Kampf gegen Doping:"Ich bin ja der Depp, wenn ich nichts nehme"

Dopingaffären und kein Ende: Bayerns Justizministerin Beate Merk über Lücken des Antidopingkampfs und die Notwendigkeit von Gesetzen.

T. Kistner

Beate Merk, 51, bayerische Justizministerin seit 2003, schiebt unter dem Eindruck endloser Dopingaffären die Diskussion über ein deutsches Antidoping-Gesetz neu an. Zwar wurde 2007 das Arzneimittelgesetz leicht verschärft, Merks Entwurf für ein eigenes Antidoping-Gesetz fand aber keine Mehrheit. Ihr Bemühen, Sportbetrug effektiv und strafrechtlich zu erfassen, scheitert bisher am Widerstand ausgerechnet der Sportverbände. Merk, in Bayerns Kabinett auch für Verbraucherschutz zuständig, will die Sportfunktionäre im März 2010 erneut mit einem Gesetzesvorstoß konfrontieren.

Kampf gegen Doping: Beate Merk, bayerische Justizministerin, schiebt unter dem Eindruck endloser Dopingaffären die Diskussion über ein deutsches Antidoping-Gesetz neu an.

Beate Merk, bayerische Justizministerin, schiebt unter dem Eindruck endloser Dopingaffären die Diskussion über ein deutsches Antidoping-Gesetz neu an.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Frau Merk, hat sich der Deutsche Olympische Sportbund schon bedankt?

Merk: Sie spielen auf die Gründung unserer Schwerpunktstaatsanwaltschaft Doping an? Nein, bisher keine Reaktion.

SZ: Aber die neue Staatsanwaltschaft arbeitet schon seit dem 1. März?

Merk: Ja. Zuerst muss ein Netzwerk geschaffen werden mit Verbänden, Nada und DOSB, auch mit dem BKA. Dann sollen sich die Staatsanwälte, die bisher für alle Arten von Arzneimittelkriminaliät zuständig waren, intensiv schulen. Fortbildungen mit dem Institut für Dopinganalytik in Dresden und dem BKA sind geplant. Es ist viel auf den Weg gebracht, damit sich diese Staatsanwaltschaft, zwei Gruppenleiter und sieben weitere Staatsanwälte, intensiv des Themas annimmt. Wesentlich ist, dass wir die Arbeit in einem Jahr bewerten: Was ist der Unterschied zum vorigen Jahr? Bisher gab es Ermittlungen zu Doping, aber keine systematische Vorgehensmöglichkeit. Doping wird nur verfolgt, wo es zufällig bei anderen Ermittlungen auftritt. Aber bestraft werden sehr wenig Fälle. Warten wir also ab, ob allein die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft schon die Situation so stark verbessert.

SZ: So, wie es der Sport ja behauptet. Sie bezweifeln das?

Merk: Damit habe ich nie hinter dem Berg gehalten. Ich bin nicht überzeugt von Schwerpunktstaatsanwaltschaften, aber ich will keine Konfrontation mit den Sportverbänden. Also habe ich gesagt, wenn so großer Wert drauf gelegt wird, machen wir eine.

SZ: Eine Chance, die Effektivität zu überprüfen, bieten die Ermittlungen um ein Wiener Dopingnetzwerk. Dort geht es auch darum, ob deutsche Athleten gedopt haben. Gibt es Kontakte mit Wien?

Merk: Die Staatsanwälte sind in Kontakt. Aber abwarten! Auch in Österreich ist ja die Zufriedenheit mit den rechtlichen Instrumentarien nicht sehr groß. Es gibt auch dort den Tatbestand des Sportbetrugs nicht, ein sehr großes Problem.

SZ: Aber der deutsche Sportchef Thomas Bach feiert die Wiener Ermittlungen als großartigen Beweis für die Funktionstüchtigkeit eines Gesetzes, das er auch hierzulande in Kraft sieht - er meint den 2007 angefügten Zusatz im Arzneimittelgesetz. Teilen Sie seine Begeisterung?

Merk: Nein, ich sehe deutliche Mängel. Lücken, die dringend geschlossen gehören. Zwar können Staatsanwälte punktuell tätig werden, wenn sie im Rahmen anderer Ermittlungen auf Doping stoßen. Aber sie können nicht strategisch, nicht systematisch gegen Doping vorgehen. Dazu fehlt schlicht die Handhabe. Auch sind die Straftatbestände unpraktikabel formuliert - es geht dabei um eine "nicht unerhebliche Menge". Erstens: Was ist das? Zweitens: Einen begründeten Verdacht muss ich erst mal haben. Aber den habe ich nicht, wenn ein gedopter Athlet vor mir steht - was der in sich hat, ist auf jeden Fall unerheblich im Sinne dieses Gesetzes. Damit kann der Staatsanwalt gar nichts anfangen. Wenn wir ernsthaft und strategisch Doping bekämpfen wollen, brauchen wir anwendbare Gesetze, die dem Staatsanwalt die Möglichkeit geben, selbst Ermittlungen aufzunehmen.

