Jürgen Klopp:"Wir wollten alles und haben nichts und noch weniger"

  • Nach dem verlorenen Champions-League-Finale gegen Real Madrid versucht Liverpool-Trainer Jürgen Klopp die Fassung zu wahren.
  • Für ihn ist es die sechste Finalniederlage in Serie.

Von Sven Haist, Kiew

Das Feuerwerk wollte sich Jürgen Klopp nicht mehr ansehen. Rund um das Siegerpodest stiegen die Lichtraketen in den Nachthimmel auf. Im Stadion knallte und krachte es, als habe in Kiew soeben eine neue Zeitrechnung begonnen. Inmitten des Kleinkunstspektakels nahm Sergio Ramos den Champions-League-Pokal zum dritten Mal in Serie für Real Madrid entgegen. Doch Klopp, der sonst für fast jede Party zu haben ist, drehte sich zur Seite und lief mit den Spielern zu den eigenen Anhängern - die Pyro-Show war nur Kulisse.

Vor fünf Jahren in London, bei der Finalniederlage mit Borussia Dortmund gegen den FC Bayern, flog Klopp das Konfetti ja schon einmal um die Ohren, ohne dass er den begehrten Henkelpott in die Höhe stemmen durfte. In Kiew gab es das Déjà-vu, kein Wunder, dass Klopp die Flucht antrat. Als Real Madrids Profis zuvor hinübergelaufen waren zu den Verlierern, liefen die Verlierer weiter weg. Mitleid hätte das 1:3 nur verschlimmert. Auf der Pressekonferenz gratulierten Klopp einige Medienvertreter zur Leistung seiner Mannschaft des FC Liverpool in dieser Saison, bis der entnervt entgegnete: "Ich brauche keine weiteren Komplimente mehr."

Klopps sechste Finalniederlage in Serie

In der Niederlage versuchte Klopp, 50, die Fassung zu wahren. Die Feierlichkeiten des Gegners bedachte er mit Applaus, während die meisten Spieler seines Teams in maximal möglicher Distanz mit den Tränen der Verzweiflung kämpften. Der deutsche Nationalspieler Emre Can konnte oder wollte bei der Ehrung der Madrilenen nicht hinsehen, Rechtsverteidiger Trent Alexander-Arnold verfolgte die Szenerie teilnahmslos im Sitzen. Die Kraft der Emotionen hat den FC Liverpool durch die Saison getragen und einige Gegner in die Knie gezwungen, im Olympiastadion in Kiew wurden die Reds nun selbst von ihren Gefühlen übermannt. Die Enttäuschung riss den Klub zu Boden. Der Trauermarsch durch die Fankurve glich einem Beerdigungszug auf dem Friedhof - begraben wurde Liverpools Traum, zum sechsten Mal nach 1977, 1978, 1981, 1984 und 2005 den prestigeträchtigsten Wettbewerb im europäischen Klubfußball zu gewinnen.

Für Klopp ist es nach dem DFB-Pokalsieg 2012 mit Dortmund gegen den FC Bayern (5:2) die sechste Finalniederlage in Serie. Es ist die dritte mit dem FC Liverpool nach den verlorenen Endspielen im englischen Ligapokal und der Europa League in seiner Debütsaison 2015/16 in England. "Ich bin das Gegenteil von gut gelaunt, aber ich versuche, professionell zu sein. Wir fühlen uns richtig schlecht, die Rückreise wird nicht schön. Wir wollten alles, und haben nichts und noch weniger", sagte Klopp: "Ich habe alles getan, was ich tun konnte, aber es hat nicht gereicht. Das muss ich akzeptieren."

Im Verlauf der Partie wurde Klopp mit mehreren sportlichen Schicksalsschlägen konfrontiert, so als wolle ihm eine höhere Macht übel mitspielen. Nach einer halben Stunde verlor Liverpool in Mohamed Salah den besten Spieler durch eine Verletzung an der linken Schulter. Im Stil eines Wrestlers riss Reals Kapitän Sergio Ramos den Ägypter nieder und fiel - absichtlich oder nicht - mit seinem Körpergewicht auf den 1,75 Meter kleinen Irrwisch. Den Arm in einer Schlinge, verließ Salah mit trauriger Miene das Stadion. "Mo hätte weitergespielt, wenn es nur irgendwie möglich gewesen wäre. Es sieht nach einer ernsthaften Schädigung aus", sagte Klopp.

