Kommentar:Alte Schule

Russlands Leichtathleten sind von internationalen Wettbewerben ausgesperrt - doch immer mehr Zeichen deuten auf einen Olympia-Start hin.

Von Johannes Knuth

Wenn in 100 Tagen in Rio de Janeiro die Olympischen Sommerspiele anbrechen, dürfen sich Russlands Leichtathleten auf ein angenehmes Arbeitsumfeld freuen. Auf ein 17-stöckiges Gebäude, das Delegationschef Igor Kasikow angemietet hat, oder zwei eigene Küchenchefs. Jetzt gibt es da nur noch ein klitzekleines Problemchen: Russlands Leichtathleten sind seit November 2015 von internationalen Wettbewerben ausgesperrt, wegen systemischen Dopings.

Na und? Der Leichtathletik-Weltverband IAAF wird den Bann schon rechtzeitig heben, das hört man in diesen Tagen immer wieder aus Russland.

Das deckt sich, so ein Zufall, auffallend gut mit jenen Nachrichten, die gerade aus dem Maschinenraum der Sportpolitik dringen. Thomas Bach und Sebastian Coe sollen sich vor Kurzem zum informellen Austausch getroffen haben. Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, soll nach Informationen der ARD gesagt haben, es sei "politisch unabdingbar", Russlands Leichtathleten für Rio zuzulassen. Coe, Präsident der IAAF, wird mit seinem Council Mitte Juni über eine Begnadigung richten. Davor, das soll Bach seinem Freund aufgetragen haben, möge Coe sein Council bitteschön in die gewünschte Richtung lenken. IAAF und IOC wollten dieses Gesprächsprotokoll weder bestätigen noch dementieren. So entfaltet sich nun zumindest der Verdacht, dass die Arbeit diverser Gremien und Experten, die derzeit Russlands Reformen inspizieren, vor allem eines ist: Show.

Dass Bach auf Russlands Resozialisierung drängt, überrascht kaum. Der Kreml hat Funktionäre und Sponsoren in diversen Sportverbänden verankert, da hält die Familie lieber zusammen, selbst wenn im Hinterhof des Partners ein tief wurzelndes Dopingnetzwerk ausgehoben wird. Für Coe ist der faule Geruch der Vorabsprache ungleich lästiger. Die selbsternannte Kernsportart watet nach diversen Doping- und Korruptionsskandalen durch die tiefste Vertrauenskrise ihrer Geschichte. Und Coe, der seit August die Geschäfte führt, hat dem Sport kaum frische Glaubwürdigkeit verschafft. Er sieht nach wie vor nicht ein, warum er einst seine Rolle als Berater eines großen Sportartikelherstellers aufgeben musste, obwohl er längst IAAF-Präsident war. Die IAAF blockiert auch weiterhin eine pikante Studie über Doping bei der WM 2011. Und Russlands Leichtathletik? Too big to fail, offenbar zu mächtig, um zu scheitern. Was einen zweiten Verdacht erhärtet: Coe, der Neue, operiert munter nach den Regeln alter Schule.

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