SZ: Auch gegen Athleten?

Merk: Ja. Wir müssen klar sagen, der Besitz aller Dopingmittel in jeder Menge ist zu bestrafen. Und wir müssen auch dopende Sportler drin haben. Deshalb war es immer mein Ziel, dass wir ein eigenes Antidopinggesetz haben, das klar das Thema anspricht - und nicht irgendwo im Arzneimittelgesetz verschwindet. Bisher konnte mir niemand erklären, warum wir gegen Trainer, Ärzte, Manager vorgehen, aber nicht gegen den, der im Zentrum des Dopinggeschehens steht. Der in aller Regel genau weiß, dass ihm etwas verabreicht wird, und der mit unlauteren Mitteln hohe Preisgelder und Werbeverträge kassiert. Dieser Athlet gehört wegen Sportbetrugs genauso bestraft. Auch brauchen wir Hilfsmittel wie Überwachungsmöglichkeiten, und wir müssen klar sagen, wer bandenmäßig in einem Geflecht arbeitet ...

SZ: .. modernes Doping ist fast immer bandenmäßig ....

Merk: ... dass das ein Verbrechenstatbestand ist - genau wie die Verabreichung an Jugendliche - und deutlich bestraft werden muss.

"In der Forschung am Ball bleiben"

SZ: Der DOSB wehrt sich vehement dagegen. Dabei bemühen die Funktionäre ein schrilles Bild: Sie sprechen von der "Kriminalisierung der Athleten". Sind die Funktionäre nur blauäugig, wenn sie an zahllose Einzelfälle im Radsport oder sonst wo glauben, trotz der realen Netzwerke - oder wollen sie da nicht ran?

Merk: Ich weiß nicht, warum sich Sportfunktionäre gegen den Gesetzentwurf wenden. Nur, das sage ich ganz deutlich: Es geht nicht um eine Kriminalisierung von Athleten. Ich habe mit Sportlern gesprochen, die mir sagten: Kriminalisiert werden wir dadurch, dass die Zuschauer bei unseren Leistungen nur noch im Kopf haben: Was hat der genommen? Weil es in ihren Sparten Doper gab. Das sind Leute, die sich das ganze Jahr kasteien und trainieren und dann sagen: Ich bin hier ja der Depp, wenn ich allein auf meine körperlichen Fähigkeiten baue.

SZ: Der verharmlosende Kurs der Verbände schützt saubere Athleten nicht?

Merk: Das ist das Thema. Ich will einen Sport, auf den man felsenfest bauen kann, weil wir mit allen Mitteln gegen Doping vorgehen. Zu viele junge Menschen nehmen sich ein Vorbild an Sportlern, immer mehr Junge sagen: Das schaffe ich nicht, ohne etwas einzunehmen. Ich finde es sehr dramatisch, wenn das die Einstellung der sporttreibenden Jugend ist. Wir müssen Lösungen aufzeigen. Und der Sport stellt ja selbst sehr, sehr strenge Anforderungen an seine Leute, etwa die Meldepflichten. Ich verstehe also gar nicht, warum ich einen, den ich dann überführt habe, nicht auch zur Rechenschaft ziehen sollte.

SZ: Aber Sie selbst erleben doch den Widerstand des Sports gegen ein Gesetz schon seit 2006. Und selbst den Appendix zum Arzneimittelgesetz 2007 konnte der Bundestags-Sportausschuss nur durchboxen, weil die Verbände wegen einer Affäre unter Druck waren. Ist es nicht naiv, ungeprüft zu glauben, dass alle Seiten effektive Bekämpfung wollen? Wäre nicht sinnvoller, einmal das Wirtschaftssystem Sport zu durchleuchten, die Strukturzwänge des Betrugsgeschehens, Funktionäre und Geschäftsmotive - um die Wirkmechanismen hinter dem großflächig verseuchten Sport zu verstehen?

Merk: Auf jeden Fall ist es immer noch eine Mehrheit, die weitergehende Dopinggesetze ablehnt. Ich habe dafür gewisses Verständnis, der Sport hat seine Probleme bisher relativ eigenständig gelöst. Nur: In der Dopingbekämpfung hat man nicht erreicht, was man wollte. Das zeigt das Ausmaß all der Dinge, die nun immer öfter hoch kochen. Deshalb sollte man hier mit dem Staat arbeiten. Es geht um den Schutz junger Menschen, um das Thema Gerechtigkeit. Dazu gehört, dass man von Sportlern nicht ständig mehr erwarten kann, und dass man den Zuschauern im Stadion und am Fernsehen klarmacht, der Mensch hat Grenzen.

SZ: Sportwissenschaftliche Erhebungen besagen, bis zu 48 Prozent der deutschen Kaderathleten befassen sich in der Karriere mit Doping, mindestens 25 Prozent sollen gedopt haben. Solche Daten liegen weit jenseits sportoffizieller Statistiken. Auch sind viele Methoden und Stoffe ja gar nicht nachweisbar. Gendoping droht, sofern es nicht schon Realität ist - ist all das mit Dopingtests zu stemmen?

