Klippenspringen bei der Schwimm-WM:Lehrjahre auf dem hohen Felsen

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Sie stürzen bis zu 27 Meter in die Tiefe: Die Klippenspringer geben bei der Schwimm-WM ihr Debüt. Vor allem weil das Spektakel so gefährlich ist, weckt es das Interesse der Zuschauer. Als Medaillenhoffnung gilt auch eine Deutsche: Anna Bader hat keine Angst vor dem Sturz aus der Riesenhöhe.

Von Claudio Catuogno

Die Spaßsportler sind da. Einer hat Schwimmbrille und Schnorchel angelegt und springt damit strampelnd vom Zehn-Meter-Turm. Der nächste zieht im Flug seine Boxershorts aus (er hat noch was drunter). Ein dritter simuliert einen Bauchplatscher. Anna Bader, 29, aus Morbach, die womöglich beste der Spaßsportler in der Frauenkonkurrenz, schreitet langsam vor zur Kante. Sie setzt ihre Hände neben den Abgrund. Schwingt in den Handstand. Verharrt kopfüber. Holt mit den Beinen Schwung.

Anna Bader war als Kind eine begabte Turnerin, ihre Mutter startete bei den Turn-Wettkämpfen bei Olympia 1972 in München. Später war Anna Bader dann eine begabte Kunst- und Turmspringerin, "B-Kader glaube ich", aus dieser Zeit kennt sie auch noch den Trainer Lutz Buschkow, den sie nun, bei der Schwimm-WM in Barcelona, als Chef der DSV-Delegation wiedergetroffen hat nach Jahren ohne Kontakt. Aber jetzt gleich von einer Heimkehr zu reden in den Schoß des Deutschen Schwimm-Verbands?

Banger Blick nach unten? Anna Bader ist eine furchtlose Klippenspringerin.  (Foto: dpa)

Anna Bader grinst vielsagend: "Das wäre vielleicht ein bisschen übertrieben." Der Sprung aus dem Handstand vom Zehn-Meter-Turm (Anna Bader streut noch diverse Salti ein) ist nur ein Showereignis. Die Spaßsportler, fünf Frauen, 14 Männer, holen Dosen vom Grund des WM-Sprungbeckens, darin befinden sich die Startnummern für ihren eigentlichen Wettkampf.

Seit Montag stürzen sie sich aus viel waghalsigerer Höhe ins Hafenbecken von Barcelona. Die Frauen aus 20, die Männer aus 27 Metern. Das Springen aus extremer Höhe ist neuerdings offizieller Bestandteil der Schwimm-Weltmeisterschaften.

Anna Bader hat sich erst vom Verbandssport mit seinen Kaderstrukturen und Förderrichtlinien emanzipieren müssen, um den Weg zu dieser WM zu finden. Sie hat sich in Jamaika mit Einheimischen von schroffen Felswänden ins Meer gestürzt, so ging die Leidenschaft los, sie sprang von Klippen, Brücken, Plattformen. Zwischendurch spielte sie auch mal in Fußgängerzonen Theater, um ein bisschen Geld zu verdienen.

Sie wurde mehrmals Europameisterin im Klippenspringen, dann wieder heuerte sie als Attraktion beim Cirque du Soleil in Macao an. Und wahrscheinlich wäre der kontrollierte Absturz für sie immer noch ein Privatvergnügen, wenn nicht der Marketing-Konzern Red Bull das Klippenspringen in sein Extremsport-Repertoire aufgenommen und in eine professionelle Weltcup-Serie überführt hätte.

Manches aus dem Red-Bull-Portfolio ist schlicht lebensgefährlicher Wahnsinn, und wie zynisch der Brauseriese aus Österreich bisweilen mit dem Leben seiner adrenalinsüchtigen Akrobaten spielt, das konnte man kürzlich in der bemerkenswerten ARD-Dokumentation "Die dunkle Seite von Red Bull. Wenn ein Getränk doch keine Flügel verleiht" sehen.

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Die TV-Reporter besuchten die Hinterbliebenen von Extremsportlern, denen Red Bull nach eigener Aussage doch bloß bei der Erfüllung ihrer Träume helfen wollte, wobei sie sich dann leider das Genick brachen.

Doch für Cornel Marculescu, den umtriebigen Generalsekretär des Schwimm-Weltverbands Fina, ist das kein Anlass für Berührungsängste zwischen alter Olympia- und neuer Getränkesport-Welt. Zusammen mit den Red-Bull-Leuten ließ er das Wettkampfformat ausarbeiten und im Hafen von Barcelona ein riesiges Eisengerüst errichten.

Und tatsächlich zählt das "High Diving" wohl noch zu jenen Extrem-Sparten mit kontrolliertem Risiko, was sich unter anderem darin ausdrückt, dass die Springer mit den Füßen voraus eintauchen, weil sonst die Kräfte für Kopf und Rumpf zu stark wären. Anna Bader sagt: "Ich hatte 2006 mal eine Steißbeinprellung, sonst eigentlich nie was."

Und zur Sicherheit sind auch mehrere Taucher im Wasser, falls - nach der Vorführung diverser Salti und Schrauben, die von einer Jury bewertet werden - doch mal einem Athleten die Luft weg bleibt beim Aufprall mit 85 Stundenkilometer.

"Alles so offiziell hier", staunt Anna Bader, als sie mit ihrer WM-Startnummer um die Ecke biegt. Das hätte sie sich auch nicht träumen lassen: dass sie sich auf Felskanten und Brückengeländern mal die Wettkampfpraxis holt, um nun als Medaillenhoffnung des DSV zu gelten.

Denn ablehnen würde der inzwischen zum Leistungssport-Chef aufgestiegene Sprungtrainer Buschkow einen Podestplatz der Spaßsportlerin Bader im Frauen-Wettkampf diesen Dienstag (16 Uhr) natürlich nicht, selbst wenn der Disziplin noch die globale Verbreitung und damit ein bisschen der kompetitive Wert fehlt: Es gab kein Qualifikationsverfahren, keine WM-Normen - die Fina hat sich einfach an der Red-Bull-Liste orientiert und die besten Klippenspringer quasi eingeladen. An Bader kam man da nicht vorbei. Kürzlich bei der EM war sie sogar die einzige Frau, die zu den waghalsigen Sprüngen bereit war. Sie wurde Zweite - bei den Männern.

Buschkow findet das Verfahren aber ganz okay für den Anfang: Die Fina, sagt er, habe sichergestellt, "dass hier wirklich die besten Klippenspringer am Start" seien. "Und nicht der Typ aus dem Freibad, der die Arschbomben-WM gewonnen hat."

© SZ vom 30.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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