Klinsmanns Funktionsteam:Bündnis für Arbeit

Wie sich die neue Führung der Nationalmannschaft als Berufsberater für ihre Spieler versteht.

Christof Kneer

Dieter Hoeneß ist ein harter Bursche. Das weiß man spätestens seit dem DFB-Pokalfinale 1982, als er sich mit blutigem Turban in eine Flanke stürzte. Im Fußball sagt man über solche Spieler gerne, dass sie dahin gehen, wo's weh tut.

Klinsmann, Reuters

Er kümmert sich um seine Jungs: Jürgen Klinsmann.

(Foto: Foto: Reuters)

In der Legende sind solche Menschen unverwundbar, aber um den Gegenbeweis anzutreten, reicht manchmal eine kleine Pressekonferenz. Knapp zwanzig Jahre später ist Hoeneß nämlich erneut ziemlich verletzt gewesen, nur diesmal endete die Blessur ohne Torjubel.

Es galt, einen Abschied zu verkünden, denn Hoeneß, inzwischen Manager bei Hertha BSC, hatte seinen begabtesten Fußballer verloren. Sebastian Deisler ging dahin, wo es Hoeneß besonders weh tat: zum FC Bayern, zum Klub seines älteren Bruders Uli.

Eine Überraschung war das nicht mehr, schon ein paar Wochen zuvor hatte Dieter Hoeneß resigniert gesagt: "Fast alle großen europäischen Vereine sind hinter Sebastian her, da kann man nicht davon ausgehen, dass er hier bleibt."

Öffentliche Karrieretipps

Archive können grausam sein. Aus heutiger Sicht erzählt diese Geschichte einen Menge über den Karriereverfall des Bayern-Profis Sebastian Deisler. Heute empfiehlt ihm Lothar Matthäus, nach Mönchengladbach zu wechseln, und Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff sagt in Sport Bild, dass er sich Deisler gut beim Hamburger SV vorstellen könne.

Dies ist die eine Seite der aktuellen Deisler-Debatte, die andere Seite weist weit über Deisler hinaus. Es ist schon nicht üblich, dass ein DFB-Verantwortlicher Karrieretipps öffentlich macht, aber besonders unüblich ist, dass Bierhoff dabei einen konkreten Verein ins Gespräch bringt.

Er hätte auch sagen können, ja gut, er könne sich vorstellen, dass ein Wechsel nicht schädlich sei für Deisler, wobei das, ja gut, natürlich der Spieler und der Verein selbst wissen müssten. Aber so wird nicht mehr geredet beim DFB, seit Jürgen Klinsmann die Geschäfte führt, und so darf man Bierhoffs Vorstoß als weitere Zuspitzung des neuen Arbeitsstils werten.

Manchmal wirkt Klinsmanns Funktionsteam ohnehin wie eine Unternehmensberater-Truppe, und bei diesem Jobverständnis ist es nur konsequent, dass sie auch die Arbeitsplätze ihrer Untergebenen optimieren wollen.

"Nebengeräusche"

In der Politik würde man so etwas eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten nennen, weshalb nicht verwunderlich ist, dass die Liga das mit Skepsis zur Kenntnis nimmt. "Jeder ist für seine Bereiche zuständig, das müssen die Herren Klinsmann und Bierhoff jetzt einmal akzeptieren und uns nicht reinreden", sagte Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge der AZ.

"Wir können sicher sein, dass es nicht viele Spieler gibt, die Bayern gerne verlassen", hat Trainer Felix Magath süffisant hinzugefügt, aber "solche Nebengeräusche" gebe es halt hin und wieder. Es sei "legitim, dass Klinsmann sich Gedanken über das Wohl seiner Spieler macht", sagt dagegen Manager Uli Hoeneß, der sich nicht vorstellen mag, "dass Oliver Bierhoff das so gesagt hat". Die Münchner möchten den Fall nicht größer machen, als er ist; immerhin hat Klinsmann auch mit ihrer Unterstützung in dieses Amt gefunden.

In jedem Fall zeigt die aktuelle Debatte, wie schwer es ist, vor dieser mit Erwartungen überfrachteten WM die Interessen auszubalancieren. Der FC Bayern denkt an den FC Bayern, der Bundestrainer denkt ans große Ganze. Klinsmann will, dass Deisler spielt, während die Bayern kein Interesse daran haben, dass Klinsmannbierhofflöw den Spieler zu einem Rivalen delegieren.

Es ist nicht mehr zu übersehen, dass Klinsmann das Kürzel DFB inzwischen auch als Deutsche-Fußball-Berufsberatung versteht. Manchmal wirkt es, als habe er eine Art Bündnis für Arbeit installiert. Er hat oft genug gesagt oder seinen Bierhoff sagen lassen, dass man als Nationalspieler im WM-Jahr einen Stammplatz im Verein haben müsse, und natürlich ist das ein Wink gewesen für Robert Huth, Thomas Hitzlsperger oder auch Jens Lehmann.

Der Auswahltrainer singt selbst

So hat Jürgen Klinsmann ein uraltes Problem in aller Stille einmal um die eigene Achse gedreht: Gab es früher oft Ärger, weil Vereinstrainer ihre Profis allzu aufdringlich ins Auswahlteam hineinsangen, so singt nun der Auswahltrainer selbst.

Er scheut sich nicht zu sagen, dass er einen Spieler gerne da oder dort untergebracht hätte - und am liebsten würde er die Spieler dort einquartiert sehen, wo er sie in seinem Sinne behütet weiß.

Es muss einen nicht wundern, dass Bierhoff sich gerade den HSV als Deislers möglichen Arbeitgeber ausgeguckt hat. Er hat gute Verbindungen zu diesem Klub, bei dem er im Sommer 2003 selbst als Sportdirektor im Gespräch war, bevor Dietmar Beiersdorfer übernahm. Bekannt ist auch, dass Klinsmann und Bierhoff jene aggressive Art von Fußball schätzen, die Trainer Thomas Doll lehrt, und so darf man die Debatte auch als gut geöltes Doppelpassspiel begreifen.

An einem wie Deisler seien sie immer interessiert, antworteten Beiersdorfer und Doll prompt; sie profitieren ja auf jeden Fall von diesem Doppelpass. Sie standen auf der Titelseite mit dieser Story, und man weiß jetzt also, dass der HSV ein Klub ist, dem man sensible Spieler anvertrauen kann.

"Missverstanden"

Auch in Stuttgart, wo Klinsmann gerne mal Vereinsboss Erwin Staudt in der Loge aufsucht, übt man sich im gelungenen Kombinationsspiel. Klinsmann hat wissen lassen, wie sehr es ihn freut, dass Hitzlsperger künftig beim VfB angestellt ist, und als Jens Lehmann im Winter auf Jobsuche war, wurde der VfB als neuer Arbeitgeber gehandelt.

Das mit Deisler habe Bierhoff nicht so gemeint, sagte Klinsmann auf dem DFB-Bundestag in Mainz, er sei "missverstanden" worden. Ein nützliches Missverständnis war es allemal.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: