Kolumbien:Ohne die Wade der Nation

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Erste Hilfe: Beide Trainer (links José Pekerman, rechts Gareth Southgate) kümmern sich um Kolumbiens untröstlichen Fehlschützen Mateus Uribe. (Foto: Alastair Grant/AP)

In Bogotá wird aus lauter Fußball-Leidenschaft der Flughafen gesperrt, während Kolumbiens Nationalspieler nach dem knappen Aus ohne James Rodriguez im Meer der Tränen landen.

Von Johannes Aumüller, Moskau

Der Trost für den Trauernden kam von zwei Seiten. Links ein Anzugträger, rechts ein Westen-Träger, und in der Mitte also Mateus Uribe, ein 27-jähriger Mittelfeldspieler der kolumbianischen Nationalmannschaft. Er hatte kein schlechtes Spiel gemacht, kurz vor Schluss der regulären Spielzeit wäre ihm beinahe noch ein Treffer geglückt, aber stattdessen wurde er eine der unglücklichen Gestalten des Elfmeterschießens. Weil er just nach dem ersten englischen Fehlschuss seinen Versuch an die Latte donnerte und den Gegner wieder zurück ins Spiel brachte. Und so stand Mateus Uribe nach dem Spiel da, links sein eigener Trainer José Pekerman, rechts der gegnerische Trainer Gareth Southgate, und trauerte ausgiebig.

Nicht nur bei Uribe, sondern bei ziemlich vielen Kolumbianern sind nach diesem Spiel viele Tränen geflossen. Die Cafeteros genießen ja einen unglaubliche Stellenwert im Land. Nach Gastgeber Russland dürfte bei dieser WM kaum jemand so viele Fans im Stadion gehabt haben wie die Kolumbianer, stimmungsmäßig waren sie stets klar im Vorteil, auch gegen die Engländer. Und zu Hause in Bogotá wurde das Spiel mit einer solchen Leidenschaft verfolgt, dass der Flughafen kurz dicht gemacht wurde, damit auch alle Wartenden die Verlängerung und das Elfmeterschießen sehen konnten. Am Ende aber stand dann dieses denkbar knappe Aus, nach einem Rückstand durch Harry Kanes Elfmeter (57.), dem späten Ausgleich durch Yerry Mina (90.+3) - und diesem dramatischen Elfmeterschießen.

Es war nicht schwer, einen zentralen Grund für diese Niederlage auszumachen: das verletzungsbedingte Fehlen ihres Vorzeigespielers James Rodriguez vom FC Bayern. "Der Schlüsselspieler hat gefehlt", sagte Trainer Pekerman: "James ist ein Spieler von ungeheurer Wichtigkeit, um unserem Spiel Kreativität und Struktur zu geben. Das war entscheidend." Stattdessen musste James zuschauen, ein Bluterguss in der Wade und ein Einsatz, ja selbst eine Einwechslung für wenige Minuten, von vornherein ausgeschlossen. Und weil in solchen Fragen die Herren unerbittlich sind, durfte James dann auch nicht auf der Bank sitzen, sondern musste auf die Tribüne, und dort litt er dann mit den Seinen.

Englands Presse hat sich hinterher mächtig echauffiert über die harte kolumbianische Herangehensweise. Und in der Tat foulten die Kolumbianer viel und sahen viele gelbe Karten. Einmal stieß Wilmar Barrios seinen Kopf an die Brust des Gegenspielers James Henderson, wobei der ziemlich theatralisch hinfiel und es nur Gelb gab; und als Kane seinen Strafstoß ausführen wollte, trampelte Johan Mojica lange auf dem Punkt herum. Aber andererseits war die Härte keineswegs einseitig verteilt, und so holten die Kolumbianer auch zum Gegenschlag aus. Trainer Pekerman sagte, nach seiner Auffassung habe der Schiedsrichter Mark Geiger (USA) das Spiel zu oft unterbrochen. Und Angreifer Falcao gab sich wütend: "Der Schiedsrichter war eine Schande", sagte er: "Es war mehr als deutlich, dass er im Zweifelsfall immer für England gepfiffen hat."

Es ist aber kein schlechtes Gerüst, das die Kolumbianer für die nähere Zukunft beisammen haben. Falcao ist zwar schon 32 Jahre alt, aber James sowie sein Mittelfeldpartner und Jugendkumpel Juan Quintero sind in den Mittzwanzigern. Und in der Abwehr tat sich ein starkes junges Duo hervor, bestehend aus Davinson Sanchez und Mina, dem nach Paul Breitner und Andreas Brehme erst dritten Verteidiger, dem bei einem WM-Turnier drei Tore gelangen, wie El Tiempo stolz notierte. Doch eine zentrale Frage ist offen: ob Trainer Pekerman, seit 2012 im Amt, weitermacht.

© SZ vom 05.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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