Kommentar:Auf der Suche nach Identität

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Auch wenn der HSV und der VfB noch längst nicht alles richtig machen, beide Klubs werden in diesem Jahr mit ziemlicher Sicherheit nicht absteigen. Und auch an Profil haben sie längst wieder gewonnen.

Von Claudio Catuogno

Länger nichts mehr vom Karlsruher Sport-Club gehört. Zur Erinnerung: Der Karlsruher Sport-Club, von Kennern auch liebevoll "KSC" genannt, das ist jener Erstliga-Aufsteiger aus dem Mai 2015, der dann doch nicht in die erste Liga aufsteigen durfte. Weil im entscheidenden Relegationsspiel in der Nachspielzeit noch ein Freistoß hinten in sein Tor rein ging, der kein Freistoß hätte sein dürfen, was am Ende den Hamburger Sport-Verein (Eingeweihte sagen auch: "HSV", noch Eingeweihtere sagen: "Dino") in der Erstklassigkeit hielt.

Bleed gloffe. Haben sie danach in Karlsruhe gesagt.

Der KSC also bereitet sich derzeit auf den Rückrundenstart in der zweiten Liga vor, er ist dort derzeit Tabellen-Neunter und definitiv kein Anwärter auf einen Aufstiegsrang mehr. Manche Türen öffnen sich nur einmal, und wenn man nicht sofort hindurchgeht, dann sind sie halt wieder zu.

Bleed gloffe: Das schwäbisch-badische Derby wäre lustig geworden

Anlass, sich mal wieder an den KSC zu erinnern, bot am Samstagabend das sogenannte Top-Spiel zwischen dem VfB Stuttgart und jenem Hamburger SV, bei dessen Erwähnung sie in Mittelbaden bis heute Pickel kriegen. Unter anderen Umständen wäre dieses Spiel ja nun ein schwäbisch-badisches Derby gewesen am Samstag. Die Stuttgarter hätten die liebliche Hymne "KSC olé olé, Superteam aus Baden" womöglich wieder ein bisschen umgedichtet ("KSC oh je oh je, Superteam geht baden"), den Karlsruhern wäre sicher auch was Doofes eingefallen, womöglich wieder ein paar unschöne Krawalle. Aber alles in allem wäre man im Ländle schön unter sich gewesen.

Bleed gloffe. Der Fußball ist definitiv nicht immer fair.

Da ist es jetzt allerdings auch ein gewisser Trost zu sehen, dass man in der Regel doch belohnt wird, wenn man Dinge richtig macht. Zum Beispiel sieht man das an den beiden Gegnern vom Samstagabend, dem VfB und dem HSV.

Wollte man die Fehler aufzählen, die beide Klubs in den vergangenen Jahren aneinandergereiht haben, könnte man damit locker einen Themenabend bei Arte füllen. Aber man kann sie ja auch mal loben für das, was sie definitiv richtig gemacht haben: Der Hamburger SV hat in der vergangenen Saison sechs Spieltage vor Schluss - als Tabellenletzter - den Trainer Bruno Labbadia engagiert, obwohl der in der Branche doch eher als Pfau denn als Feuerwehrmann galt. Aber es war dann dieser Bruno Labbadia, der den völlig verwirrten HSV-Profis eine Blitzheilung zukommen ließ, ohne die sie es gar nicht in das berüchtigte Karlsruher Entscheidungsspiel geschafft hätten. Diesen Stabilisierungsprozess hat Labbadia nun weiter voran getrieben: Der HSV ist vor allem defensiv viel besser organisiert als im Vorjahr. Und er agiert aus einer klar erkennbaren Struktur heraus, die seine Stärken zur Geltung bringt: etwa jene blitzartigen Konter wie am Samstag beim Ausgleich zum 1:1.

Kramny hat den VfB vom ideologischen Korsett erlöst

Der VfB hat wiederum rechtzeitig erkannt, dass er sich unter dem Trainer-Ideologen Alexander Zorniger in ein regelrechtes Kamikaze-Kommando zu verwandeln drohte. Nachfolger Jürgen Kramny hat die Elf aus dem ideologischen Korsett des Vorgängers befreit, nein: erlöst. Und nun stellt man fest: Das Offensiv-Potential dieser Elf ist nicht nur gewaltig, sondern sie kann es auch auf den Platz bringen, ohne vor lauter blindem Eifer immer ein Tor mehr zu kassieren als zu schießen.

Dass der VfB am Samstag gigantisch viele Chancen versemmelte? Dass der HSV kaum mal agierte, immer nur reagierte? Ist nicht per se ein Widerspruch. Dass es an beiden Traditions-Standorten nicht noch eine Menge zu tun gäbe, hat ja niemand behauptet. Aber beide Klubs werden in diesem Jahr mit ziemlicher Sicherheit nicht absteigen. Das ist schon mal ein Fortschritt.

Das Entscheidende ist, dass bei beiden wieder eine Identität erkennbar ist. Was das wert ist, kann man derzeit an vielen Liga-Standorten sehen. Bei den Mainzer Dauerläufern des Trainers Martin Schmidt. Bei der Hertha in Berlin, über die der Trainer Pal Dardai sagt, er habe ihr wieder "einen Rhythmus" beigebracht: "Man kann zu unseren Toren jetzt eine Melodie singen - Spielaufbau, Vorbereitung über die Außenpositionen, schöne Tore . . ." Oder auch bei Markus Weinzierls Augsburgern, die sich von der Illusion verabschieden mussten, sie könnten neuerdings ein Spiel gestalten, bloß weil sie jetzt in der Europa League mitmachen dürfen. Seit sie sich wieder auf ihr bewährtes Kratzen & Kontern verlagern, stimmen auch die Resultate wieder einigermaßen.

Und was ist jetzt nochmal die Identität von Hannover?

Blöd läuft es jetzt für andere. Für Hannover 96 zum Beispiel. Preisfrage (es gibt aber keinen Preis): Was ist eigentlich die Identität von Hannover 96? Vor allem fällt einem da der Hörgerätehersteller Martin Kind ein, einer der letzten Patriarchen der Liga, der Manager und Trainer immer noch streng nach Bauchgefühl holt und feuert. Der vom internationalen Geschäft träumt und von Investorenmodellen - aber am Ende doch wie aus der Zeit gefallen wirkt. Gerade hat Kind den Trainer Michael Frontzeck durch den Trainer Thomas Schaaf ersetzt. Schaaf? Frontzeck? Kind? Eigentlich fällt einem dazu nur ein, dass alle drei eine Glatze haben.

Das könnte natürlich auch eine Identität sein.

© SZ vom 31.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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