Kommentar:Bachs Finten

All die frommen Ideen, die den IOC-Chef Thomas Bach jäh beseelen, haben einen Haken: Er hat sie erst, wenn sein Sport wieder mal in der Falle hockt. Wenn also die Schritte, die er propagiert, alternativlos sind, weil es schon Enthüllungen gab.

Von Thomas Kistner

Der Mann ist ein Glücksfall für die Sportwelt: Thomas Bach hat immer die richtige Idee, er setzt sich stets an die Spitze einer guten Sache. Gerade ließ sein Internationales Olympisches Komitee 31 Dopingsünder von Peking 2008 auffliegen. Klar, unter normalen Umständen täte das dem Geschäft verdammt weh. Aber die Umstände, nun ja, sie sind nicht normal.

Der olympische Sport trudelt gerade in die tiefste aller Krisen, und da kommen die Alt-Fälle goldrichtig. Bach kann mit ihnen den Hardliner mimen: Böse, böse Betrüger! Wartet nur! Und weil er so entschlossen ist, begrüßt er auch gleich die Enthüllungen zur Dopingverschwörung von Sotschi 2014. Außerdem, der gute Mann ist jetzt kaum noch zu stoppen, erwägt Bach, Russlands systematisch getunte Athleten von den Rio-Spielen auszusperren. Jedenfalls die Leichtathleten. Auch wenn das Sportsfreund Putin mächtig sauer machen wird. Überhaupt, erzählt Bach plötzlich, gehöre der Dopingkampf in unabhängige Hände. Die Betonung bei alldem liegt auf: erzählen. All die frommen Ideen, die den Oberolympier jäh beseelen, haben ja einen Haken: Er hat sie erst, wenn sein Sport wieder mal in der Falle hockt. Wenn also die Schritte, die er propagiert, alternativlos sind; weil es Enthüllungen und Geständnisse gibt. Ließe er die Russen jetzt noch starten, würde ihm dies als Vetternwirtschaft ausgelegt. Ja, falls es ganz hart kommt, müsste das IOC sogar diese verdammte Whistleblowerin Julia Stepanowa in Rio starten lassen.

Bachs Rhetorik ist wieder einmal gut durchschaubar. Wie so oft, der Bogen spannt sich bis nach Deutschland, wo der Deutsche Olympische Sportbund am Freitag sein zehnjähriges Bestehen feiert. Den hat Bach quasi aus der Taufe gehoben und bis 2013 gelenkt. Aber erst als er auf den IOC-Thron gewechselt war, kam im Lande die Betrugsbekämpfung voran: Gegen die Widerstände des geschwächten DOSB setzte die Politik in Berlin ein hartes Anti-Doping-Gesetz durch. Seit 2016 gibt es das Instrument, das der heutige IOC-Boss nicht gefördert, sondern trickreich bekämpft hatte. Parallel zeigt die Zwischenbilanz des Olympiasports die Realität: Untaugliche Dopingtests, weil überwiegend Substanzen in Gebrauch sind, die nicht oder nur Jahre später mit verfeinerter Analytik ermittelt werden können. Staatsdoping. Funktionäre, die Geld von Athleten erpressen. Ein paar Steigerungen gefällig? Ein Olympiafest - nicht irgendeines, das letzte, 2014 in Sotschi -, das in James-Bond-Manier weitgehend pharmaverseucht war; Sommerspiele in Tokio 2020, für die es harte Korruptionsindizien gibt. Es wird international ermittelt.

Nie waren die Zeiten trüber. Wie absurd ist es da, auf die Fensterreden von Funktionären zu hören, die mittendrin im Schlamassel hocken? Sie sind die politisch Hauptverantwortlichen; was sonst rechtfertigt ihre gut alimentierten Ämter, die hohe gesellschaftliche Anerkennung? Das System Spitzensport ist verrottet. Bevor es an irgendeinen Dopingsünder geht, der nur sein Glück in einer bigotten Kommerzwelt versucht hat, gehört ein kleines, verfilztes Funktionärstum auf den Prüfstand, dessen Mitglieder sich selbst als Familie bezeichnen. In der Welt des Fußballs hat die US-Justiz die Arbeit begonnen. Dass sie auch in die olympische Welt eintaucht, ist die beste Nachricht, die es gibt. Für den Sport.

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