Kerber vor Wimbledon:Zurück in die Komfort-Zone

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Abglanz: Findet die Nummer eins der Welt bei Wimbledon zurück zu der Form, die sie an die Weltspitze brachte? (Foto: Gareth Fuller/dpa)

In Wimbledon will Angelique Kerber eine missratene Saison kippen. Sie verändert aber nur Kleinigkeiten.

Von Barbara Klimke, London

Die Tür ging auf, Angelique Kerber blickte in die Runde, nahm Platz vor einer dezent tapezierten Wand in den Klubfarben Grün und Lila und sagte: "Es ist schön, wieder hier zu sein." Das ist zunächst kein ungewöhnlicher Satz in Wimbledon, dem Tennisklub mit den weltweit besten Manieren, wo jedem Besucher die Türen aufgehalten werden, wo die kleinste Bitte mit einem freundlichen "Yes, Ma'am" erwidert wird und wo sich sogar der Sicherheitsmann am Eingang nach dem Wohlergehen erkundigt und dann eine Konversation übers Wetter beginnt. Höflichkeitsformeln wie "Schön, wieder hier zu sein" gehören zum guten Ton bei diesem Turnier und werden von jedem Spieler bei der ersten Pressekonferenz erwartet. Im Fall von Angelique Kerber allerdings hätte nicht viel gefehlt und sie hätte noch einen tiefen, innigen Seufzer nachgeschickt.

Sie habe immer sehr gut im All England Club an der Church Road gespielt, erzählte Kerber. Sie liebe Tennis auf Rasen, kenne die Gegend gut und freue sich immer, dass das Turnier im grünen Londoner Vorort Wimbledon den Profis die Möglichkeit bietet, sich in unmittelbarer Nähe der Anlage in einer Wohnung einzuquartieren. Mit anderen Worten: "Ich fühle mich wohl hier." Schon als sie am Freitag erstmals wieder durch das schmiedeeiserne Tor schritt, hätten "eine Menge schöner Erinnerungen" sie begleitet. Zum Beispiel jene an das Endspiel im vergangenen Jahr, in dem sie schließlich einer großartig aufschlagende Serena Williams in zwei Sätzen unterlag. "Ich kann von jetzt an immer sagen", schloss Kerber, "dass ich hier in diesem Finale stand."

Zweifellos gehört dieser Sommertag vor einem knappen Jahr zu den Glanzlichtern ihrer Karriere. Aber was Angelique Kerber nicht erwähnte, war der allseits bekannte Fakt, dass einige Tage in ihrer Vita noch heller strahlen - jene beiden Anlässe im Jahr 2016, bei denen sie nicht nur in Grand-Slam-Finals stand, sondern diese auch gewann, in Melbourne und New York. Angelique Kerber, 29, geboren in Bremen, ist noch immer die Nummer eins der Tennis-Weltrangliste. Auch wenn sie sagt, dass sie daran derzeit nicht allzu viele Gedanken verschwenden möchte.

Auf Rasen fühlt sich Kerber wohl, langsam kehrt das Selbstvertrauen zurück

Denn die erste Hälfte des Jahres ist aus ihrer Sicht alles andere als prachtvoll verlaufen. Der Tiefpunkt war vermutlich in der Sandplatz-Saison erreicht, als sie bei den French Open gleich in der ersten Runde scheiterte - immerhin als statistisch Beste der Welt. In den sechs Monaten von Januar bis Juni ist sie zu 13 Turnieren rund um den Globus gereist: Viermal kam sie bis zur zweiten Runde, einmal bis zur dritten, zweimal bis zur vierten, dreimal ins Viertelfinale, einmal (in Dubai) ins Halbfinale und einmal sogar bis ins Endspiel (in Monterrey). Die Bilanz lautet: 19 Siege, 13 Niederlagen. Kein Wunder, dass sie dies alles möglichst schnell vergessen will.

In den vergangenen Tagen hat sich Angelique Kerber nun auf den Rasenplätzen von Eastbourne, an der englischen Küste, für Wimbledon warm geschlagen. Die Oberschenkelverletzung, die sie kürzlich zur Absage beim Turnier in Birmingham zwang, ist offenbar kuriert. Auf Gras, sagt Kerber, fühle sie sich eindeutig besser, und langsam kehrt wohl auch die jüngst verlorene Selbstsicherheit zurück: "Ich habe in den vergangenen Wochen hart trainiert. Und ich weiß, wenn man hart arbeitet, dann wird man bei manchen Punkten auch die Resultat dieser Arbeit sehen."

Kerber versucht, sich den Druck zu nehmen

Der Schock von Paris hat sie zum Nachdenken über ihre Arbeitsweise und ihre Trainingsroutine gezwungen, aber auch über den Druck, den sie sich selbst auferlegt. Seitdem, sagt sie, habe sie "viele Kleinigkeiten geändert". Sie versucht, sich mehr Freiräume zu verschaffen, nicht mehr zweimal, sondern nur noch einmal am Tag zu trainieren, dann aber länger als früher: "Der ganze Ablauf ist entspannter geworden."

Das Turnier in Wimbledon soll nun auch im Turnieralltag den Neustart einleiten. Angelique Keber, an Nummer eins der Setzliste geführt, wird als Vorjahresfinalistin die Ehre zuteil, den Wettbewerb auf dem Center Court gegen die amerikanische Qualifikantin Irina Falconi offiziell zu eröffnen; Serena Williams fehlt wegen ihrer Schwangerschaft. Die Wende wird möglicherweise noch nicht gleich in den kommenden beiden Wochen folgen, auch das ist Kerber bewusst. Sie hat sich bis Jahresende Zeit gegeben, wieder zu alter Form und Schlagkraft zu finden. Dass sie am 30. Juni, dem letzten Tag des elenden ersten Halbjahrs, durch das schmiedeeiserne Tor schritt, kann ein gutes Omen sein.

© SZ vom 02.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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