Kampf gegen verbotene Substanzen:"Damit kann man Eigenblut-Transfusionen aufdecken"

Antidoping-Fahnder Bengt Saltin über neue Formen strategischer Dopingtests und die Studie zum Streit um Evi Sachenbacher-Stehle.

Thomas Hahn

SZ: Professor Saltin, am Wochenende stellen Sie bei einem Antidoping-Symposium in Lausanne die Ergebnisse Ihrer Blutstudie vor, die von einem Streit mit dem Deutschen Ski-Verband (DSV) ausging.

Sachenbacher-Stehle

"Laut Studie ist sie im normalen Bereich": Saltin über die Hämoglobin-Werte von Evi Sachenbacher-Stehle.

(Foto: Foto: dpa)

Was können Sie sagen über den Hämoglobin-Wert der Langläuferin Evi Sachenbacher-Stehle, die vor Olympia in Turin wegen einer erhöhten Konzentration des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin von 16,4 g/dl eine Schutzsperre absitzen musste?

Saltin: Und über Jens Filbrich, der zu Beginn der vergangenen Saison auch eine Schutzsperre bekam, ja. Aber ob nun mehr deutsche Langläufer eine Ausnahmeregelung bekommen, hat nicht wirklich etwas mit der Studie zu tun. Es ging darum zu erforschen, wie stabil der Hämoglobin-Wert bei Ausdauerathleten ist. Der Hauptgrund der Studie ist, der Welt-Antidoping-Agentur Wada Informationen zu geben, damit sie eines Tages einen Athleten-Pass im Kampf gegen Doping einsetzen kann.

SZ: Was ist das Ergebnis der Studie?

Saltin: Nach der Studie ist die Konzentration des Sauerstoff transportierenden Hämoglobins ziemlich stabil. Was auch immer sie tun: laufen, trinken, essen. Natürlich gibt es Schwankungen, aber die sind bei Eliteathleten nicht anders als bei normalen Leuten. Und wenn es Schwankungen gibt, dann sind sie extrem. Aber immer nur in Verbindung mit Training in sehr großer Höhe - auf 2500 bis 3000 Metern - und Dehydratation; wenn also der Körper zu wenig Wasser hatte.

SZ: Sie fühlen sich bestätigt?

Saltin: Keine Frage. Was die Literatur zu dem Thema sagt und wie wir es betrachtet haben, wurde bestätigt. Aber wir haben eine weitere Erkenntnis gewonnen: dass man nämlich die Möglichkeit, die totale Menge des Hämoglobins im Blut zu messen, weiter erforschen und sich das genauer anschauen sollte. Wir haben solche Messungen während der Studie gemacht. Und wenn das Hämoglobin so stabil ist wie es aussieht, kann man damit eines Tages nicht nur das Blutdopingmittel Epo aufdecken, sondern auch Transfusionen mit Eigenblut.

SZ: Das wäre ein bedeutender Erfolg. Eigenbluttransfusionen sind noch nicht nachweisbar. Aber was sagt die Studie über Evi Sachenbacher-Stehle?

Saltin: Ich weiß, dass Sie das fragen müssen, aber ... ich bin nicht länger dafür verantwortlich, was die Fis macht. Ich bin im Juni von meinem Amt als Chef der Medizin-Kommission in der Fis aus Altersgründen zurückgetreten. Ich habe nur die Studie gemacht. Natürlich gibt es auch extreme Schwankungen bei den deutschen Langläufern, wenn sie sehr hart in großer Höhe trainierten. Und die Deutschen werden das höchstwahrscheinlich bei ihren nächsten Anträgen auf Ausnahmegenehmigungen verwenden.

SZ: Sehen Sie Ihre Haltung zu Evi Sachenbacher-Stehle geschwächt?

Saltin: Nein. Wir haben die Studien-Werte aus der Ebene und in der Höhe ziemlich sorgfältig studiert und sie mit den Werten verglichen, die wir ohnehin schon in der Fis-Datenbank hatten. Es ist auffällig, wie ähnlich diese Werte sind.

SZ: Der DSV-Arzt Ernst Jakob sagte, dass er Sommer-Daten habe, die eine Ausnahmegenehmigung rechtfertigten.

Saltin: Doktor Jakob und ich haben eine sehr unterschiedliche Sichtweise. Grundsätzlich, aber auch was Evi Sachenbacher-Stehle angeht. Meine Ansicht war schon immer, dass für die meisten Individuen der Hämoglobin-Level stabil ist. Aber diese Erfahrung basierte auf Untersuchungen mit Leuten, die normal trainiert sind. Deshalb war es eine gute Idee, sich in einer Studie jene anzuschauen, die extremes Ausdauertraining machen.

