Kim Ja-scho:Akustische Fata Morgana

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Wo über Tage hektisches Treiben herrschte, ist es nun ruhig im Pressezentrum. Da vermisst man selbst einen Kollegen, der sonst immer alle genervt hat.

Von Volker Kreisl

Abends, wenn Ruhe einkehrte im Hauptpressezentrum, dann war er hellwach. Seine Stimme war zugleich penetrant und beruhigend. Sie wechselte zwischen hohen Tönen und Bässen, zwischen Aufregung und Coolness. Zwischen Geschnatter und Bärenbrummen. Und jetzt ist sie weg.

Es war die richtige Mischung, die, nennen wir ihn Jeremy Z., in seiner Stimme hatte. Dennoch zuckten die Kollegen aus aller Welt im Pressezentrum zusammen und fluchten innerlich, wenn Z. sie wieder aus dem soeben gefundenen Schlüsselgedanken herausriss, wenn er anhob: "This is CBS-Sportsradio from Pyeongchang. Alpine Skier Lindsey. . .". Weil die Stimme von Z. auch durch Mütze und Kopfhörer schnitt, versiegte der Fluss des Schreibens, Zorn wallte auf und kippte über in Nächstenliebe aus Eigennutz. Man begann, ihm insgeheim beizustehen, ihm telepathisch über den immer gleichen Versprecher, wegen dem er seine Aufnahme von vorne beginnen musste, hinwegzuhelfen.

"This is CBS-Sportsradio. . ." Im Grunde verdienen Kollegen wie der unerschrockene US-Amerikaner Z. Bewunderung. Sie arbeiten beim guten alten Radio, einem Medium, das nicht nur Begleiter ist, sondern gegebenenfalls zu einem guten Freund werden kann. Radionachrichten, zumindest solche wie von Z., werden noch nachts auf der anderen Seite der Welt mit einem grün und rot blinkenden Gerät aufgenommen, das in einem Rollkoffer transportiert werden muss. Z. ist übrigens ein älterer Herr. Aber jetzt ist er weg! Wo bleibt er bloß?

Einmal war man ins Gespräch gekommen. Kurz und unverbindlich, aber lang genug, um alle Vorurteile über Bord zu werfen. Z. ist leidenschaftlicher Olympiareporter, "since 1984!" Das waren die Winterspiele in Sarajewo, der Mann hat was erlebt. Auf die vorsichtige Frage, welche Tricks Radioleute gegen hartnäckiges Versprechen denn so parat haben, brummte er: "Ich weiß, ich weiß, ich bin immer sehr laut."

Es ist nun ruhig im Hauptpressezentrum, zu ruhig. Irgendetwas fehlt. Die Spiele gehen ihrem Ende zu, viele Kollegen sind schon abgereist, wohl auch Z. Wo er jetzt wohl ist? Was soll's, ein paar Texte noch, dann fliegen wir alle wieder nach Hause, und das Leben geht seinen gewohnten Gang.

"This is CBS-Sportsradio from Pyeongchang. . ." Da! Was war das? War es vielleicht eine akustische Fata Morgana? Es ist ja schon fast Mitternacht! Nein, das war keine Einbildung, das war Z., das muss er gewesen sein.

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