Kommentar:Aus der Not zu Rekorden

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Joachim Mölter hat in Berlin seine fünfte und stimmungsvollste EM erlebt.

Der Fußball hat alle anderen Teamsportarten in den vergangenen Jahren sukzessive in den Hintergrund gedrängt. Die Basketballer zeigen mit ihrer EM auf, wie man Aufmerksamkeit zurückgewinnen könnte.

Von Joachim Mölter

Der europäische Basketball-Verband Fiba Europe meldet von seiner Männer-EM einen Zuschauerrekord nach dem anderen, zuletzt beim Halbfinale am Donnerstag: 26 922 Besucher sahen im Pierre-Mauroy-Stadion von Lille die 75:80-Niederlage von Titelverteidiger Frankreich gegen Spanien, so viele waren in Europa noch nie in einer Halle, wenn Basketball gespielt wurde. Insgesamt geht die Zuschauerzahl bei diesem Turnier auf die 600 000 zu, auch das ist bei weitem eine neue Höchstmarke.

Die Fiba-Funktionäre haben das Experiment mit einer Europameisterschaft in vier Ländern bereits nach der Vorrunde als gelungen gefeiert, zumal es ja nur aus der Not heraus entstanden ist. Weil der ursprüngliche Ausrichter Ukraine das Turnier wegen der militärischen Konflikte im Land zurückgab, sprangen kurzfristig Frankreich, Deutschland, Kroatien und Lettland ein. In der Vorrunde waren an allen vier Spielorten (Montpellier, Berlin, Zagreb und Riga) die Arenen voll, weil ja überall ein Gastgeber mitspielte. Das Viel-Länder-Modell gefällt der Fiba so gut, dass sie auch ihre Olympia-Qualifikation aufgesplittet hat - statt wie bisher ein Turnier wird es im nächsten Jahr drei Turniere geben, natürlich in drei Ländern.

Nun sind Europa- oder Weltmeisterschaften in zwei oder mehr Staaten keine Idee der Basketballer. Die Fußballer trugen bereits ihre EM 2000 in zwei Ländern aus (Niederlande und Belgien) sowie auch die WM 2002 (Japan und Südkorea); die EM 2020 wird sogar auf 13 Nationen verstreut. Und das führt zu dem Problem, das nicht nur die Basketballer haben.

Der Fußball hat sich in den vergangenen 20, 25 Jahren sukzessive ausgebreitet mit seinen Wettbewerben und alle anderen Teamsportarten in den Hintergrund gedrängt. Basket-, Hand- und Volleyballer, Hockey- und Eishockeyspieler haben sich in Nischen zurückgezogen, die ihnen der allgegenwärtige Fußball übrig ließ. Um nicht zur Gänze erdrückt zu werden, müssen sie sich irgendwie befreien. Zu diesem Zweck hat beispielsweise der Basketball-Weltverband eine weltweite Kalender-Reform beschlossen: Ab 2017 sind vier Zeitfenster im Jahr für die Nationalmannschaften reserviert, für deren Qualifikationsspiele, kontinentale und globale Titelkämpfe. Mit zeitlich geballter und zugleich flächendeckender Präsenz wollen die Basketballer öffentliche Aufmerksamkeit zurückgewinnen, die sie an die Fußballer verloren haben.

Das Vorhaben der Fiba stößt zwar noch auf Widerstand von Ligen und Vereinen, die ihre Spielpläne anpassen und ihre Profis abstellen müssten. Aber der Zuschauer-Erfolg der aktuellen EM spricht dafür, es wenigstens mal zu versuchen.

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