SZ: Gab es eine Grundsatzdiskussion unter Hämatologen zu dem Thema?

Saltin: Das war nur eine Diskussion zwischen Doktor Jakob und mir.

SZ: Doktor Jakob ist in Turin sehr selbstbewusst aufgetreten in dieser Frage.

Saltin: Ich weiß nicht, wie ich Ihnen darauf antworten soll. Ich habe keinen Einfluss darauf, wen der DSV beschäftigt. Aber vielleicht wäre es besser, wenn der DSV jemanden anderen hätte, der diese Art von Arbeit unterstützt.

SZ: Warum?

Saltin: Das kommt leicht auf eine persönliche Ebene. Wir können es so sagen: Es gibt andere in Deutschland, die sich in diesen Dingen besser auskennen als jene, die dem DSV in dieser Sache helfen.

SZ: Jakobs Einfluss auf Trainer und Athleten im DSV scheint groß zu sein.

Saltin: Ja, aber das ist eine Frage, die Sie dem DSV stellen müssen. In dieser Sache kann ich nichts machen.

SZ: Nicht mal Empfehlungen geben?

Saltin: Nein. Ich möchte nur sagen, dass die Fis es gerne sähe, dass die Vertreter der Verbände mit der Fis zusammenarbeiten. Andererseits muss es auch Leute geben, die nicht nur Ja sagen zu den Vorschlägen der Fis. Es muss einen Dialog geben. Leider ist der Dialog mit Doktor Jakob nicht sehr - sagen wir - konstruktiv. Und es ist interessant: Jakob ist weder nach Willingen noch nach Ramsau gekommen, um die Studie zu unterstützen. Ich finde es großartig, dass der Geschäftsführer der Nationalen Antidoping-Agentur, Roland Augustin, während der Fußball-WM Zeit fand, nach Willingen zu kommen. Ich war etwas überrascht, dass Doktor Jakob nicht da war. Ich finde, wenn er an einer fairen Lösung interessiert ist, sollte er an der Studie teilhaben.

SZ: Jetzt, da die Studie Sie bestätigt - muss Evi Sachenbacher-Stehle Konsequenzen fürchten?

Saltin: Der Fall ist abgeschlossen.

SZ: Wir werden nie wissen, ob sie Blutdoping begangen hat?

Saltin: Blutmanipulation durch Transfusion würde ich es eher nennen. Nein, das werden wir nie wissen.

SZ: Wie ist Ihre Beziehung zum DSV?

Saltin: Ich würde sagen, dass man mit den deutschen Langläufern bei der Studie extrem gut zusammenarbeiten konnte. Sie waren sehr nett, sehr kooperativ, es hätte nicht besser laufen können. Und die Trainer und Jakobs Assistent Doktor Uli Schneider haben extrem gut gearbeitet. Unkompliziert, einfach perfekt. Ich war nur sehr, sehr überrascht darüber, wie wenig die Langläufer wussten. Wenn ich mit schwedischen oder norwegischen Langläufern über Blutwerte und solche Dinge rede, wissen sie viel besser Bescheid.

Professor Joachim Mester, Leiter des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der Sporthochschule Köln, begleitete die Studie. Und er nahm sich stundenlang Zeit, um Jens Filbrich, Franz Göring, Evi Sachenbacher-Stehle und den anderen alles zu erklären - Blutvolumen, rote Blutkörperchen, Hämatokrit.

SZ: Evi Sachenbacher-Stehle sagte in Turin, dass sie schon immer einen Hämoglobin-Wert von 16,0 gehabt habe.

Saltin: Das ist ihr so gesagt worden. Die Studie bestätigt das nicht. Und bei all den Werten, die sie jetzt auch Professor Mester gegeben hat, hat sie diesen Wert nur ein Mal erreicht. Das war 2002 kurz vor Olympia in Salt Lake City, da war ihr Wert über 16. Wie in Turin. Aber damals lag der Grenzwert noch bei 16,5 g/dl.

SZ: Das heißt, dass sie nach den aktuellen Grenzwerten schon in Salt Lake City eine Schutzsperre bekommen hätte?

