Köln gewinnt in Leverkusen:Fahrstuhl nach oben

Köln gewinnt in Leverkusen: Der erste Streich: Dominic Maroh (Zweiter von rechts) erzielt an Bernd Leno (links) vorbei das Kölner Führungstor in Leverkusen.

Der erste Streich: Dominic Maroh (Zweiter von rechts) erzielt an Bernd Leno (links) vorbei das Kölner Führungstor in Leverkusen.

(Foto: Martin Meissner/AP)

Der 1. FC Köln schlüpft nach einem klug herausgespielten Derby-Sieg am Rivalen Leverkusen vorbei und wagt leise zu träumen. Bayer-Trainer Schmidt stellt derweil seltsame Rechnungen auf.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

In dem Moment, als der Sieg des 1. FC Köln bei Bayer Leverkusen doch noch mal in Gefahr zu geraten drohte, griff Kevin Vogt im Stil der schnellen Eingreiftruppe ein. Quer über den Platz kam der Kölner Mittelfeldspieler zum Brandherd gerannt, um ganz allein der Übermacht entgegenzutreten. Seine Widersacher trugen aber nicht die Trikots von Bayer 04, sondern das Rot und Weiß des FC, es waren die Übermütigen im Kölner Fanblock, die sich nicht zügeln konnten und gerade den zweiten schweren Chinaböller gezündet hatten. Vogt gab ihnen mit strengem Blick zu verstehen, was er von den riskanten Zündeleien hielt. Danach war Ruhe in der Kurve - bis eine Viertelstunde später der Schiedsrichter den 2:1-Sieg des FC bestätigte.

Die übliche Moralfrage, ob der Sieger "verdient" gewonnen hatte, ob also der Kölner Erfolg am Tag des Weltgerichts als "gerecht" zu verbuchen sei, die musste am Samstagabend nicht mehr diskutiert werden. Die Verantwortlichen auf beiden Seiten gingen über dieses obligatorische Thema hinweg, die Kölner aus Taktgefühl gegenüber den Verlierern, die Leverkusener aus Gründen der Selbstachtung.

Dominic Maroh, zuletzt nur unregelmäßig eingesetzt, erzielt zwei Kopfball-Tore

Am Ende schien ein Spielabbruch die Kölner Führung tatsächlich eher zu bedrohen als ein Sturmlauf der Leverkusener, deren Erschöpfung nach dem jüngsten Europacup-Engagement nicht zu übersehen war. "Der Akku war leer", gab Rudi Völler im Namen der Hausherren verständnisvoll bekannt. Der Sportchef hatte allerdings noch mehr mitzuteilen, und das klang dann nicht mehr so versöhnlich, sondern ziemlich grundsätzlich - und ziemlich unzufrieden: "Das ist nicht die Punktezahl, die wir uns vorgestellt haben. Die Moral stimmt, aber dafür können wir uns nichts kaufen", merkte Völler an.

Der aktuelle Punktestand besagt, dass Bayer in der Tabelle vom Nachbarklub überholt wurde - ein Phänomen, das seit bald zwei Jahrzehnten nicht mehr vorkam. Damals trennten sich die Wege der Nachbarn, Bayer wurde ein Bundesliga-Spitzenklub, der FC ein Fahrstuhlverein. Nun kamen bereits Fragen, ob es eine neue Wacht am Rhein gebe. Die Kölner Profis fielen zwar auf den plumpen Trick nicht rein, aber sie beginnen zu realisieren, wie schnell sie vorangekommen sind seit den Tagen des Aufstiegs. FC-Verteidiger Dominic Maroh räsonierte, wo sein Team stünde, wenn sie auch in den Heimspielen gegen Hannover (0:1) und Hoffenheim (0:0) die Punkte geholt hätte, die ihr die Schiedsrichter vorenthalten hatten. "Dann wären wir in ganz anderen Sphären", lud Maroh zum Träumen ein, und sorgte dann gleich fürs Erwachen: "Nicht realistisch", stellte er klar.

Die Kölner Verantwortlichen verzichteten daher auf Triumphgesten, ihnen genügt fürs Erste, dass sie zum wiederholten Male einen womöglich schädlichen Trend gestoppt hatten. Die Regel gilt also immer noch: Sportliche Krisen finden in Köln unter Peter Stögers Regie nicht statt. Und nebenbei, meinte Manager Jörg Schmadtke, hätte man noch eine modische Legende widerlegt: Für die Kritiker werde es "jetzt schwieriger zu sagen: Ohne Modeste geht nichts mehr - wir haben jetzt Maroh".

Speziell Maroh hat jetzt erfahren, dass die Wirklichkeit manchmal die irrsinnigsten Fantasien übertrifft. Niemals ja hätte der Verteidiger am Samstagmorgen geglaubt, dass ihn am Samstagabend die ganze Millionenstadt als Doppeltorschütze und Derby-Helden feiern würde. Zwei Tore in einer Partie, das war ihm in seinem bisherigen Fußballer-Dasein bloß in einem Testspiel gelungen. "Man wünscht sich als Spieler in seiner Karriere zumindest einmal einen solchen Tag", sagte Maroh.

Der Abwehrmann, für seine kühnen Präzisionsgrätschen bekannt, hatte es zuletzt nicht leicht gehabt in Köln. Im Sommertrainingslager zog er sich eine Muskel-Verletzung zu, und als er wieder fit war, besetzte ein anderer den Platz, den er mehr als drei Jahre beim FC innegehabt hatte. Es wurde bereits geraunt, was Maroh denn verbrochen habe, dass ihn der Trainer nicht einsetzte, denn der dänische Ersatzmann Sörensen imponierte zwar durch seine Wikinger-Gestalt, nicht aber durch Zuverlässigkeit. "Aber so ist eben Fußball: Du bist verletzt und raus, arbeitest dich ran, musst lange warten, und dann schießt du zwei Tore in so einem Spiel", fasste der Kölner Kapitän Matthias Lehmann das Schicksal des Kollegen begeistert zusammen.

Über die Tore des Kollegen Maroh machte später der Leverkusener Innenverteidiger Ömer Toprak einen Witz. "Wir wussten, dass die Kölner stark bei Standards sind", sagte er, und das war nun wirklich komisch, denn Standards gehören schon seit Jahren nicht zu den Kölner Spezialitäten. Allerdings gehört es neuerdings zu den Leverkusener Standards, Tore nach Eckbällen und Freistößen zu kassieren. Dies sei in der Tat ein Kritikpunkt, stimmte Trainer Roger Schmidt zu und illustrierte die Misere mit einer sonderbaren, aber für ihn typischen Berechnung.

Der Bayer-Coach stellte nämlich fest, dass sein Team die beiden Europacup-Spiele gegen AS Rom (4:4, 2:3) eigentlich - "aus dem Spiel heraus" - 6:3 gewonnen habe. Wenn es halt nicht auch diese verdammten vier Standard-Tore der Römer gegeben hätte. Der Ideologe Schmidt pflegt sich an seinen strategischen Wunschvorstellungen zu orientieren, sein offensives Spiel- modell ist für ihn nicht verhandelbar, selbst im Fall nachgewiesener Schadhaftigkeit. Nicht mal am Samstag nach dem Platzverweis für Papadopoulos (53. Minute) hat er sein Team gegen motivierte und frische Kölner in die Defensive zurückgezogen. "Manchmal muss man auch mit einem Unentschieden zufrieden sein", sagte Völler. Und das war keine Banalität.

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