Hamburger SV:Bis der letzte Fluss vergiftet ist

Bundesliga - VfL Wolfsburg v Hamburger SV

Mit voller Wucht immer noch da: Bobby Wood bejubelt seinen verwandelten Elfmeter zur 1:0-Führung gegen Wolsburg.

(Foto: Fabian Bimmer)

Wer den HSV zum Absteiger erklärte, hat sich zu früh gefreut. Der Verdacht, der für viele Fans nach großer Ungerechtigkeit klingt, scheint sich zu erhärten: Hamburg hat die Unsterblichkeit gepachtet.

Kommentar von Philipp Selldorf

Der Hamburger SV ist im Begriff, ein Wunder zu verwirklichen. Was nie zuvor eine Mannschaft in 55 Jahren Bundesligageschichte zustande brachte, das scheint jetzt dem HSV zu gelingen: Das erste Team zu sein, das innerhalb einer Saison sowohl absteigt als auch aufsteigt. Vor ein paar Wochen, daran muss erinnert werden, obwohl es so fern in der Vergangenheit zu liegen scheint wie das Zeitalter des Dschingis Khan, war der HSV Tabellenletzter, und es stand für das ganze Land fest, die Beteiligten in der Hansestadt inbegriffen, dass er das auch bleiben würde. Zu früh gefreut.

Zwar sind die Hamburger immer noch Vorletzter, aber das ist womöglich lediglich eine temporäre Kleinigkeit am Rande. Der Verdacht formiert sich längst zur Gewissheit: Der HSV ist unabsteigbar. Dieses Siegel, das einst der VfL Bochum erfand und vermarktete, tut längst seine magische Wirkung im Volkspark in Hamburg. Dort wird der Dino wahrscheinlich noch so lange im Status eines Erstliga-Maskottchens herumwatscheln, bis die apokalyptische Prophezeiung der Cree-Indianer eintritt, also der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist. Womöglich gehört der HSV neben Ratten und Tauben sogar zu den Spezies, die einem Atomkrieg widerstehen könnten, notfalls in Relegationsspielen. Es ist falsch, den HSV zum wandelnden Untoten der Liga zu erklären, in Wahrheit hat er die Unsterblichkeit gepachtet.

Okay, noch ist er nicht gerettet. Vielleicht, so hoffen viele, kommt es doch anders. Vielleicht verliert der Hamburger SV das Auswärtsspiel in Frankfurt am nächsten Samstag und steigt ab, weil der VfL Wolfsburg unverhofft Punkte in Leipzig einsammelt. Dann dürften sich die Hamburger furchtbar über sich selbst ärgern, dass sie im Januar den Trainer Bernd Hollerbach engagiert hatten, weil diesen eine sogenannte Rothosen-Vergangenheit auszeichnet und das zornige Fan-Volk mit einem Mann beruhigt werden sollte, der Folklore-Gefühle befriedigt. Hätte Heribert Bruchhagen damals gleich Christian Titz die Verantwortung übertragen, dann wäre der HSV wahrscheinlich schon gerettet. Das lässt sich zwar nicht beweisen, aber auch nicht widerlegen.

Viele Menschen überall in Deutschland hoffen, dass es so kommt, dass der HSV absteigt. Nicht weil sie den HSV nicht mögen, sondern weil sie Sühne verlangen für all die Sünden und Verfehlungen des Vereins. Aber die Leute ahnen längst, dass es keine Gerechtigkeit geben wird. Weil der HSV unabsteigbar ist.

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