Kommentar:Blendwerk vom IOC

Die Hauptschuldigen am Niedergang der olympischen Bewegung sind nicht in Russland zu suchen. Dort wird nur umgesetzt, was die Ringe-Makler ganz diskret einfädeln.

Von Thomas Kistner

Es gab zunächst gemischte Reaktionen auf das Urteil, welches das Internationale Olympische Komitee (IOC) letzte Woche zur russischen Staatsdoping-Affäre fällte. Wer nicht auf die Substanz schaute, ging Olympias Spindoktoren auf den Leim: Ein brutalstmöglicher Spruch sei gefällt worden - Russlands Ausschluss von den kommenden Winterspielen in Pyeongchang. Während sich Szenekenner die Lachtränen aus den Augen wischten, lobten die Funktionäre brav das "klare Signal". Darunter auch diejenigen, die es besser wissen: die Anti-Welt-Doping-Agentur und viele nationale Ableger. Aber auch sie hängen halt am Geldtropf des Olymps.

Russlands ROC ist gesperrt, fällt aber munter Beschlüsse. Was tut das IOC? Nichts

Mittlerweile kennt der kundige Teil der Sportwelt die Substanz des IOC-Urteils: Es ist ein raffinierter Doppelpass zwischen zwei alten Sportkameraden, IOC-Chef Thomas Bach und Kreml-Chef Wladimir Putin. Der fand den Spruch ja gleich so großartig, dass er umgehend alles Boykott-Gerede unterband. Was gäbe es auch zu boykottieren? Russlands Athleten dürfen ja als solche starten, unter dem Alias-Begriff "Olympische Athleten aus Russland". Dass anfänglich Hymnen und Fahnen fehlen, wird noch während der Spiele behoben: Schon zur Schlussfeier darf das IOC Russlands Olympiakomitee ROC wieder vom Bann befreien. Vorausgesetzt, es benimmt sich bis dahin anständig und setzt alle Beschlüsse um - auch dies hat das IOC so verfügt.

Nun bezweifelt kein Insider, dass das IOC die Klausel ziehen und zum Finale in Korea den Russen ihren "Hurra, da sind wir wieder!"-Auftritt gestatten wird. Man hätte die Klausel gleich weglassen können; aber eine Bedingung liest sich halt besser. Nicht zu Ende gedacht wurde dabei nur eines: Wenn abseits frommer Sanktionsrhetorik die Geschäfte wie gewohnt fortlaufen, sollte man wenigstens darauf achten, dies nicht allzu offen zu zeigen. Das passiert aber nun.

Das ROC, das laut IOC doch suspendiert ist, hat am Dienstag fröhlich getagt. Dabei hat es beschlossen, dass Russlands Winter-Armada in Südkorea antritt - und überdies gezeigt, dass es weiterhin keinerlei Einsehen hat. Zwar kann am staatlich gelenkten Massendoping ob der detaillierten Beweislage niemand mehr zweifeln. Trotzdem sagte ROC-Chef Alexander Schukow, man habe sich dem Schuldspruch nur im Interesse Dritter gebeugt: "Das ROC musste einstecken, um den Sportlern ihren olympischen Traum zu ermöglichen." Dreister kann ein Gremium kaum agieren, das die systematische Dopingverseuchung seiner Athleten zumindest toleriert hat.

Zugleich widersetzt sich das ROC dem IOC auf allen Ebenen. Erstens: Es ist gesperrt - wie kann es da über eine Olympia-Entsendung entscheiden? Zweitens: Inwiefern hält sich das ROC an die IOC-Linie, wenn es weiter jede Schuld leugnet - während IOC-Boss Bach persönlich der Welt erzählt, die Russen hätten "einen beispiellosen Angriff auf die Integrität der Spiele und des Sports" unternommen? Drittens: Das IOC hält den Kronzeugen Grigorij Rodtschenkow ausdrücklich für glaubwürdig. Aber das ROC attackiert ihn scharf: Er habe "der olympischen Bewegung enorm geschadet!" Das ROC erzählt also das Gegenteil dessen, was der IOC-Chef erzählt.

Nach dem Geist des IOC-Urteils hat das ROC seine Schlussfeier-Chance in Pyeongchang schon jetzt verwirkt. Aber es gibt keinen Geist in diesem Geschäft. Es gibt nur immerzu neue olympische Blendwerke. Deshalb sind die Hauptschuldigen am Niedergang der Bewegung auch nicht in Russland zu suchen. Denn dort wird nur umgesetzt, was die Vermarkter der Ringe diskret einfädeln.

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