1:6 - Jürgen Klopps Bilanz in Endspielen

Jürgen Klopp hat als Trainer sieben Endspiele bestritten. Das erste gewann er mit Borussia Dortmund - die sechs danach verlor er.

DFB-Pokal 2011/12 Borussia Dortmund - Bayern München 5:2

Champions League 2012/13 Borussia Dortmund - Bayern München 1:2

DFB-Pokal 2013/14 Borussia Dortmund - Bayern München n.V. 0:2

DFB-Pokal 2014/15 Borussia Dortmund - VfL Wolfsburg 1:3

Englischer Ligapokal 2015/16 FC Liverpool - Manchester City n.E. 2:4

Europa League 2015/16 FC Liverpool - FC Sevilla 1:3

Champions League 2017/18 FC Liverpool - Real Madrid 1:3

In der Halbzeit löst Klopp Liverpools Schockstarre

Unter Tränen hatte Salah, 25, den Rasen verlassen. Selbst die aufmunternden Gesten seiner Mitspieler und von Reals Cristiano Ronaldo waren kein Trost. Die diagnostizierte Bänderverletzung stellt die Teilnahme des Ägypters an der Weltmeisterschaft in Russland infrage. Im Oktober hatte der Ausnahmekönner vom rechten Flügel seinem Heimatland mit einem Elfmeter in der Nachspielzeit den ersten WM-Start seit 1990 gesichert. Beim ägyptischen Verband ist man trotz der bitteren Diagnose zuversichtlich, Teamarzt Mohamed Abu Al-Ala und Khalid Abdul-Asis, der Minister für Jugend und Sport, äußerten sich optimistisch, dass Salah am 15. Juni im ersten WM-Gruppenspiel gegen Uruguay auf dem Platz stehen könne.

Diese öffentlich verbreiteten Botschaften könnten allerdings auch die Überlegung beinhalten, die knapp 100 Millionen Ägypter zu beruhigen. In seiner Heimat ist Salah ein Volksheld, ein Pharao der Gegenwart. Nach seinem Transfer vom AS Rom im Sommer 2017 für 40 Millionen Euro entwickelte er sich in Liverpool zu einem der besten Angreifer der Welt. Mit 32 Treffern wurde Salah Torschützenkönig der abgelaufenen Premier-League-Saison. Deswegen setzte Klopp gegen Madrid alles auf Rot, alles auf die Talente des Dribbelkünstlers - aber es kam Schwarz. In der Viertelstunde nach der Auswechslung bis zur Pause kam Liverpool ohne Salah nur noch zu einem Ballkontakt im Angriffsdrittel.

Salahs Abschied versetzte Liverpool in Schockstarre, die Klopp jedoch mit seiner Halbzeitansprache lösen konnte. Auch die zweite Hiobsbotschaft, den Rückstand in der 51. Minute nach jener verhängnisvollen Slapstick-Einlage des deutschen Torwarts Loris Karius, steckten die Reds zunächst weg. Nur vier Minuten nach dem 0:1 erzielte Sadio Mané, Salahs Partner in der Offensive, den Ausgleich. Erst nach dem Fallrückzieher-Traumtor von Gareth Bale, das für Liverpool den Albtraum beschleunigte, verloren die Reds ihre Tapferkeit und gaben klein bei.

Auf den zweiten Patzer von Karius, dem ein Fernschuss von Bale in der 83. Minute durch die Finger glitt, reagierte dann fast niemand mehr. Selbst Klopp, dieses Stehaufmännchen an der Seitenlinie, ließ den letzten Schicksalsschlag äußerlich nahezu ungerührt über sich ergehen. "Das ist ganz, ganz hart", sagte der Trainer später, "das wünscht man seinem schlimmsten Feind nicht." Dann wollte auch er in Ruhe gelassen werden.

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