Kommentar:Der Verschleiß hat seinen Preis

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Die Generation Hambüchen eröffnete dem deutschen Turnen viele Möglichkeiten. Doch der nächste Aufschwung wird dauern.

Von Volker Kreisl

Der Aufstieg vor 15 Jahren war rasant. Eben noch kämpfte eine desillusionierte Teamleitung mit dem Mangel an Turn-Talenten, da machte sich ein neuer Bundestrainer ans Werk, und in Wetzlar entpuppte sich Fabian Hambüchen zum frühreifen Weltklasseturner. Weitere Hochbegabte waren von den plötzlich reellen Medaillenaussichten begeistert - und auch davon, später ein Leben als Turner in Trainingshallen und in Teamhotels zu führen. Aber weil Turnen den Körper stark verschleißt, geht es in die andere Richtung auch recht schnell, und nun ist das Erfolgsteam des Deutschen Turner-Bundes wieder abgestiegen.

Die WM in Glasgow hat bestätigt, was schon seit längerer Zeit feststeht. Sie brachte eine Bronzemedaille für Balkenturnerin Pauline Schäfer, ansonsten Ernüchterung. Dass zum Abschluss sowohl Hambüchen als auch Andreas Bretschneider am Reck scheiterten, passte in die allgemeine Lage. Die Männer-Riege ist abgestiegen aus der obersten Weltspitze. Die Top-Nationen präsentieren 18- bis 20-Jährige wie zum Beispiel den Amerikaner Donnell Whittenburg oder den Briten Max Whitlock - eine Generation, die dem deutschen Team fehlt. Deswegen wird es so schnell nicht zurückkehren unter die Besten, auch wenn bei Olympia in Rio ein paar Einzelmedaillen herausspringen sollten. Die Frauenmannschaft des zweitgrößten deutschen Sportverbandes hat mehr Potenzial, der nächste Aufschwung des Männerteams aber wird dauern.

Weil statistisch jedem Nationalverband ein Talent wie Uchimura (Japan), Simone Biles (USA) oder Hambüchen grob alle 100 Jahre in den Schoß fällt, bleibt nur der systematische und konventionelle Neuaufbau. Im Turnen dauert sowieso alles länger. Für das komplizierte Zusammenspiel von Muskelaufbau, Körperdehnung, Schnelligkeit und schwieriger Bewegungstechnik braucht jeder Schüler seinen eigenen Plan. Und der funktioniert auch nur, wenn die Vereins- und Landestrainer in der von Sportmanagern sogenannten Fläche gut geschult sind. Ohnehin kommt vielen jungen Turnern in der Pubertät die Lust abhanden, in einer Halle für eine ungewisse Zukunft täglich drei Stunden zu schuften. Während an der Spitze Medaillen geholt wurden, gelang es kaum noch, aussichtsreiche Zwölf- bis 14-Jährige für eine Laufbahn zu begeistern.

Der DTB will von 2017 an nach dem Vorbild der Schweizer und der Briten Entwicklungstrainer anstellen, deren Aufgabe es sein wird, die Jungs im kritischen Alter zu finden, sie zu begleiten und auch zu überreden. Die Generation Hambüchen war ein Vorbild und eröffnete viele Möglichkeiten. Die Verantwortlichen haben sie lange liegen lassen.

© SZ vom 03.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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