Kommentar:Das System hält dicht

Dass das IOC wohl wichtige Hinweise auf systematisches Doping bei Olympia in Sotschi ignorierte, entspricht einer klaren Linie. Die Verantwortung wird hin und her geschoben, alles dient nur einem Zweck: Bloß kein Ärger mit Russland.

Von Thomas Kistner

Es geht weiter wie bisher im russischen Doping-Sport. Wie auch sonst: das Zeug weglassen und trotzdem fleißig Titel und Medaillen abräumen? Wenn das ginge, gäbe es kein Dopingproblem. Und nicht den Absicherungsapparat des Sports drumherum.

Im Dopingkampf verläuft die Front- linie nicht innerhalb des Sports, wie dem Publikum ständig weisgemacht wird. Sie verläuft zwischen dem Sport - dessen den Betrug fördernden bzw. absichernden Teilen sowie den das falsche Spiel tolerierenden Kontrollinstanzen einerseits - und den wahren Enthüllern andererseits. Echte Betrugsbekämpfung gibt es nur extern, über staatliche Justizorgane oder, wie im Falle Russlands (wo externe Behörden keine Zugriffschance haben), über mutigen Journalismus.

Nichts an den Enthüllungen zur Russen-Problematik verdankt sich ja dem Sport. Im Gegenteil: Dessen System hält dicht. Verantwortung wird unter den gut vernetzten Kameraden so lange hin und hergeschoben, bis sie sich aufgelöst hat. Ein Schauspiel, aktuell zu verfolgen an der Frage, ob Russlands Pharmada in Rio starten darf. Natürlich könnte der Spiele-Besitzer, das Internationale Olympische Komitee, jetzt einfach den Daumen senken. Aber das will es ja gar nicht, und es tut jetzt so, als wären dafür andere zuständig. Dabei ist nur der Gedanke daran, dass der Leichtathletik-Weltverband IAAF oder die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada dem IOC in den Arm fallen würden, so absurd wie die Vorstellung, im Himmel sei Jahrmarkt. Das IOC, dessen Vorstand Craig Reedie Chef der Wada ist und das just den IAAF-Chef Sebastian Coe von seiner Aufnahmeliste strich, ist allmächtig, was die Spiele angeht. Und was die Geldverteilung im olympischen Sport angeht, sowieso.

Das Grundübel der Betrugsproblematik lokalisiert sich im Olymp. Deshalb erstaunt es nicht, sondern besitzt klare Logik, wenn nun auffliegt, wie das IOC massivste Verdachtshinweise auf Fehlentwicklungen im russischen Sport ignoriert haben soll. Vor den Sotschi-Spielen 2014 lagen der Wada Hunderte Mails und ebenso klare Hinweise des Chefs der Labore in Moskau und Sotschi vor: dass da etwas gewaltig schiefgehe. Die Wada drängte das IOC zu Maßnahmen, damit die Labore bei den Spielen "komplett integer" arbeiten können. Aber die gab es nicht. Stattdessen regelte am Ende wohl der Geheimdienst den Proben-Verkehr.

Die rituellen Ausflüchte der Funktionäre, ihre Verweise auf Regeln und kleinteilige Prozeduren sind ermüdend. All das dient im Kern nur dazu, Verantwortung zu verwässern und Strukturprobleme zu verschleiern. Im Blick auf das IOC, das derzeit vermutlich nach Tricks Ausschau hält, um die Russen irgendwie nach Rio zu bringen - im Blick auf dieses IOC gilt dreierlei: Erstens, es bekämpft Doping mit allen Mitteln; Chef Bach predigt ja "Nulltoleranz". Zweitens: Als Resultat sehen wir saubere Spiele unterm olympischen Motto schneller, höher, stärker. Drittens ist die Erde eine Scheibe.

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