Juventus Turin in der Champions League:Khediras Temperament ist gefragt

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Sami Khedira: Hoch gelobt in Italien

(Foto: AFP)

Von Birgit Schönau, Rom

Wenn Sami Khedira der neue Motor von Juventus ist, dann fährt die alte Dame mit Diesel. Nicht, dass das vorher mit Andrea Pirlo anders gewesen wäre. Der Maestro konzentrierte sich darauf, das Tempo des Spiels zu drosseln - Khedira ist auch keiner, der den anderen voraus rennt. Poco dinamico, wie die Kritiker von der Gazzetta finden, also nicht der Schnellste. Aber, was viel wichtiger sei: von intelligenza tattica superiore, also von überlegener taktischer Intelligenz.

Größere Komplimente werden im italienischen Fußball kaum vergeben - und das an einen, der am Sonntag, bei dem von beiden Gegnern tief empfundenen Derby d'Italia gegen Inter Mailand, den Siegtreffer auf das Peinlichste versemmelt hatte. Aus acht Metern mit Wumms an den Pfosten, eine Szene, die ihn eine Weile verfolgen dürfte - wenn nicht bald, am besten schon an diesem Champions-League-Mittwoch gegen Mönchengladbach, bessere folgen.

Der Italien-Klassiker, ein kraftmeierisches Match ohne große Finessen, endete als torloses Unentschieden - was Inter nur von Platz zwei auf drei zurückfallen ließ und den erhofften Höhenflug der Juve vereitelte. Nach vier Meistertiteln in Serie steht das Team von Massimiliano Allegri nur auf Platz 14.

Seit 46 Jahren war Juves Liga-Herbst nicht mehr so grau

Seit 46 Jahren hat Juventus nicht einen derart grauen Liga-Herbst erlebt. Viel ist über den Abschied von Pirlo (nach New York), Arturo Vidal (zum FC Bayern) und Carlos Tévez (zurück nach Argentinien) geschrieben worden und über die taktischen und psychologischen Folgen. Hinzu kamen Verletzungsausfälle. Khedira musste an den ersten beiden Spieltagen wegen eines Muskelfaserrisses passen, sein erfahrener Mittelfeldkollege Claudio Marchisio fiel ebenfalls lange aus.

Erst am Sonntag konnte Allegri endlich jenes Trio einsetzen, das das neue Kernstück seiner Mannschaft bilden soll: Marchisio, Khedira und Paul Pogba. Der Italiener soll den Kämpfer geben, der technisch hoch begabte Franzose den Gegner austricksen, Khedira ist als Stabilisator vorgesehen. Gegen Inter konnte man sehen, wie umsichtig er sein Netz spinnt, den schnellen Kolumbianer Juan Cuadrado und den geschmeidigen Spanier Alvaro Morata nach vorn lanciert, die Verbindung zur Abwehr hält, die als einziger Mannschaftsteil noch ganz der alte geblieben ist: Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci, Giorgio Chiellini, Patrice Evra.

Diese Hintermannschaft hat der Trainer sozusagen von seinem Vorgänger Antonio Conte geerbt. Sie ist fast identisch mit der Abwehr der Nationalmannschaft, die Conte jetzt trainiert. Bis auf den Brasilianer Alex Sandro - aber diesen Neuankömmling lässt Allegri ungeachtet der 26 Millionen Ablöse, die der Klub an den FC Porto gezahlt hat, am liebsten auf der Bank. Ebenso wie Mario Mandzukic. An Motivation mangelt es dem Kroaten nicht, aber allzu oft an Geistesgegenwart. Mandzukic hat eine mehrwöchige Verletzungspause hinter sich, seine Tapsigkeit droht allerdings chronisch zu werden.

Gladbach wäre bei einer Niederlage fast schon ausgeschieden

Gut möglich, dass der ehemalige Münchner gegen Mönchengladbach dennoch aufgeboten wird. Denn so schwer Juventus auch in den Liga-Alltag findet, so leichtfüßig scheint der Vorjahresfinalist die Gruppenphase der Champions League zu absolvieren. Verkehrte Juve-Welt: In Italien ist auf einmal alles schwierig, aber in Europa müssen sie die Konkurrenz nicht fürchten.

In den dritten Spieltag starten die Italiener mit voller Punktzahl - auch Khedira hat bereits getroffen, beim 2:0 gegen den FC Sevilla. Mönchengladbach tritt mit null Punkten in Turin an und wäre im Falle einer Niederlage schon fast draußen. Doch Juve pflegt keinen Gegner zu unterschätzen, und Zerstreutheit wäre das Letzte, was Allegri sich und den Spielern erlauben würde. "Das Team muss wachsen", wird er nicht müde zu wiederholen: "Wir sind noch nicht perfekt." Das ist kaum zu übersehen.

Die alte Dame wirkt müde wie vielleicht nie, mit einer Abwehr, die nur das Schlimmste zu verhindern weiß - unter anderem mit dem legendären Torwart Gianluigi Buffon, dessen Einsatz gegen Gladbach noch nicht sicher ist, und einer Offensive, die sich bestenfalls durchwurschtelt.

Khediras Problem ist die körperliche Fragilität

Ein Morata ersetzt keinen Tévez, ein Mandzukic kann bislang nicht einmal die zweite Geige spielen. "Uns fehlt der Hunger", klagt das Juve-Urgestein Claudio Marchisio, nach vier erfolgreichen Jahren habe man jetzt wohl mal einen Durchhänger: "Wir müssen aber unsere Beständigkeit wieder finden, die Siegermentalität."

Khedira hat nicht nur Meisterschaften gewonnen. Er ist Weltmeister und wurde 2014 Champions-League-Sieger mit Real Madrid. Ein Mangel an Appetit ist trotzdem nicht sein Problem, eher die körperliche Fragilität. An ihm hängt viel. Er soll der Juve das geben, was zuletzt fehlte. Temperament, aber auch Gelassenheit. Kampfgeist, aber auch Selbstvertrauen. Schwierig, da nicht den Überblick zu verlieren, am nächsten Pfosten.

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