Saltin: Ja. Das war vor der Studie das einzige Mal, dass wir einen offiziell vermeldeten Wert von Evi Sachenbacher-Stehle hatten, der höher als 16,0 liegt. In der Daten-Sammlung, die der DSV vorlegte, um eine Ausnahmegenehmigung für Evi Sachenbacher-Stehle zu bekommen, gibt es überhaupt keinen Wert über 16 - und ich habe das Gefühl, dass wir ein sehr gutes Profil von Evi Sachenbacher-Stehle haben, beginnend 2001.

SZ: Es gibt die Theorie, dass Evi Sachenbacher-Stehles Blut besonders empfindlich auf die Höhe reagiert.

Saltin: Nach den Erkenntnissen der Studie ist sie im normalen Bereich. Aber ich kann wirklich nicht zu detailliert über einzelne Leute sprechen. Wissen Sie, ich hege überhaupt keinen Verdacht gegen die Deutschen, absolut nicht. Es gibt Verdächtigungen gegen einige Langläufer, und wir verfolgen sie mit besonderer Achtsamkeit. Aber die Deutschen gehören nicht zu dieser Gruppe. Die Diskussion hat mehr mit den unterschiedlichen Ansichten von Doktor Jakob und mir zu tun.

SZ: Durch sein Verhalten in Turin hat Jakob den Dopingverdacht erst verstärkt?

Saltin: Er hat die Sache gepuscht, nicht die Fis. Und was die Tatsache angeht, dass Evi Sachenbacher-Stehle bei den Spielen im Gesundheitstest über 16 g/dl war - es ist eine Kleinigkeit für einen erfahrenen Teamdoktor, so etwas zu verhindern. Die Hämoglobin-Werte verändern sich nur unter bestimmten Bedingungen, und jeder weiß, was zu tun ist, um das zu verhindern. Warum das bei Evi Sachenbacher-Stehle nicht passiert ist, können nur die deutschen Team-Ärzte erklären.

SZ: Ist es nicht gesundheitsgefährdend, so viel zu trinken, bis der Hämoglobin-Wert sich wieder normalisiert hat?

Saltin: Sie müssen gar nicht so viel trinken. Es gibt zwei einfache Wege, den Hämoglobin-Wert etwas zu verringern, sie stehen auf der Internetseite der Fis: Sie gehen ein bisschen runter von der Höhe und trinken einen halben Liter Wasser.

SZ: Es gab zwölf Langläufer mit erhöhten Blutwerten in Turin.

Saltin: Die meisten wussten über diese Dinge gar nichts. Sie gehörten zu einer Gruppe von Läufern, die nicht regelmäßig geprüft werden, und viele wohnten im Athleten-Dorf von Sestriere auf 2000 Metern. Zum Beispiel der Äthiopier oder der Kenianer. Ich habe alle Fälle geprüft, die meisten hätten sich verhindern lassen, indem man auf geringerer Höhe wohnt.

SZ: Einer der klarsten Dopingfälle der Geschichte war Johann Mühlegg 2002. Wie sahen dessen Blutwerte aus?

Saltin: An seinem Blutbild sahen wir in der Olympia-Saison 2002 schon im November und Dezember ganz genau, was er machte. Wir sahen, dass er einen normalen Hämoglobin-Level zu Beginn der Saison hatte, der dann anfing zu steigen, dazu schossen seine Reticulocyten - die neu gebildeten roten Blutkörperchen - in die Höhe. Mitte Dezember in Davos hatte er wieder eine sehr niedrige Reticulocyten-Zahl, dafür war der Hämoglobin-Level hoch. Solche Schwankungen sind ein Zeichen dafür, dass der Athlet Epo oder den Epo-Verwandten Nesp verwendet. Das gleiche Bild wiederholte sich im Januar/Februar. Am Ende der Spiele, nach drei Mühlegg-Siegen, hatten wir ihn dann endlich als Nesp-Doper überführt.

SZ: Gab es bei den Deutschen jemals ähnliche Blutbilder wie bei Mühlegg?

Saltin: Vor der WM in Oberstdorf 2005 sahen wir einige Langläufer mit Blutwerten, die für uns so aussahen, als hätten die Sportler Mikro-Dosen von Epo verwendet, um den regulären Epo-Test zu umgehen. Aber im November/Dezember waren wir nicht absolut sicher. Wir sahen nur einen klaren Trend. Hohe Fis-Funktionäre teilten den Verbänden der Läufer mit, dass uns diese Blutwerte nicht gefielen. Danach gab es nichts Verdächtiges mehr. Ich würde sagen, von Oberstdorf an hatten wir den saubersten Langlaufsport, den wir je gesehen haben. Und vor den Turiner Spielen hatten wir viel weniger dieser Fälle. Genauer gesagt: drei. Zwei von ihnen fehlten bei Olympia. Die drei waren keine Deutschen, das kann ich sagen.

