Klinsmann und der US-Auftaktsieg:Glücksmoment des Motivators

World Cup 2014 - Group G - Ghana - USA

Jürgen Klinsmann feiert den 2:1-Treffer gegen Ghana mit seiner Mannschaft.

(Foto: dpa)

Während des Spiels gegen Ghana wird klar, warum Trainer Jürgen Klinsmann vor der WM die Chancen der US-Elf kleinredete. Tatsächlich gelingt der Sieg nur mit einer großen Portion Glück. Doch der stets optimistische Schwabe hat für sich und sein Team eine nahezu perfekte Ausgangssituation geschaffen.

Von Martin Anetzberger

Nach der 1:0-Führung gegen Ghana wurde offensichtlich, warum US-Trainer Jürgen Klinsmann vor der WM in Brasilien seine Mannschaft als eher chancenlos hingestellt hatte. Gut gebräunt im dunkelblauen Poloshirt stand der Wahlamerikaner am Spielfeldrand, reckte beide Fäuste und brüllte: "Go, go, go, go." Es war bereits die erste Durchhalteparole in einem Spiel, das gerade einmal 30 Sekunden alt war und durch den Treffer von Clint Dempsey spektakulär begonnen hatte.

Dem 49-jährigen Schwaben war aber da wohl schon bewusst, was folgen würde: wütende Angriffe einer spielerisch überlegenen und körperlich starken ghanaischen Mannschaft, die allerdings ohne Kevin-Prince Boateng und Michael Essien ins Spiel gegangen war. Und Klinsmann war auch bewusst, dass seine Spieler dem nur Willen und Laufbereitschaft entgegenzusetzen hatten. Doch am Ende gewann das US-Team mit 2:1.

Damit hat Klinsmann einen nahezu idealen Start hingelegt. Seine taktische Bescheidenheit ist aufgegangen. Mit seinen Aussagen vor dem Turnier hatte er den Druck von seiner spielerisch limitierten Mannschaft nehmen wollen. Dass er sich damit den Groll der amerikanischen Öffentlichkeit zuzog, war ihm egal.

Nach der Partie in Natal sagte Klinsmann nun: "Am Ende des Tages haben wir die drei Punkte bekommen, die wir unbedingt haben wollten. Wir haben einen großen Spirit in der Mannschaft. Es war ein harter Kampf, der sich gelohnt hat. Es gibt sicherlich noch Dinge zu verbessern, aber Ghana war auch eine verdammt gute Mannschaft."

Es sind die bewusst gewählten Worte eines Motivationskünstlers. Denn der Sieg war einer großen Portion Glück geschuldet - und Torwart Tim Howard. Ghana ließ einige gute Gelegenheiten zum Ausgleich aus, ehe André Ayew (82.) doch noch das 1:1 schoss. Vier Minuten später traf John Brooks per Kopf zum 2:1-Endstand, was sicherlich nicht daran lag, dass der Hertha-Spieler zwei Tage vor dem Spiel von diesem Siegtor geträumt haben will. Außer dem 1:0 und einem Schuss von Jozy Altidore (19.) war dies die einzige gefährliche Aktion der Amerikaner.

Das muss auch Klinsmann registriert haben, der das Tor von Brooks auch als persönliche Genugtuung empfand. Schließlich war die Nominierung des 21-Jährigen nicht unumstritten. "John hat heute sein erstes WM-Spiel gemacht, und dann so etwas. Wahnsinn, das ist ein großer Moment für den Jungen", sagte er. Den ehemaligen Bayern-Stürmer und amerikanischen Rekordtorschützen Landon Donovan hatte Klinsmann wegen mangelnder Fitness zur Verwunderung vieler in den USA nicht in den Kader berufen.

Hoher Preis für den Sieg gegen Ghana

Die Fitness gilt wegen der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit an vielen WM-Spielorten als entscheidender Faktor. Die Amerikaner haben sich einen Monat lang auf das Turnier in Brasilien vorbereitet. Dennoch musste Klinsmann am Montag gleich drei Spieler wegen muskulärer Probleme auswechseln. Altidore griff sich bereits nach 20 Minuten im Laufen hinten an den Oberschenkel und ging mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden, er fällt wohl vorerst aus. Auch Matt Besler und Alejandro Bedoya mussten später vom Platz. Angeschlagen ist auch Torschütze und Kapitän Dempsey. Er brach sich die Nase, als Ghanas John Boye ihn mit dem Schienbein traf.

Für ihren Sieg haben die USA also einen hohen Preis bezahlt. Die Ausgangsposition vor den weiteren Gruppenspielen könnte aber nicht besser sein. Als nächsten Gegner trifft Klinsmanns Elf am Sonntag nicht auf die euphorisierten Deutschen, sondern auf die niedergeschlagenen Portugiesen.

Motivator Klinsmann wird das zwar öffentlich nicht kommunizieren, aber sein Ziel kann nur sein, die Mannschaft um den angeschlagenen Cristiano Ronaldo aus dem Turnier zu werfen und den eigenen Einzug ins Achtelfinale gleich im zweiten Gruppenspiel perfekt zu machen. In diesem Fall dürften in den Staaten sämtliche Kritiker verstummen. Das Spiel findet im Stadion der Tropenstadt Manaus statt, Engländer und Italiener haben dort bereits erlebt, wie schwierig es ist, in extrem feuchter Luft spielen zu müssen.

Klinsmann wird auch das nicht davon abhalten, seine Mannschaft wild vom Spielfeldrand aus anzufeuern und nach jedem Tor die halbe Welt zu umarmen. Das war schon kurz nach dem Spiel gegen Ghana klar. "Die (Portugiesen, Anm. d. Red.) stehen nach der Niederlage gegen Deutschland unter Druck, aber wir freuen uns auf das Spiel", sagte Klinsmann. "Denn das sind die Momente, für die wir hier sind."

Mit Material vom sid.

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