Kommentar:Der doppelte König

Nachdem Hannover 96 erst Trainer Tayfun Korkut entlassen hatte, wird die Versöhnung mit den eigenen Ultras verkündet. Das zeigt: Einen Trainer kann man entlassen, Fans dagegen nicht. Die Stimme des Publikums hat Kraft.

Von Thomas Hahn

Hannover 96 ist nicht das größte Theaterhaus des hiesigen Fußballbetriebs. Umso beachtlicher ist es, was der Klub jetzt zur Aufführung gebracht hat: zwei grundverschiedene Sportdramen mit Nachrichtenwert an einem Montag. Eine Trennungsgeschichte um den glücklosen Coach Tayfun Korkut. Und eine Versöhnungsgeschichte nach ausführlichen Verhandlungen mit den eigenen Ultras, um sie in Zeiten des Abstiegskampfs wieder zurück ins Boot zu holen. Was man daraus lernt? Einen Trainer kann man entlassen, Fans dagegen nicht. Die Stimme des Publikums hat Kraft, der Coach hingegen bleibt der dienstbare Geist, den man je nach Punktekontostand feiert oder feuert.

Vielleicht ist das sogar ein Symptom des modernen Kommerzfußballs, dass der Fan Gehör findet bei den Marketendern der großen Klubs. Der Fan ist schließlich nicht nur Kunde, er prägt das Produkt mit seiner Hingabe, seinen Gesängen, seinen Farben und Choreografien. Wer einträgliche Fußballpolitik machen will, kann sie nicht am Fan vorbei durchdrücken, denn der Fan ist in doppelter Hinsicht König, Ticketkäufer und Herr über die Atmosphäre im Stadion. Der Rückhalt der Fans ist ein Faktor im Sportgeschäft. So abgezockt ist kein Profi, als dass er ausblenden könnte, wenn ihn bei den Heimspielen keiner mehr anfeuert. Die Fans investieren die Gefühle, die ein Klub in einem hochemotionalen Gewerbe braucht. Dass Hannover 96 so weit unten in der Tabelle steht, hat auch damit zu tun, dass auf den Rängen zuletzt keine Leidenschaft mehr lebte, die die Spieler hätte anstecken können.

Hannovers Streit mit den Ultras ist ein Lehrstück für jeden Liga-Klub und eine Mahnung für Fußball-Geschäfts- leute. 96-Präsident Martin Kind hat versucht, ein paar Auswüchse des Fan-Kults zu zähmen, manche Entscheidung ist aus der Distanz durchaus nachvollziehbar gewesen. Allerdings hat er sie so sehr von oben herab verfügt, dass sich die zahlenden Helfer übergangen fühlten. Die Rache der Ultras mag überzogen gewesen sein, aber sie zeigte Wirkung, und am Schluss hat der machtbewusste Kind einlenken müssen.

Der größte Verlierer bei der Geschichte ist allerdings der entlassene Korkut. Er hatte ein Team anzuleiten, das ohne seine lautesten Fans auskommen musste. Kein Trainer der Welt kann einen solchen Ausfall auf Dauer wettmachen.

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