SZ: Wie bewerten Sie den Antidopingkampf insgesamt?

Saltin: Ich glaube, die Fis hat das Problem nicht gelöst, aber sie ist so weit gekommen, wie sie nur kommen konnte. Es wird schwer, sich noch mehr zu verbessern. Allerdings hat die Fis den Vorteil, dass es nicht sehr viele Spitzenlangläufer gibt. Das macht die strategischen Bluttests einfacher im Vergleich zum Radsport mit seinen 1400, 1500 Profis. Trotzdem: Der Radsport könnte ein bisschen weiter kommen. Rasmus Damsgaard, ein Kollege aus meinem Institut, hat dem dänischen Radsportverband Hilfe angeboten und will seine Pläne auch dem Weltverband UCI eröffnen.

Wenn er damit durchkommt, könnte sich die Situation verbessern - ohne dass es im Radsport je so gut sein könnte wie im Langlauf. Aber wer wirklich Schritte in die richtige Richtung unternehmen muss, ist der Leichtathletik-Weltverband IAAF. Die Leichtathletik hat ein Problem, das dem des Radsports und des Skilanglaufs in den neunziger Jahren ähnlich ist. Wenn man dort Bluttests einführen würde, könnte man das Problem zum größten Teil lösen.

SZ: Es gibt kein Bluttest-Programm für Leichtathleten?

Saltin: Nein. Die IAAF kann Bluttests von den Athleten verlangen, aber nichts passiert. Leichtathleten können immer noch im Wettkampf auf Epo getestet werden. Aber die Erfahrung zeigt, dass niemand mehr Epo im Urin hat, wenn er bei einer WM startet. Also sind die Epo-Tests bei einer WM mehr oder weniger bedeutungslos.

SZ: Bei der Leichtathletik-EM in Göteborg gab es 23 Athleten mit erhöhten Hämoglobin-Werten.

Saltin: Ja, sie haben hohe Blutwerte.

SZ: So hohe Werte, dass Sie Blutdoping vermuten würden?

Saltin: Über die EM kann ich nicht sprechen. Aber ich weiß es von Weltmeisterschaften und anderen Ereignissen.

SZ: In Göteborg wurde nach der EM das Medikament Actovegin im Mülleimer vor einem Athletenhotel gefunden. Actovegin verbessert den Blutfluss.

Saltin: Das zeigt, dass es viele Blutinfusionen gibt. Und dass manche Leichtathleten wahrscheinlich Substanzen nehmen, die es den Fahndern schwer machen, ihre Methoden aufzudecken. Ob sie Bluttransfusionen nutzen, kann ich nicht sagen. Aber ich wäre nicht überrascht.

SZ: Könnte es sein, dass Sportler eines Tages aufgrund von Blutprofilen des Dopings überführt werden?

Saltin: Ja, das versuchen wir. Die Erkenntnisse der Studie sind eine Hilfe, in dieser Richtung weiterzukommen. Es gibt Ergebnisse von Epo-Tests, die offiziell als negativ gelten müssen, aber verdächtig aussehen, und einhergehen mit erhöhten Hämoglobin-Werten. Es ist nur die Frage, wann ein solcher Fall vor den Sportgerichtshof Cas kommt, um zu versuchen, ihn als Dopingvergehen zu bewerten. Ich muss sagen, ich habe auch noch nicht ganz aufgegeben, was die Turiner Spiele angeht. Im November werde ich nach Rom reisen. Dort liegen die Proben von Olympia. Die werde ich nochmal prüfen.

SZ: Sie könnten in Rom nachträglich Dopingvergehen aufdecken?

Saltin: Ich erzählte Ihnen doch von den drei Langläufern, die wir verdächtigten, Mikrodosen von Epo verwendet zu haben und von denen dann zwei in Turin fehlten. Von denen haben wir Daten aus Bluttests und Urintests auf Epo aus der vergangenen Saison. Die können wir mit den Tests von Turin vergleichen. Dann werden wir sehen. Ich sagte ja, dass einer der Verdächtigen bei Olympia am Start war. Wenn wir ein gutes Blutprofil haben, das den zweifelhaften Eindruck der verdächtigen Epo-Probe bestätigt, könnten wir den Athleten des Dopings beschuldigen.

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