Kommentar:Bachs Spiel

Thomas Bach

IOC-Präsident Thomas Bach versprach die "härtesten denkbaren Maßnahmen" gegenüber Russland. Doch wird er die auch ergreifen?

(Foto: Laurent Gillieron/dpa)

Die Gesetzgebung gibt eine Kollektivstrafe für Russlands Sportler her. Doch egal wie das Urteil am Ende ausfällt: Der Kurs des IOC und seines Präsidenten bleibt ein Tarnen und Täuschen.

Von Johannes Knuth

Thomas Bach ist ein begnadeter (Sport-)Politiker, und in dieser Rolle versteht es der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, viel zu reden, ohne viel zu sagen. Der Werkzeugkasten der Sportpolitik hält dafür verschiedene Instrumente parat. Manche versuchen es mit Charme und Nähe, nebeln die Zuhörer mit blumigen Worten ein, reden über ihre Familie, ihre Kinder, über Tausende Flugmeilen, die sie zurückgelegt haben, alles im aufopferungsvollen Kampf für ihren Sport. Erster Klasse und mit Fünf-Sterne-Beherbergung, versteht sich. Sebastian Coe, der Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, macht das so. Andere bemühen die technische Ebene, das ist Bachs Spiel. Er verschiebt Zuständigkeiten und Verantwortung von einer Regelecke in die nächste, er macht sich klein, obwohl er die größte Kraft ist. So lassen sich unbequeme Fragen schon mal eine Weile aussitzen, um den Schein und das Geschäft zu schützen. Diese Qualität ist besonders gefragt in Tagen wie diesen, wenn es im Sport an allen Ecken stinkt und qualmt.

Das IOC hätte sich viel früher positionieren können - oder müssen?

Im Fall von Russlands staatlich orchestriertem, mittlerweile hinlänglich belegtem Systembetrug im Sport lässt sich das schön studieren. Dürfen Russlands Sportler dann überhaupt noch bei den Sommerspielen in Rio mitmachen? Bach umtanzte diese Frage wochenlang, schubste die Verantwortung von einem Fachverband zum nächsten, bis zum Sportgerichtshof Cas. Erst am vergangenen Donnerstag waren fast alle Schlupflöcher zugeschüttet, fast alle Ausfahrten versperrt. Da bestätigte der Cas nicht nur, dass Russlands Leichtathleten für die Sommerspiele in Rio kollektiv gesperrt bleiben müssen, wie es Coes Weltverband erwirkt hatte. Er unterstrich auch das, was längst bekannt war: Das IOC hat die volle juristische Gewalt über seine Spiele, es darf urteilen und hätte sich auch schon viel früher positionieren können. Bachs Exekutive wird nun halt erst an diesem Sonntag richten, ob sämtliche russische Sportler von den Spielen ferngehalten werden - nicht einmal zwei Wochen, bevor in Rio angepfiffen wird.

Die IOC-Gesetzgebung gibt eine Kollektivstrafe durchaus her, aber das wird Russland, einem der mächtigsten und einflussreichsten Mitglieder der Sportfamilie, vermutlich erspart bleiben. Auch wenn der jüngste Bericht des kanadischen Richters Richard McLaren noch einmal nachzeichnete, wie in Russland so ziemlich alle in den gigantischen Betrug eingeweiht waren: Vom als Klempner getarnten Geheimagenten im Anti-Doping-Labor in Sotschi 2014 bis zum Sportministerium. Und die "härtesten denkbaren Maßnahmen", die Bach anschließend versprach, nach dem "schockierenden und unvergleichbaren Angriff auf die Integrität des Sports und der Olympischen Spiele"? Auch das gehört zum Handwerk, zum Tarnen und Täuschen. Weil es suggeriert, dass da eine Nation das redliche Geschäft beschädigte, um das es sonst immer ganz prächtig stand und steht. Das ist in etwa so wahr wie die Existenz von Osterhase und Weihnachtsmann.

Die Realität auch jenseits von Russland: Betrugskultur, Kontrollücken

In China vermuten Kenner längst ähnliche Betrugskulturen, in Ostafrikas Hochebenen, Heimat vieler Wunderläufer, klaffen riesige Kontrolllücken. In Deutschland ziehen es 40 Prozent bei einer Befragung der deutschen Sporthilfe vor, die Dopingfrage nicht erst zu beantworten. Die Amis? Beobachter haben über die Jahre viele Indizien zusammengetragen, dass vor den Spielen in Seoul (1988) und Barcelona (1992) gewissenhaft positive Dopingtests verschleiert wurden; später wiesen sie den Betrug Made in America teilweise nach, in Victor Contes Untergrundlabor an der Westküste, das unter anderem Sprinterin Marion Jones versorgte. Ähnliche Doping-Nester dürften bis heute im Verborgenen schlummern, an anderen Orten und mit anderen Schnellmachern, die auf keinem Anti-Doping-Radar auftauchen. Und die auch gar nicht auftauchen sollen. Der vermeintliche Anti-Doping-Kampf des Sports zeigt nur so viel, wie er zeigen muss, ein paar positive Nachtests hier, ein bisschen "Null-Toleranz" (Bach) da. Stets verabreicht in kleiner Dosis, damit das Geschäft weiterbrummen kann.

Das IOC wird am Sonntag über Russlands Sportler urteilen, viele Sportler und Funktionäre werden bis zur letzten Sekunde einen Ausschluss fordern, um die Integrität des Sports zu schützen. Das ist richtig und wichtig, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Der Betrug im Sport, auch daran erinnert die Entscheidung am Sonntag, kennt keine Grenzen, er kennt keine Flaggen und nationale Komitees. Er wurzelt überall.

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