BVB-Trainer geht ohne den Pokal:Der Schmerz nach dem letzten Ufftata

Am Schluss bleibt eine Niederlage, die weh tut. Klopp liefert er sich ein Scharmützel mit ARD-Mann Delling und hofft, dass die Kameras ausgehen.

Von Filippo Cataldo, Berlin/München

Jürgen Klopp war schon im Joggingschritt in den Katakomben des Olympiastadions verschwunden. Er hatte auf dem Rasen noch fair applaudiert, als den Wolfsburgern der Pokal überreicht wurde, und zuvor jeden umarmt, der ihm über den Weg gelaufen war. Aber die Ehrenrunde der Sieger, die hatte er sich doch nicht ansehen wollen.

Doch dann kehrte Klopp noch einmal zurück zum ARD-Interview mit Gerhard Delling und Mehmet Scholl. Klopp hatte mit sich zu kämpfen, das gab er gleich zu. "Es ist im Leben die größte Herausforderung, mit Niederlagen umzugehen. Ich gönne es den Wolfsburgern. Aber unsere Niederlage war unnötig heute", sagte er. Verlieren konnte Klopp noch nie richtig gut. Doch nun wollte er es versuchen. Es war ja schließlich seine letzte Niederlage. Seine letzte Niederlage im letzten Spiel mit Dortmund. Klopp wollte sich zusammenreißen, aber Jürgen Klopp ist Jürgen Klopp. Er hatte verloren, Delling war ihm zu frech. Klopp reagierte. Und so wartete der scheidende Trainer zum Abschied noch mit einer seiner emotionalen Sternstunden im Umgang mit Reportern auf.

"Sie glauben doch nicht, dass Sie in fünf Minuten noch Mitleid haben"

Delling hatte nach der Spielanalyse schnell zu einem anderen Thema überleiten wollen, zu schnell und für Klopp zu beschwingt. "Das ist das Geile an eurem Job!", blaffte er. Und dann: "Sie glauben doch nicht, dass Sie in fünf Minuten noch ein bisschen Mitleid haben. Die Herausforderung, mit Niederlagen umzugehen, ist für mich eine Riesige. Und bei euch ist gleich Ufftata-Ufftata." Klopps Schlussfolgerung: "Da können Sie auch noch ein bisschen dazulernen..."

Delling widersprach sanft und fragte Klopp, wie es ihm nun ginge. "Unterdurchschnittlich. Ich arbeite gerade an mir unglaublich, die Niederlage zu verarbeiten", sagte er und zeigte dann, wie nahe ihm die ganze Angelegenheit ging: "Jedes Mal, wenn ich einen meinen Spieler umarme und denke, dass das vielleicht das letzte Mal war, kommen sofort die Tränen. Es ist eine wunderschöne Geschichte, die zu Ende geht. Aber ich muss Dinge nacheinander verarbeiten. Und diese Sache würde ich gerne verarbeiten, wenn die Kameras aus sind."

Diese Sache. Seinen Abschied aus Dortmund. Seinen Abschied von seinem Klub, seinen Fans und wohl auch von einem Teil von sich selbst.

Klopp war der Trubel eher unangenehm

Dabei hatte Klopp bis zum Schlusspfiff alles getan, um die Aufmerksamkeit von sich und seinem Abschied wegzulenken. Dass dieses Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg, sein (vorerst?) letztes Spiel als Coach des BVB sein würde? Ein Zufall der Geschichte. Die Spieler sollten im Mittelpunkt stehen, die Berliner Nacht, vielleicht auch nur der Pokal, aber ganz sicher nicht: Jürgen Klopp. Ihm war der ganze Trubel um seine Person eher unangenehm.

Im Gegensatz zu ihm hatten andere natürlich ganz viel getan, um das Pokalfinale zu den letzten Klopp-Festspielen zu machen. Der Autosponsor des Klubs, zufälligerweise einer der größten Rivalen von VW-Eigner Wolfsburg, hatte Masken mit Klopps Konterfei unter den Fans verteilt. Und zwar schon weit vor dem Anpfiff. So trugen den ganzen Nachmittag Heerscharen von Fans Klopps Gesicht inklusive der charakteristischen Kauleiste durch die Hauptstadt spazieren. Hunderte, ach was, Tausende Klopp-Kauleisten am Kottbusser Tor, Brandenburger Tor, rund um das Olympiastadion. Das war dann vielleicht doch auch etwas zu viel des Guten. Und auch die Spieler hatten versprochen, Klopp mit dem Pokal verabschieden zu wollen.

