Kommentar:Die allerletzte Sphäre

Drei sind einer zu viel: Federer ist der Edelmann, Nadal der Kämpfer. Die Finalisten von Melbourne sind zurecht die Pop-Stars der Tennis-Welt.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Wenn Roger Federer und Rafael Nadal an diesem Sonntag ihr Finale der Australian Open ab 19.30 Uhr (9.30 MEZ, live auf Eurosport) aufnehmen, kann es sein, dass Melbourne zwei, drei, vier Stunden wie ein Überschallflugzeug abhebt vor bebendem Lärm. Roger und Rafa, diese beiden Protagonisten aus der Schweiz und aus Spanien, stehen in der Hierarchiepyramide des Welttennis an der Spitze, danach kommen Andy Murray und Novak Djokovic, dann Stan Wawrinka, dann Spieler wie Milos Raonic, Kei Nishikori und Gaël Monfils, dann Jüngere wie Dominic Thiem und Grigor Dimitrov und Nick Kyrgios und dann die #nextGen mit Teenagern wie Alexander Zverev - und dann der Rest. Normalerweise werden in den Stadien die Außenseiter in ihren Matches oft stärker angefeuert und beklatscht, man will gutes, ausgeglichenes, umkämpftes Tennis sehen. Wenn Roger und Rafa spielen, wollen die Menschen, dass Roger und Rafa gewinnen. Vielleicht nicht immer zu 100 Prozent. Aber doch so zu 99,8 bis 99,9 Prozent.

Warum das so ist? Natürlich machen sie ihre außergewöhnlichen Erfolge anfällig für eine Führungsrolle, aber Titel in Wimbledon, Paris, New York oder wie gerade in Melbourne zu gewinnen, ist nicht der einzige Grund, warum jemand im Tennis bewundert oder gar geliebt wird. Djokovic ist das beste Beispiel dafür, dass Federer und Nadal in dieser Epoche, in dieser Generation nicht mehr einzuholen sind. Egal was der Serbe bis zum vergangenen Sommer drei Jahre lang gewann, wie viele Späße er abseits der Arenen machte, wie höflich, intelligent und sprachbegabt er sich über Länder, Kulturen, Fans und Kollegen äußerte - er konnte nie in diese allerletzte Sphäre aufsteigen, die ihm vielleicht auch gebühren sollte. Er hat nur ein Problem. Oder besser zwei. Er ist nicht Roger. Er ist nicht Rafa.

Vielleicht entsteht am Sonntag ein Moment für die Ewigkeit

2015 im Endspiel von Wimbledon wurde diese minimale, aber doch gravierende Diskrepanz auf bizarre Weise ersichtlich. Djokovic spielte, damals noch mit Boris Becker an seiner Seite als Trainer, sein allerbestes Tennis. Präzise wie ein Chirurg, geschmeidig wie ein Luchs, athletisch wie ein Zehnkämpfer. Und doch kassierte er Pfiffe und auch Buhrufe. Weil 99,8 oder 99,9 Prozent - und in der Royal Box wahrscheinlich 110 Prozent - seinen Gegner eben siegen sehen wollten. Federer verlor. Gotteslästerung beging damit Djokovic. Das wurde ihm nicht verziehen.

Nur um das fairerweise zu betonen: Djokovic hat auch seine gewaltige Anhängerschaft. Aber die beiden Pole Positionen sind leider schon besetzt, und Federer wie Nadal decken zu viele Aspekte, die die Fans an ihren Helden schätzen, ab, um dazwischenfunken zu können. Wie in der Liebe gilt: Drei sind einer zu viel. Federer besetzt das Image des Edelmannes, der weltgewandt und federleicht über den Dingen schwebt. Seine Tennistechnik wirkt wie die reine Perfektion; wenn Michelangelo eine Skulptur eines makellosen Schlages anfertigen hätte sollen, wäre er an der Rückhand von Federer nicht vorbeigekommen. Kein Profi steht für mehr Ästhetik. Dass er den Titel Maestro oft erhält, ist zwar etwas abgedroschen. Aber er transportiert vieles von dem, für das Federer steht. Übrigens, was nicht immer wahrgenommen wird: Federer kann herrlich sarkastisch sein. Aber selbst das kommt bei ihm stets verpackt mit dem Charme eines George Clooney rüber.

Nadal steht für einen völlig entgegengesetzten Typus, bei ihm transportiert das allein der Name "Rrrrrrraaaaffffaaa", den der Stadionsprecher in Melbourne stets ruft, wenn Nadal auf den Platz kommt. Das Kernige, Robuste, bedingungslos Kämpferische prägt sein Image, und wenn er antritt, wissen alle: Nadal ist Nadal, der wird immer seine Marotten haben, sich die Getränkeflaschen aus Aberglauben immer krankhaft pedantisch hindrehen, immer von Zweifeln reden, die ihn antreiben, nie davon reden, besser zu sein als andere - und dann geht er auf den Court und ist der ewige Matador. Das erkennen die Menschen an, und selbst dass er schon manches Mal mit sehr speziellen medizinischen Behandlungsmethoden auffällig wurde, wenn er mal wieder Kniebeschwerden hatte, kratzte nie an dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hat.

Wenn Roger Federer und Rafael Nadal an diesem Sonntag also ihr Finale der Australian Open spielen, ist das wie eine Messe. Und weil der 17-malige Grand-Slam-Sieger Federer schon 35 ist und der 14-malige Grand-Slam-Sieger Nadal auch schon 30, ahnen alle: Vielleicht entsteht ein Moment für die Ewigkeit, vielleicht ist es das letzte Mal, dass das Schicksal diese beiden für das letzte Duell eines Grand Slams zusammengeführt hat.

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