ferien haben sie in Österreich bereits Mitte der 90er Jahre gestrichen. Skifahren ist teuer, aber das war es auch in den 1970er-Jahren. Heute wählt der Nachwuchs halt aus einem größeren Freizeitangebot. Und er wählt immer seltener das Skifahren. "Wir jubeln und wir freuen uns, aber deswegen kauft sich am Montag keiner mehr ein Paar Ski", stellten die Salzburger Nachrichten unlängst fest. Der Volkssport, den jeder jederzeit schaute, ausübte, irgendwie im Herzen trug, verwandelt sich in den Skinationen gerade in einen Fernsehsport.

Auch in der Schweiz, beim ewigen Rivalen. Hier kultivieren sie einen Skisport, der sich abschottet, der aus seiner Tradition Kraft zieht und sich gleichzeitig schwächt. 50 Prozent aller Schweizer Kinder unter 15 Jahren sind laut aktuellen Statistiken Kinder von Migranten, die meisten kamen aus Ländern ohne Verflechtung zum Skisport. Und finden nun selten in ihn hinein. "Die Skination Schweiz lebt viel mehr von Legenden und Mythen", schrieb die NZZ. Die Fußball- nation Schweiz dagegen akzeptiere, mehr oder weniger, andere Einflüsse und profitiere von Migration. Die Skinationen werden wohl nur fortbestehen, wenn sie auch diejenigen in den Schnee bringen, die den Sport am wenigsten in ihren Herzen tragen. Zur kommenden Fußball-EM schicken Schweizer und Österreicher übrigens hochbegabte Mannschaften.

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