Merk: In der Forschung müssen wir am Ball bleiben. Das ist, ebenso wie Dopingtests, teuer. Aber im Sport fließt viel Geld. Deshalb müssen wir dort, wo es Dopingfälle gibt, Gelder abschmelzen und für Forschung und Verfolgung einsetzen.

"Wem macht das noch Spaß"

SZ: Das Sportsystem wird nicht akzeptieren, kürzer treten zu müssen. Schauen wir auf Peking: Schwimmer Phelps und Sprinter Bolt - solche Fabelleistungen müssen einfach her, auch wenn der Verdacht fast mit Händen greifbar ist ...

Merk: ... wobei ich mich frage, wem das noch Spaß gemacht hat?

SZ: Allen, die davon profitieren. Die ganze Sportindustrie. Sind solche Leistungen nicht absatzfördernd?

Merk: Aber ich sehe diese Sportlernamen jetzt öffentlich nicht mehr so aufscheinen, wie das früher der Fall war.

SZ: Was empfinden Sie, wenn Sie solche überirdischen Leistungen sehen?

Merk: Nichts mehr. Ich empfinde auch keine Spannung mehr. Ich habe viele Leute gesprochen, die bei dieser Olympiade noch am Fernseher saßen, und gefragt, wie ist das Gefühl? Ich habe von den meisten gehört: Naja, man denkt sich seinen Teil. Selbst wenn die jetzt alle nicht gedopt waren, das will ich gar nicht unterstellen, nein - aber was sagt das über solche Leistungen aus? Doch, dass wir sie überhaupt nicht mehr Ernst nehmen können. Und dass man sie einem Sportler, der aufgrund seiner Körperverhältnisse und anderer Umstände eine Wahnsinnsleistung erbringt, nicht mehr abnimmt.

SZ: In den drei jüngsten Dopingnetzwerken, in Freiburg, Madrid, Wien, waren stets Koryphäen der Medizin involviert. Angesehene Hämatologen und Sportärzte, nicht etwa drittklassige Doktoren, die sich mit Betrug ein Auskommen sichern. Alarmiert Sie das?

Merk: Mich wundert das sehr. Es sind ja alles spezialisierte Ärzte, und die Affären betreffen wenige von vielen, in Deutschland und in anderen Ländern. Warum rufen die anderen nicht laut: Wir distanzieren uns massiv davon, wir pflegen eine andere Vorgehensweise! Das ist etwas, das mich schon erschreckt.

SZ: Sie wollen ein Gesetz gegen Sportbetrug. Ist Doping da nur ein Teilbereich, gehören auch andere Themen mit rein, die den Sport längst beherrschen: Wettbetrug, Spielmanipulation - und die Korruption in allen Bereichen, die ja schon eine Art Grundkonsens ist?

Merk: Wir haben ganz lange den Sport als Insel der Seligen betrachtet, wo große Leistungen erbracht und tiefes Miteinander gelebt werden. Mit den Auswüchsen hat man sich nicht so sehr befasst, zum Beispiel mit der Frage, dass es auch hier Menschen gibt, die kriminelle Wege gehen. Vielleicht war die Strafverfolgung bisher nicht abschreckend genug.

SZ: Zumal Strafverfolgung im Sport ja kaum greifen kann, über Doping hinaus. Ist der Sport de facto ein rechtsfreier Raum, dank seiner Autonomie?

Merk: Rechtsfrei nicht. Aber er konzentriert sich meist auf Schiedsverfahren.

SZ: Lässt sich der Sport nur zur Mithilfe zwingen, wenn er gewahr würde, dass sich das Publikum abwendet? So wie nun bei der Tour de France?

Merk: Wenn die Medien sich klar äußern würden, wenn sie wie bei der Tour de France sagen, das machen wir nicht mehr mit, und die Sponsoren auch mitziehen, wäre das ein großer Schritt hin zu einer verstärkten Dopingbekämpfung. Aber warum müssen immer wir Deutschen die Vorreiter sein? Warum können wir den Weg nicht mit anderen beschreiten, mit Österreich, aber auch anderen, größeren Sportnationen? Die USA an der Seite zu haben wäre ein Signal.

SZ: Sie meinen, wir sind Vorreiter? Andere Länder haben längst Antidoping-Gesetze: Frankreich, Italien, einige andere, sogar Spanien. Ist dies eine Mär, Teil der Beschwichtigungspolitik des deutschen Sports - oder wo sehen Sie eine konkrete deutsche Vorreiter-Rolle?

Merk: Wichtig ist vor allem, dass ein Gesetz vollzogen wird. Das geschieht nicht überall. Ich kenne die Situation in anderen Ländern nicht in allen Finessen, aber wir wenden unsere Gesetze konsequent an - deshalb jetzt die Anstrengung.

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