Köln in der Europa League:Ein Eimer Glückseligkeit

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Mit einem 2:0 gegen Mainz erobert der 1. FC Köln Platz fünf. Und trotzdem wird geweint.

Von Milan Pavlovic, Köln

Anthony Modeste wurde rasend schnell eingekeilt, er hatte keine Chance zu entkommen. Der Kölner Torjäger verschwand in einer Traube aus beseelten Fans, die mit dem Schlusspfiff den Platz gestürmt hatten. Ein paar Sekunden lang konnte man Angst haben, dass da etwas schrecklich schief laufen könnte in den emotionalen Augenblicken nach dem glücklichsten Vereinsmoment seit Dekaden. Doch dann tauchte Modeste wieder auf, im wahrsten Sinn: Er wurde auf Händen von der Menge getragen, wie ein Rock-Star, der sich ins Publikum hat fallen lassen. Der Franzose, das sah man mit bloßem Auge von der Tribüne, war zutiefst gerührt. Weinend verließ er den Rasen.

Es war ein wilder, ein würdiger Moment. Er brachte bildlich auf den Punkt, was ein Großteil der feierwütigen, aber seit Jahrzehnten fußballerisch nicht mehr wirklich beglückten Stadtbewohner nach dem 2:0 gegen Mainz empfand, das den Sprung auf Platz fünf zuließ und die direkte Qualifikation für die Europa League bedeutete: Freude, Erleichterung, Stolz und das Wissen um Ausflüge in das unbekannte Fußball-Land Europa, das der stolze Klub seit genau 25 Jahren nicht mehr bereist hat. Als Köln am 30. September 1992 letztmals im Europacup antrat (bei einem schmachvollen 0:3 in Glasgow), waren acht derzeitige FC-Spieler nicht einmal geboren - und die meisten anderen dürften als Schüler noch nicht davon geträumt haben, einmal diesen Gipfel zu erreichen. Torwart Timo Horn, Jahrgang 1993, hatte vor der entscheidenden Partie gesagt: "Der FC-Fan ist kein Erfolgsfan." Zumindest bis zum 20. Mai 2017.

Jubelstürme für die ungeliebten Leverkusener

An diesem Tag bekamen die Anhänger eine Menge zu feiern. Von den anderen Schauplätzen trudelte ein Tor nach dem anderen ein, das den Kölnern half. Gegen Freiburg. Gegen Hertha BSC, was dem ungeliebten rheinischen Rivalen Leverkusen so viel Jubel einbrachte wie wohl noch nie in der Kölner Geschichte. Schließlich auch gegen Bremen. Nur die Kölner selbst zogen nicht nach. Es war nicht einmal so, dass die Hausherren übernervös agierten. Sondern sie wollten sich geduldig zeigen, sich keine Blöße geben gegen einen Gegner, der früh aufblitzen ließ, was geschehen würde, wenn sich zu große Räume bieten würden: Der bullige Stürmer Jhon Cordoba jagte nach einem Patzer von Jonas Hector einen Schuss presslufthammerhart knapp über die Latte (5.).

Die Kölner erspielten sich wenige Chancen, aber wenn, dann große: Ein Freistoß von Jojic segelte Zentimeter neben das Tor (3.), nach einem Konter schloss erneut Jojic knapp zu hoch ab (13.), und Yuya Osako verfehlte aus 18 Metern (36.). Augenfällig: Goalgetter Modeste agierte diesmal vornehmlich als Ballableger, Räume-Öffner Osako hatte bei seinem letzten Zuspiel wenig Fortüne. Also versuchte es der Japaner anders: indem er einen Einwurf von Rausch mit dem Kopf in den Lauf von Hector verlängerte (40.). Der preschte Richtung Strafraum, als wäre er die Wiedergeburt von Hans-Peter Briegel, und zog ab - weder sonderlich hart noch sonderlich platziert, aber der Ball rutschte Gästetorwart Huth unter dem Körper durch zum 1:0 für den FC.

Weil die Kölner sich nach der Pause zu weit nach hinten drängen ließen, begann das große Zittern. Zwischenzeitlich - als Bremen mit 3:2 in Dortmund in Führung ging - hätte ein einziges Gegentor gereicht, um den FC auf Platz acht zu stürzen; "und dann wäre es plötzlich gefühlt eine Scheißsaison gewesen", fasste FC-Trainer Peter Stöger die Lage zusammen. Im Grunde war es viel Spannung um nichts, weil Mainz nie zu einem aussichtsreichen Abschluss kam. Spät folgte die Erlösung, ein Konter über den gewieften Bälleklauer Milos Jojic brachte Osako in Position, der diesmal cool blieb und zum 2:0 abschloss (87.). Erstaunlich genug, dass die Kölner Fans noch fünf Minuten bis zum Platzsturm ausharrten.

Die Kölner Spieler stürmen die Pressekonferenz

Zwanzig Minuten später standen diese Fans auf dem Rasen und sangen, Ultras und Gemäßigte, die Euphorie schlug nicht in Überschwang um. Einer von so vielen Vorügen dieser wunderbaren Stadt ist es, dass hier genügend Liedgut vorhanden ist, um eindrucksvoll zu feiern. Nach zwei, drei Liedern kehrte die Mannschaft zurück, hatte merklich Spaß, schien aber auch Luft zu holen für die Pointe.

Die lieferte sie eine Stunde nach dem Schlusspfiff, als sie die Pressekonferenz okkupierte, bewaffnet mit genug Bier für einen langen Abend. Die Spieler setzten sich auf die Stühle und warteten auf ihren Trainer. Stöger musterte streng seine Profis, warnte sie: "Macht keinen Scheiß!" Er blickte vor allem seinen Goalgetter Modeste an. Der saß in der ersten Reihe - mit einem Eimer voll alkoholfreiem Gesöff. Der Franzose setzte dazu an, ihn auszuleeren, beließ es lachend bei der Drohung - und schnappte sich eine Brause. Kurz nach der Gratulation des Mainzers Trainers Martin Schmidt (der, dies an diesem Tag nur am Rande, angeblich vor seiner Ablösung steht), schlichen sich die FC-Spieler - quasi im Rücken von Stögers Abwehr - zum Podium, wo sie dann doch zur großen Bierdusche ausholten. Der durchnässte Stöger verließ den Saal gekonnt grantelnd: "Fünf Spieler werden sich einen neuen Arbeitgeber suchen müssen."

In der Tat wird es aber spannend sein zu sehen, ob alle zurückkehren werden; ob der Verein noch einmal ein gigantisches Angebot aus China für Anthony Modeste ausschlägt. Aber das ist die Zukunft. Am Samstag war es den Spielern wichtig, dass sie Geschichte geschrieben hatten. "Europa", sagte Timo Horn, "kennen wir in Köln ja nur aus Erzählungen unserer Großväter."

© SZ vom 21.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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