Behindertensport:Deutschland sollte von London lernen

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Einer der erfolgreichsten paralympischen Athleten der Welt: der Brite Richard Whitehead, hier bei seinem Sieg über 100 Meter bei der Para-WM in London. (Foto: Action Plus Sports Images)

Die Stadt an der Themse gilt als Mekka des Behindertensports, Athleten erfahren dort eine ganz andere Wertschätzung als in Deutschland. Es wäre nicht so schwer, sich daran ein Beispiel zu nehmen.

Kommentar von Sebastian Fischer

Neulich war ein Supermensch zu Besuch, aber keiner hat's gemerkt. Richard Whitehead war in Leverkusen, er ist jedes Jahr da, für das Integrative Sportfest des TSV Bayer 04. Whitehead, 41, ist von Beruf Sprinter, er ist einer der erfolgreichsten paralympischen Athleten der Welt. Und in seiner Heimat Großbritannien war er vor den Paralympics 2012 Teil der bekannten "Superhumans"-Kampagne, in der Athleten mit Handicap als Helden mit Superkraft gezeichnet wurden. Whitehead also spazierte auf seinen Prothesen zwischen Wurst- und Bierstand ziemlich unbehelligt, so richtig viele Zuschauer waren auch nicht da.

Ein Blick nach Großbritannien. Dort sind am vergangenen Wochenende die Weltmeisterschaften der paralympischen Leichtathleten zu Ende gegangen. Dort könnte Whitehead wohl keine Wurst essen, ohne auf seine Titel angesprochen zu werden, ein paar hat er auch mit 41 seiner Liste noch hinzugefügt. Gleiches gilt dort auch für Sportler wie den beidseitig amputierten Sprinter Johannes Floors, den Weltmeister über 400 Meter und 200 Meter und mit der 4x100-Meter Staffel, den besten Deutschen, den Aufsteiger der WM in London. Er wird von den Briten bereits "Kronprinz" genannt.

Wer mit den Athleten über die Veranstaltung im Queen Elizabeth Olympic Park spricht, über die Euphorie der Leute, die Stimmung, der hört sie ausnahmslos schwärmen. "Mekka des Behindertensports" hat der deutsche Kugelstoßer Niko Kappel London genannt, der mit Weltrekordweite Gold gewann. Wenn Floors und Kappel nun in die Heimat zurückfliegen, muss es sich für sie ein wenig so anfühlen wie für Pianisten, die sich nach famosen Konzerten in der Carnegie Hall unerkannt in die New Yorker U-Bahn setzen.

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Von Sebastian Fischer

Ein ziemlich gut gefülltes Stadion

Ist das schlimm? Ein Sportpublikum sucht sich seinen Sport immer noch selbst aus. So wie den paralympischen Leichtathleten würde es in einem deutschen Supermarkt auch Baseballern, Cricket- oder Rugby-Spielern von Weltklasse gehen - sie könnten in Ruhe einkaufen. Bei der Wertschätzung von Behindertensportlern geht es, wenn man das Thema ernst nimmt, auch um Inklusion. Doch Fans lassen sich nicht mit dem Zeigefinger delegieren. Trotzdem lohnt der Blick nach London, in das ziemlich gut gefüllte Stadion bei den hierzulande eher ignorierten Weltmeisterschaften.

In Zeiten, in denen Olympische (und Paralympische) Spiele vor allem Ruinen, Schulden und wütende Bürger hinterlassen, ist den Briten seit den Spielen 2012 ein nachhaltiges Vermächtnis gelungen. Kinder rufen die Namen der Sportler, ihrer "Superhumans". Sie bekommen diese Namen in einer auf Anerkennung und nicht auf Mitleid ausgerichteten Sprache beigebracht. Die aus Deutschland angereisten Funktionäre schauen voller Anerkennung auch auf den Organisationsapparat, auf Kampfrichter und Trainer, die es in Deutschland längst nicht so zahlreich für den Behindertensport gibt.

Erst mit zwei Wochen Abstand läuft Usain Bolt

Es geht dabei nicht nur um Geld; es ist auch der Wille aller Beteiligten, der in Großbritannien groß zu sein scheint. Prinz Harry zum Beispiel warb für die Para-WM. Und die Idee, die WM der Behinderten zwei Wochen vor der WM der Nichtbehinderten auszurichten, so dass für die Leichtathletik-Fans keine Sättigungsgefahr entsteht, hatten sie in London auch als Erste. Überall werden die Veranstaltungen gemeinsam als "Summer of World Athletics" beworben, neben dem Bild von Usain Bolt ist eines von Markus Rehm, dem Prothesen-Weitspringer. Wirkungsvoll ist das, und vor allem so einfach. Da kann man doch nicht nicht draufkommen. Oder?

Im Sommer 2018 richtet Deutschland eine Doppel-Europameisterschaften der Leichtathletik aus, zuerst für Nichtbehinderte, dann im Behindertensport. Es gibt schon eine bunte Webseite: Julian Reus sprintet im Video mit einer U-Bahn um die Wette, Thomas Röhler wirft einen Speer durch Berlin. Von einem Hinweis auf die Wettkämpfe der paralympischen Athleten fehlt jede Spur. Aber es ist ja auch noch ein Jahr Zeit.

© SZ vom 23.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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