Fußball in England:Klopps Liverpool fehlt der Stachel

Liverpool v Manchester United - Barclays Premier League; klopp

"It's not a wish concert": Jürgen Klopp muss als Liverpool-Coach gerade erkennen, dass nicht alles so läuft, wie er will.

(Foto: Carl Recine/Reuters)
  • Was hat Jürgen Klopp in Liverpool bisher bewirkt? Unterm Strich steht eine durchschnittliche Bilanz.
  • Dafür gibt es Gründe.

Von Raphael Honigstein, London

Spindeldürre Siege werfen manchmal die fettesten Schlagzeilen ab, am Sonntag war das auf der Insel wieder mal so. Nach Manchester Uniteds 1:0-Auswärtserfolg beim FC Liverpool wähnte die Daily Mail die Elf von Louis van Gaal tatsächlich "zurück im Titelrennen", und Torschütze Wayne Rooney wurde trotz seiner eher unterdynamischen Gesamtleistung vom Guardian als "wichtigster Aktivposten für England und United" bejubelt.

Dem 30-Jährigen war an der Mersey das Siegtor gelungen, mit dem einzigen akkuraten Torschuss seiner Elf (78.). Das genügte dem Tabellenfünften - trotz eines Rückstands von sieben Punkten auf Spitzenreiter Arsenal - , um sich wieder unter den Titelanwärtern zu wähnen. "Das ist ein großer Schub für uns", frohlockte van Gaal, dem im Falle einer Niederlage wohl die Abschiebung in die Niederlande gedroht hätte.

Uniteds dreister Raubüberfall - Jürgen Klopps Liverpooler Elf war bis auf die Torausbeute in allen Bereichen überlegen gewesen - richtete an der Anfield Road einen Schaden an, der über den materiellen Verlust von drei Punkten hinausgeht. Nach den Tausenden von Kilometern, die Liverpool seit Klopps Amtsübernahme Anfang Oktober mehr und schneller gelaufen ist als unter Vorgänger Brendan Rodgers, ist man wieder dort angekommen, wo man schon vorher stand: im Mittelfeld der Tabelle, mit sehr geringen Perspektiven auf die Champions-League-Qualifikation. Der Rückstand auf Platz vier: acht Punkte.

"Wir brauchen die Ergebnisse, wir haben nicht genug davon", sagte Klopp, der nur mühsam den eigenen Frust kontrollierte. Erneut hatte eine Unachtsamkeit bei einer Standardsituation all den positiven Schwung in der Offensive zunichte gemacht. Zudem zeigte sich, auch das keine neue Erkenntnis, dass den Reds gerade gegen defensiv eingestellte Teams die Feinabstimmung und individuelle Klasse rund um den Strafraum abgeht. "Liverpool schwebte wie ein Schmetterling - und stach auch so zu", schrieb die Times.

Klopps Elf kann rasante Kontersiege einfahren (4:1 bei Manchester City, 3:1 beim FC Chelsea), sie kann auch Arsenal ein 3:3 abtrotzen und das Überraschungsteam Leicester City mit 1:0 niederringen; gegen kleinere oder sich klein machende Gegner wie United weiß die Elf aber mit dem immer enger werdenden Raum wenig anzufangen. Unter dem Strich steht so - trotz heftiger Ausschläge in beide Richtungen - eine Bilanz des Durchschnitts.

Nur wenig Glanz und Gloria

Liverpool hat unter Klopp in der Liga fünf Mal gewonnen, fünf Mal unentschieden gespielt und vier Mal verloren. Drei Pokalwettbewerbe versprechen noch ein bisschen Glanz und Gloria, aber in der Premier League werden sich die grundlegenden qualitativen und taktischen Probleme der Elf wohl frühestens zur nächsten Saison beheben lassen.

Klopp kann wegen der in Deutschland ungewohnten Flut an Spielen (22 Partien in zwölf Wochen) kaum sinnvoll mit dem Kader trainieren, und im Sturm fehlt mindestens ein absoluter Spitzenmann; Nationalspieler Daniel Sturridge, auf den dieses Prädikat theoretisch zutrifft, ist ständig verletzt, und Christian Benteke, ein 40-Millionen-Euro-Einkauf von Aston Villa, passt mit seiner eher stillen Qualität nicht so recht zum Kloppschen "Heavy-Metal"-Fußball. "Ich kann den Ball ja nicht selbst ins Netz hauen", klagte Klopp.

So mancher einheimischer Trainerkollege registriert nun mit Genugtuung, dass der gefeierte Neuankömmling aus Germany mit seinen Bundesliga-Methoden nicht über Nacht Erfolg hat. Sunderland-Boss Sam Allardyce referierte kürzlich recht vergnügt über die gesundheitlichen Gefahren von Klopps berüchtigtem Gegenpressing ("die Spieler sind müde und ziehen sich Muskelverletzungen zu"); aus der fachlich formulierten Kritik sprach auch Neid. Englische Trainer der alten Schule bekommen in der globalisierten Premier League ja schon länger keine Spitzenjobs mehr.

Unübersehbar ist immerhin, dass Klopp die Mannschaft in drei Monaten schon für sich gewonnen hat. Routiniert spielt er auf der Klaviatur der Kabinenpsychologie, umarmt mal den einen, ignoriert mal den anderen. Den Medien liefert er druckreife Sprüche und neuerdings auch noch schöne Germanismen wie "salt in the soup" und "It's not a wish concert" frei Haus.

Der Klub vertraut seinem Urteil in Sachen Neuverpflichtungen, er ist in die Gestaltung des Trainingsgeländes eingebunden. Und wenn er demnächst die nötige Zeit findet, wird er sich auch die Nachwuchsförderung vorknöpfen. Klopp findet es kontraproduktiv, dass die besten Talente an Klubs in unterklassigen Ligen verliehen werden und der Rest der A-Jugend in einer Reserverunde ohne Wettbewerbscharakter kickt.

In diesem renovierungsbedürftigen Verein ist man von Klopps Enthusiasmus und Energie nach wie vor begeistert, man habe genau den Trainer, den man immer haben wollte, heißt es. Bis das auch umgekehrt so ist, wird es dauern.

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