Australian Open:Kerbers quälende Jagd

Angelique Kerber verliert gegen Simona Halep bei den Australian Open

Am Ende ihrer Kräfte: Angelique Kerber verliert in Melbourne.

(Foto: REUTERS)
  • Sie jagen sich, sie scheuchen sich, sie leiden: Angelique Kerber und Simona Halep zeigen im Halbfinale von Melbourne großes Tennis.
  • Am Ende siegt die Rumänin mit allerletzter Willenskraft - die Deutsche vergibt Matchbälle.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Australian Open.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Am Ende war es eine Jagd. Eine gegenseitige Jagd. Als hätte jemand ein Signal dafür geblasen und als hätten Angeliqe Kerber und Simona Halep das als Zeichen verstanden: Gut, also dann mit Gebrüll auf die andere!

Und so scheuchten sie einander. Sie quälten sich von links nach rechts und von hinten nach vorne. Sie schnauften, sie fluchten, sie jubelten. Manchmal konnten sie nicht mehr. Dann stützten sie sich auf den Knien ab. Oder gingen in die Hocke. Selbst beim Zuschauen strengte diese Auseinandersetzung an. Wie mussten sich diese beide erst fühlen? Erschwerend kam ja hinzu: Keine konnte die andere besiegen.

Halep hatte zwei Matchbälle. Kerber hatte zwei Matchbälle. Aber es ging weiter. Und weiter.

Im Finale trifft Halep auf Caroline Wozniacki

Bis es dann doch passierte und nach 2:20 Stunden dieses Halbfinale der Australian Open ein Ende fand. Weil im Tennis einfach eine verlieren muss. So sind die Regeln.

Als am Abend um viertel vor sieben Uhr Ortszeit Simona Halep in der Rod Laver Arena zu Rennae Stubbs schritt, zum Siegerinterview, war Kerber schon weg. Sie hatte ihr viertes Grand-Slam-Finale verpasst, nach den dreien zuvor in ihrem verrückten Jahr 2016, als sie in Melbourne und New York triumphiert hatte und in Wimbledon nur Serena Williams im Endspiel unterlegen war. Nach dem 6:3, 4:6, 9:7-Erfolg hat Halep nun ihrerseits ihre dritte Chance, endlich ihren ersten Grand-Slam-Titel zu holen. 2014 und 2017 hatte sie in Paris bei den French Open ihre Finals jeweils verloren, gegen Maria Scharapowa und Jelena Ostapenko.

Hätte Halep jetzt verloren, wäre sie vielleicht die noch tragischere Gestalt gewesen. Halep hatte so viele Vorteile auf ihrer Seite, um Kerber auf Distanz zu halten. Sie hatte Spielbälle, um davonzuziehen. Im zweiten Satz etwa auf 4:1. Oder auf 5:3. Aber immer wenn Kerber an der Klippe stand und der Abgrund vor ihr auftauchte, kam sie zurück. Diese Fähigkeit hatte ihr 2016 zwei Grand-Slam-Titel eingebracht. 2017 konnte sie diese Kunstform nicht beibehalten, sie war verkrampft in der Rolle als neue deutsche Größe. 2018 aber ist Kerber wieder zäh wie eine Gummiwand. "Von ihr kommt alles zurück", sagte Halep danach, sie quälte sich auch beim Reden. Die Kraft ließ nach. "Ich bin froh, dass ich so dagegenhalten konnte", sagte sie.

Im Finale trifft Halep nun am Samstag auf Caroline Wozniacki. Die Dänin, Zweite der Weltrangliste, besiegte die Belgierin Elise Mertens mit 6:3, 7:6 (2). Entweder gewinnt Wozniacki ihren ersten Grand-Slam-Titel. 2009 und 2014 stand sie erfolglos im Finale der US Open. Oder eben Halep. In jedem Fall wird der Siegerin dieser Australian Open etwas gelungen sein, was Kerber 2016 gelang: den Titel zu gewinnen, nachdem man zuvor in einem Match einen Matchball abgewehrt hatte.

Kerber schaffte das damals in Runde eins gegen die Japanerin Misaki Doi. Wozniacki gelang es nun in der zweiten Runde gegen die Kroatin Jana Fett. Zwei entscheidende Bälle wehrte sie da ab. Halep gelang dies in der dritten Runde gegen die Amerikanerin Lauren Davis - drei wehrte sie da ab, ehe sie Satz drei mit 15:13 halb kriechend gewonnen hatte. Halep leidet zusätzlich dieser Tage an einer Knöchelverletzung.

Das Prickelnde im Finale: Die Siegerin wird auch die Nummer eins der Welt sein. Halep wird es bleiben. Oder Wozniacki wird dazu. Von 2011 an war sie es schon mal, 67 Wochen lang.

Kerber hat nun nach 14 Siegen in Serie erstmals in dieser jungen Saison verloren. Und das Eigenwillige war: Sie ging erstmals in dieser Saison merklich angespannt, gehemmt in eine Partie. Ihr Flow war anfangs nicht so da wie zuvor. Sie fand partout nicht gut in Partie, ja, sogar schrecklich schlecht, wie sich erweisen sollte. Ihr unterliefen sofort drei leichte Fehler, sie verlor ihr Aufschlagspiel zum 0:1. Im nächsten Spiel: zwei unforced errors. Danach: drei mangelhafte Schläge. 0:3 nach sieben Minuten. Die Körpersprache verriet: Dieser Satz könnte jetzt schon verloren sein.

Kerber kommt immer wieder zurück

Kerber starrte beim Gehen auf den blau gefärbten Hartplatz, Halep wirkte präsent, bereit. Sie bewies genau jene Haltung, die sich Kerber in diesem Turnier, in diesem Jahr vorgenommen hatte: Sie wollte den Gegnerinnen zeigen, "dass ich da bin". Halep gelang vieles. Ein Ass. Ein Netzroller. 0:4. Dann schon wieder: 0:40 bei Aufschlag Kerber. 0:5. Da zeigte die digitale Uhr in der Ecke des Courts: 13 Minuten. 3:6 hieß es nach 25 Minuten.

Diese Partie, das war klar, würde diejenige gewinnen, die ihre Nerven am besten kontrollierte. Halep ist ja auch keine, die immer nur so cool bleibt wie ein Pilot bei Turbulenzen. Bei den French Open im vergangenen Jahr hatte sie mit Satz und Break im zweiten Satz gegen die Lettin Ostapenko geführt - und brach ein.

Es folgte der zweite Satz: Halep verteidigte ihren Service, 1:0. Kerber auch. Erstmals ihr Ruf: "Komm jetzt!" Bei 1:2, 0:15 stocherte sie wieder einen Vorhandball tief ins Netz. Das sah unrund aus, verkrampft, sie bewegte sich nicht frei. Ihr blieb jetzt nur der Wille. Break, 1:3. Halep hat Spielball zum 4:1, der Konter. Der Wille, auf den kann sie sich verlassen, wieder. 2:3. Die Zuschauer klatschten verhalten, noch. Die Ekstase sollte noch kommen. Ende des zweiten Satzes folgte Pointe auf Pointe. Halep hatte die Chance auf das 5:3, ließ sie aus, Kerber drehte den Satz - 6:4.

Beide rieben sich im dritten Satz zunehmend auf, gruben sich in zehrende Ballwechsel ein. Bis zum 4:3 zog keine davon, dann nahm Halep Kerber das Aufschlagspiel ab, 5:3, nun schlug sie zum Sieg auf. Halep war aggressiver in der Phase, aber dann: riskierte Kerber plötzlich mehr. Es folgte ein Ballwechsel für die Geschichtsbücher. 26 Mal flog die Kugel hin und her. Am Ende punchte Kerber den Ball cross ins Feld. Sie sank auf die Knie. 4:5. Die 15 000 Zuschauer schrien mit auf.

Halep war dann die erste, die Matchbälle hatte, bei 5:4, 15:40, Aufschlag Kerber. Und wieder die Pointe. "Eine Achterbahn" sei diese Partie gewesen, sagte Halep. Das war sie. Kerber konterte, 5:5. Gar das Break. 6:5. Und zwei Matchbälle für die Deutsche. Eine Vorhand im Aus, ein Winner für Halep, vorbei. Bei 7:8 dann aus Sicht Kerbers nutzt Halep ihren vierten Matchball. Mit Mühe schafften es beide, sich die Hand zu geben. Sie waren ausgelaugt, die beiden, die sich so gejagt haben.

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