Juventus Turin:Niemand folgt der immergrünen Dame

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Da sitzt doch jede Falte! Wieder mal scheint die Saison maßgeschneidert zu sein für Trainer Allegri, den Torschützen Dybala und Juventus. (Foto: Alessandro Di Marco/dpa)

Früh strebt der Verein dem sechsten Titel in Serie entgegen. Dabei sitzt 90-Millionen-Einkauf Higuain auf der Bank - und Torwart Buffon hilft inzwischen sogar den Gegnern.

Von Birgit Schönau, Rom

Nach acht Spieltagen ist die Meisterschaft natürlich noch lange nicht vorbei. Und doch lautet wie in jedem Herbst seit nunmehr fünf Jahren die interessanteste Frage für die Serie A: Wer wird diesmal Juve-Herausforderer? Wer gibt in dieser Saison den mehr oder weniger ernst zu nehmenden Rivalen des ewigen Meisters?

Inter Mailand - hieß es vor ein paar Wochen, da hatte das Team des Niederländers Frank de Boer den Titelverteidiger im so genannten Derby d'Italia überraschend 2:1 geschlagen. Doch mittlerweile steht Inter auch schon wieder zehn Punkte hinter Tabellenführer Juve, und de Boers Ambitionen richten sich auf einen Startplatz in der Champions League. Dafür hatte sich einstweilen der SSC Neapel an die Fersen der immergrünen Alten Dame geheftet. Auch das ein Déjà-vu, eine Neuauflage eines Nord-Süd-Duells, das Italien seit Jahrzehnten beschäftigt und das Napoli nur einmal für sich entschied. Ein Vierteljahrhundert ist das her, damals kickte unter dem Vesuv noch Diego Armando Maradona. Als Diegos Erbe wurde viele Jahre später in Neapel Gonzalo Higuain gefeiert. Der 28-jährige Argentinier erzielte in der vergangenen Saison in 35 Spielen 36 Ligatore, Rekord für Italien. Die Stadt lag ihm zu Füßen, dabei reichten auch drei Dutzend Higuain-Tore nur für Platz zwei, hinter Juventus.

Immerhin katapultierte Higuain Neapel in die Champions League - und zog dann weiter zu Juventus Turin, für 90 Millionen Euro und das Versprechen, endlich auch mal Meister zu werden. Schnell stellte sich heraus, dass Higuain für den neuen Klub eher Trophäe als Lichtgestalt sein wird. Sein Wert besteht vor allem darin, dass er nicht mehr für die Konkurrenz spielt, ansonsten war Higuain zwar teurer als alle anderen, ist aber deshalb noch lange nicht wertvoller. Oft kommandiert ihn sein cooler Coach Massimiliano Allegri auf die Bank, zuletzt am Samstagabend beim Heimspiel gegen Udine. Und selbst als die Gäste nach 30 Minuten in Führung gingen, blieb Higuain sitzen. Er musste zusehen, wie die 38-jährige Torwart-Legende Gianluigi Buffon von einem 20-jährigen Tschechen ausgetrickst wurde. Jakub Jankto gelang das 1:0, weil Buffons Reflexe wieder einmal nicht prompt genug funktionierten und der Kapitän den Ball unter seinem Körperbau durchrollen ließ.

"Juventus hat einfach mehr Substanz durch seine Geschichte", sagt der Chef des SSC Neapel

Zu diesem Zeitpunkt hatte Higuains Landsmann Paulo Dybala für Juventus quasi im Zweiminuten-Takt Chancen erspielt. Kurz vor der Pause erzielte Dybala den Ausgleich, zu Beginn der zweiten Halbzeit setzte er per Elfmeter noch ein Tor drauf. Juve gewann 2:1, in den letzten 25 Minuten durfte Higuain dann auch noch mitspielen, konnte das Ergebnis aber nicht mehr ausschmücken und seine eigene Position nicht verbessern. Allegri macht keinen Hehl daraus, dass für ihn die Experimentier-Phase mit dem überreich bestückten Kader noch längst nicht abgeschlossen ist. Für jeden Spieltag eine neue Formation, für jede Halbzeit eine neue Taktik. Er kann sich das leisten. Nur Buffon hat seinen Stammplatz sicher. Noch.

Juve thront also weiter oben, mit fünf Punkten Abstand vor Platz zwei. Und dort steht, nach einem turbulenten Duell am Samstagnachmittag, der AS Rom. Im San-Paolo-Stadion zu Neapel besiegte die Roma den SSC ohne Higuain mit 3:1. Auch hier gab es einen Doppelpack, und zwar von Edin Dzeko, dem einstigen Wolfsburger aus Bosnien, bevor der Ägypter Mohamed Salah die Partie abschloss. Napolis Anschlusstreffer kam von Kalidou Koulibaly. Matchwinner Dzeko spielt bereits seit einem Jahr für den AS Rom, er hat weitaus mehr Kritik als Lob einstecken müssen, und selbst jetzt stichelte sein Trainer Luciano Spalletti: "Was seinen sportlichen Ehrgeiz und seinen Biss angeht, muss er wirklich noch an sich arbeiten. Schließlich geht es nicht nur um Tore."

Aber worum geht es dann? Die Konkurrenten des glücklichen Allegri geben sich alle Mühe, ihren Frust zu verbergen. "Aber mit Juventus auf Augenhöhe zu spielen", räumte Spalletti schon jetzt ein, "wird auch in diesem Jahr sehr schwer."

Die früher so selbstbewussten Neapolitaner stapeln sogar noch tiefer. Gegen Juve könne man eigentlich nur mit 100 Millionen Euro Umsatz mehr gewinnen, verkündete Klubbesitzer Aurelio De Laurentiis. Eine aparte These, denn der exzentrische Filmproduzent hat ja gerade fast exakt diese Summe für Higuain kassiert. Seit Jahren verkauft De Laurentiis seine besten Stücke an die Konkurrenz. Er gehört zu den ganz wenigen, die in der Serie A schwarze Zahlen schreiben, und hat den Klub aus der dritten Liga in die Champions League geführt, doch gewonnen hat er in zwölf Jahren Regentschaft außer zwei Italien-Pokalen noch nichts. "Juventus hat einfach mehr Substanz durch seine Geschichte", sagt er jetzt. Schließlich befinde sich der große Rivale aus dem Norden seit 1923 im Besitz der Familie Agnelli. Was das angeht, ist Aurelio De Laurentiis, der Neffe des großen Dino, derzeit der letzte italienische Fußballpatron, der den Agnellis die Stirn bieten kann. Der AS Rom gehört Amerikanern, Inter hat Besitzer aus Indonesien und China, der AC Mailand wird auch gerade an Chinesen verhökert. Und ein Herausforderer für die ur-italienische Signora Juve, ob mit ausländischem Kapital oder nicht, wird weiter verzweifelt gesucht.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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