Kommentar:Bedrohliche Schieflage

Doping, TV-Quoten, schlechtes Management: Ständig tun sich Lecks auf, die den Niedergang Olympias beschleunigen - wie bei einem sinkenden Schiff.

Von René Hofmann

Für jede Krise gibt es beim Internationalen Olympischen Komitee ein Wording, wie dieser in der Öffentlichkeit zu begegnen ist. Die Formel dafür, dass es zum Auftakt einer Veranstaltung Probleme gibt, lautet: "Bei allen Spielen gibt es zum Auftakt Probleme." IOC-Sprecher Mark Adams verwendete sie bei seinem ersten Auftritt am Samstag in Rio ebenso routiniert wie häufig.

Es stimmt: Zum Start holpert es meist ein wenig. Die Olympischen Spiele sind ein gigantisches Projekt; vieles wird provisorisch aufgeschlagen, viele wichtige Aufgaben liegen in Händen der freiwilligen Helfer, die in ihre Aufgabe erst hineinwachsen müssen. Ein paar vorübergehende Unannehmlichkeiten - das gehört dazu. Oft tragen sie sogar zu dem bei, was als spezielles olympisches Erlebnis im Gedächtnis bleibt.

Der Fernsehsender NBC meldet für die Eröffnungsfeier beunruhigende Zuschauerzahlen

In diese Kategorie aber fällt nicht mehr, was gerade in Rio los ist. Zum Auftakt dieser Spiele ging so viel schief, dass es nicht mehr lustig oder charmant ist - und sich die Frage aufdrängt: Erleben die Gäste aus aller Welt hier gerade, wie etwas kippt? Sind die Spiele derart beschädigt, dass olympische Erlebnisse künftig ganz anders ausfallen werden?

Etliche Veranstaltungen am ersten Tag waren unwürdig schlecht besucht. Der olympische Glanz zieht die Heerscharen offensichtlich nicht mehr in Massen an wie das Licht die Motten. Und das gilt nicht nur für die rezessionsgeplagten Gastgeber. NBC, für das IOC einer der wichtigsten TV-Sender, meldet für die Eröffnungsfeier beunruhigende Zuschauerzahlen: Im Vergleich zu London vor vier Jahren schalteten 35 Prozent weniger US-Amerikaner ein.

Die Causa Staatsdoping in Russland hat das IOC miserabel gemanagt. Welcher russische Ex-Doper nun vielleicht doch noch starten darf, ist völlig unübersichtlich. Das könne sich stündlich ändern, lässt das IOC wissen. Fast täglich gibt es zudem neue Enthüllungen. Brasilien steht unter Staatsdoping-Verdacht. Der Delegationschef der kenianischen Leichtathleten wurde nach Hause geschickt. Ihm wird vorgeworfen, Sportler gegen Geld vor Dopingkontrollen gewarnt zu haben. Wie bei einem sinkenden Schiff tun sich ständig neue Lecks auf, die den Niedergang beschleunigen.

Bei den Reitern schlug im Pressezentrum ein Projektil ein - Absender unbekannt

Die Sieger sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Der Empfang für den chinesischen Schwimmer Sun Yang, der nach einem positiven Doping-Test eine lächerlich kurze Sperre zugesprochen bekommen hatte und am Samstag Silber gewann, war frostig. Über das Judo-Gold für Beslan Mudranow, der im Januar noch medienträchtig mit Russlands Präsident Wladimir Putin trainiert hatte, haben sich auch viele nicht gefreut. Von solchen Helden springt schwerlich ein Funke über, zumal auf ein Publikum, das oft stundenlang vor den Einlasskontrollen gewartet hat, um in den lieblos gestalteten Olympiapark zu gelangen, in dem sich überall dort, wo es etwas gibt, meist neue Schlangen auftun.

An den Sportstätten türmen sich ebenfalls die Probleme. Die Ruderer wurden zum Auftakt vom Winde verweht, ihre ersten Rennen wurden abgesagt. Bei den Radrennen stürzten viele Teilnehmer. Den französischen Turner Samir Ait Said ließen die Helfer nach seiner Verletzung von der Trage plumpsen. Und nach einem Stromausfall im olympischen Dorf schleppten Athleten ihre Sportgeräte durchs Treppenhaus in den 17. Stock - wenn sie nicht auf dem Weg zum Wettkampf im Aufzug stecken blieben. Bei den Reitern schlug im Pressezentrum ein Projektil ins Dach. Der Verteidigungsminister sagte, in einer Favela habe wohl jemand eine Drohne abschießen wollen.

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