Lieber als für ihn sollten sie für Kehl rennen, ihren Kapitän

Als Ex-Bayer Mehmet Scholl, für die ARD als Experte in Berlin, vor Anpfiff bemerkte, dass die Spieler ihrem Trainer natürlich einen guten Abschied schenken wollten, gab Klopp zu: "Wenn man sich als Trainer gut mit einer Mannschaft versteht, dann kann es passieren, dass die Spieler einen Schritt mehr machen." Doch noch viel lieber und viel mehr sollten seine Spieler für Sebastian Kehl rennen, ihren Kapitän, der gegen Wolfsburg sein letztes Spiel seiner Profilaufbahn machte. "Für einen Mitspieler ist das noch viel mehr so. Man möchte ihm natürlich helfen. Wenn der Trainer sich ein bisschen zurückhalten sollte, sollen die Mitspieler sich komplett öffnen", sagte Klopp.

Ansonsten sei sein Abschied einfach noch nicht das Thema. Sah auch VfL-Coach Dieter Hecking so: "Er verabschiedet sich von Borussia Dortmund, aber er ist ja nicht aus der Welt. Wir laufen uns sicher bald wieder über den Weg. Verabschieden brauche ich ihn nicht — und den Titel braucht er auch nicht", sagte er.

Braucht er auch nicht. Hätte er aber natürlich trotzdem sehr gerne gehabt. Nicht nur, weil ihm jetzt eine weitere von ihm so geliebte Rundfahrt auf einem LKW-Tieflader um den Borsigplatz verwehrt bleibt. Nicht nur, weil "eine der besten Geschichten, die ich im Fußball kenne" (Klopp über Klopp und den BVB) nun titellos und mit einer Enttäuschung zu Ende gegangen ist. Nicht nur, weil Klopp einfach nicht verlieren kann. Vor allem aber auch, weil die Wolfsburger cleverer gewesen waren, die Niederlage "unnötig" gewesen war, wie Klopp es noch vorsichtig ausdrückte.

Und so gab es statt einer Pokalfeier samt anschließender Sause am Borsigplatz "eben eine Abschiedsfeier", wie Klopp später bei seiner letzten Pressekonferenz als Dortmund-Coach erklärte. Dort gab er auch zu: "Der Abschied beginnt jetzt zu schmerzen. Ich habe versucht, jedem meiner Spieler meinen Dank auszudrücken — es fiel mir sehr schwer, sie wieder loszulassen."

In den 94 finalen Minuten zurvor war Klopp einfach nur: 94 Minuten Klopp. Und seine Spieler boten, das nebenbei, ebenfalls 94 Minuten Klopp-Fußball. Die Wolfsburger freilich auch. Es war eine Vollgasveranstaltung im Olympiastadion, ein Duell, geführt mit offenem Visier, ein Spiel mit beinahe pervers vielen Torchancen für ein einziges Finale. Und mittendrin der ganz normale Klopp-Wahnsinn, diesmal ganz ohne grenzwertige Aktionen.

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Abschied mit leeren Händen: Jürgen Klopp verlässt die Bühne als BVB-Trainer.

(Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Bei der Führung jubelte er nur verhalten, später zeigt er die Zähne

Es dauerte keine drei Spielminuten, bis er zum ersten Mal den Nahkontakt mit dem vierten Offiziellen suchte. Robert Hartmann durfte sich nach einem Foul von Luiz Gustavo gegen Gündogan ein paar nette Worte Klopps anhören. Keine fünf Spielminuten dauerte es, bis Klopp mit seinen Leuten auf der Bank abklatschte. Aubameyang hatte das 1:0 geschossen. Es war ein technisch hochwertiger Treffer gewesen. Aubameyang feierte den Treffer mit einem Salto, Klopp jubelte eher verhalten. Wer weiß, ob er mehr aus sich herausgegangen wäre, wenn er gewusst hätte, dass er an diesem Abend nicht mehr würde jubeln können.

Dieter Hecking war beim 1:1 durch Luiz Gustavo jedenfalls deutlich ekstatischer als Klopp zuvor. Der dagegen hatte schon vor dem Ausgleichstreffer die komplette Klaviatur des Klopp-Coachings ausgepackt. Reus schießt über das Tor — Klopp feuert klatschend an; Gündogan verliert einen Zweikampf — Klopp schüttelt den Kopf; Luiz Gustavo und Kehl tragen einen Zweikampf aus — Klopp macht einen Ausfallschritt, als ob er den Wolfsburger gleich umgrätschen würde; Schiedsrichter Felix Brych pfeift keinen Elfmeter für Dortmund — Klopps Faust klatscht gegen die laue Berliner Frühlingsluft; Wolfsburg geht in Führung — