Karriere nach dem Fußball:Bücher statt Gegner studieren

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Danny Schwarz - als 22-Jähriger im Trainingslager in Dubai

(Foto: imago/Sportfoto Rudel)

Sie saufen, zocken oder gehen pleite: Nach ihrer aktiven Laufbahn scheitern Profis oft an ihrem neuen Leben. Manche Vereine bilden ihre Spieler deswegen weiter. Damit auch die zweite Karriere gelingt.

Von Benedikt Warmbrunn

Am Anfang war ein Wort. Dann noch eins. Noch eins. Immer mehr Wörter wurden es, kurze, lange, fremde. Wörter, Wörter, Wörter. Aus Wörtern wurden Sätze, aus Sätzen wurden Seiten, aus Seiten wurden Kapitel. Es blieb: ein Buchstabenchaos. Es begann das kurze Lernen und Leiden des Fußballprofis Stefan Buck.

Ein Fußballprofi leidet seine gesamte Karriere lang, er lernt es, die Leiden seines Körpers zu akzeptieren, Muskelkater, Verletzungen, und irgendwann die Grenzen. Ein Fußballprofi leidet psychisch, an Mitspielern, an Trainern, an Gegnern, auch das lernt er zu akzeptieren. Ein Fußballprofi leidet aber nie, weil er lernt. Es sei denn, er weiß, dass er nicht mehr lange Fußballprofi sein wird.

Ein Hinterzimmer in einem Münchner Hinterhofhaus. An den Wänden Bücher, überall Bücher, dünne, dicke. Bücher, Bücher, Bücher. Stefan Buck sitzt zwischen den Büchern, er erzählt entspannt. Die Welt der Bücher ist ihm nicht mehr fremd.

Neben Buck sitzt Danny Schwarz, sie sind in den Räumen der Bayerischen Akademie für Werbung und Marketing (BAW), dort, wo sie als Studenten ihren Sportmarketing-Abschluss gemacht haben. Sie saßen dort mit Menschen aus anderen Berufen, alle wollten sich weiterbilden, manche wollten ihre Karrierechancen verbessern. Buck und Schwarz studierten, um eine neue Karriere zu starten. Buck, 34, Innenverteidiger beim FC Bayern II, 19 Spiele in der Bundesliga, 132 in der zweiten, und Schwarz, 39, Co-Trainer der U19 des FC Bayern, 122 Spiele in der Bundesliga, 185 in der zweiten, DFB-Pokalsieger von 1997, sitzen dort, um zu erzählen vom Leben nach dem Leben als Profifußballer.

Es gibt drei Wege, die Fußballprofis nach ihrem Karriereende beschreiten können. Sie bleiben im Fußball, als Trainer, Manager, TV-Experte, es ist ein schwerer Weg, nur wenige sichern sich über Jahre einen der begehrten Plätze. Oder sie bleiben nicht im Fußball, machen etwas ganz anderes, es ist auch ein schwerer Weg, auf einmal interessiert sich die Öffentlichkeit nicht mehr für sie. Oder aber sie scheitern. Dann saufen sie, zocken, gehen pleite und werden peinlich. Wie schwer es ist, nach der Karriere den richtigen Weg zu finden, war vor wenigen Monaten an Andreas Brehme zu erkennen. Der Weltmeister von 1990 stand in den Schlagzeilen, weil er seine Schulden nicht mehr zahlen konnte.

"Erst in den letzten zwei Jahren beschäftigt man sich mit der Zeit danach"

Auch Buck und Schwarz kennen ehemalige Mitspieler, denen nach der Karriere nicht alles gelungen ist, die zu lange an ihrem alten Leben festhalten wollten, die sich erst spät in ihrem neuen Leben zurechtgefunden haben. Es gibt seit vielen Jahren die Schreckensgeschichten über die schwere Zeit danach - warum also fällt der Übergang weiter so vielen Profis schwer? "Man sagt ja immer, dass man sich früh auf sein Karriereende vorbereiten soll", sagt Schwarz, "aber insgeheim möchte man das mit 25 noch nicht." Er selbst hatte sich mit Mitte 20 für ein Fernstudium eingeschrieben, er bekam die Unterlagen, er schaute sie sich an - aber der Gedanke an die Zeit danach war abstrakt. "Ich habe mir nie gedacht: Oh je, was ist in zehn Jahren? Erst in den letzten zwei Jahren der Karriere beschäftigt man sich mit der Zeit danach. Davor hofft jeder, dass er in die oberen zehn Prozent rein rutscht. Und sich mit 35 keine Gedanken mehr machen muss."

Schwarz war 37, als seine Zeit als Profi vorbei war. Er hatte Glück: Es ging sofort weiter. Die U19 stellte ihn als Co-Trainer ein. Einen Job, den Schwarz vor einem Jahr beinahe aufgegeben hätte, er hätte bei einem Versicherungskonzern anfangen können; für Finanzen hatte er sich schon als Spieler interessiert. Dann hörte er vom Studiengang an der BAW, mit der der FC Bayern kooperiert; durch den Studiengang konnte Schwarz bei der U19 bleiben. Also studierte er, es ging ja auch um Finanzen, dazu um Marketing, Management. In der BAW hörte er sich die Vorlesungen an, unter anderem von einem Start-up-Unternehmer, lange Haare, angefahren auf einer Harley Davidson, seine Botschaft: Alles ist möglich. Inzwischen arbeitet Schwarz in der Marketingabteilung im Kids Club des FC Bayern, nachmittags geht er runter zum Training der U19.

Ein Gedanke, der täglich größer wird

Ist der weiterdenkende Schwarz nun ein Spieler, der sich nicht hat blenden lassen von den angenehmen Jahren als Profi? Oder hat ihn auch die BAW aufgefangen? Vielleicht sogar der FC Bayern?

Ein großes Zimmer im großen Gebäudekomplex des FC Bayern. An den Wänden Abdrucke der Erfolge des Vereins: Sportler auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, Freude in den Gesichtern. Kein Leiden in den Gesichtern. Andreas Jung, Marketingvorstand des Klubs, hört sich die Geschichte von Schwarz an, dann sagt er: "Was nach der Karriere kommt, liegt in der Verantwortung des Spielers."

Jung findet aber: nicht nur in der des Spielers. Das sehen immer mehr Vereine so. Der Zweitligist SpVgg Greuther Fürth hat im November in Kooperation mit der Sportbusiness Campus GmbH den Kleeblatt Campus gegründet, in einer Klasse studieren nun neun Fürther Profis und zwei Eishockeyspieler der Nürnberg Ice Tigers.

Für den FC Bayern hatte Jung 2012 die Kooperation mit der BAW eingeleitet, ihm gefiel der praxisnahe Ansatz, ihm gefiel, dass der Klub sich von einer akademischen Seite zeigen konnte, die Kooperation ist auch Werbung; im vergangenen Jahrgang hat Jung eine Vorlesung gehalten, in der Kabine der Profis. Und ihm gefiel, dass der FC Bayern eine soziale Verantwortung für eigene Spieler übernehmen konnte. Jung sagt: "Grundsätzlich sollte jeder Spieler, der sich weiterbilden will, die Chance dazu haben." Angesprochen auf Geschichten wie die von Andreas Brehme, sagt Jung: "Sensibilisiert sind wir grundsätzlich." Sie sprechen Spieler an, vor allem die, die lange für den Verein spielen. Für den Studiengang, der im Herbst begonnen hat, war auch Gianluca Gaudino eingeschrieben. Dann begann die Vorbereitung der Profis, Gaudino debütierte in der Bundesliga, er wurde noch vor der ersten Vorlesung exmatrikuliert. Er darf weiter davon träumen, sich mit 35 keine Gedanken mehr machen zu müssen.

In der Karriere des Stefan Buck dagegen ging es jahrelang immer wieder ein bisschen nach oben. Die Freunde, mit denen er das Abitur gemacht hatte, begannen ein Studium, beendeten ein Studium. Er selbst "hatte dafür nie die Energie". Erst als er 2012 von 1860 München zum FC Bayern II in die Regionalliga wechselte, dachte er an die Zeit danach. "Irgendwann kommst du als Fußballprofi einfach zeitlich und gesundheitlich an dein Ende." Es war ein Gedanke, der täglich größer wurde.

Irgendwann sprach ihn Wolfgang Dremmler an, der Leiter der Nachwuchsabteilung. Er erzählte von der BAW. Es war ein Vorschlag, der den Gedanken an das Ende beruhigte. Buck trainierte und spielte weiter mit dem FC Bayern II. Und er lernte ein neues Leiden kennen. Das Lernen. "Am Anfang bin ich abends oft nach Hause gekommen, und es fiel mir schwer, die Augen offen zu halten." Buchstaben, Wörter, Seiten, Kapitel, dann alles zusammenfassen. "Erst mit der Zeit habe ich gelernt, mich auch zu entspannen. Es nicht so eng zu sehen. Und auf einmal fiel mir das Lernen und Verstehen viel leichter." Er lernte, das Leiden eines Lernenden zu akzeptieren.

Im Herbst haben Buck, Schwarz und ihre Kommilitonen die Diplome überreicht bekommen. Buck weiß nicht genau, was er mit seinem Diplom machen will, vielleicht demnächst ein Praktikum. Erst einmal wird er ohnehin weiterspielen, mindestens noch diese Saison, vielleicht länger. Er ist ganz ruhig. Er weiß, dass er an diesem Leben nicht ewig festhalten muss.

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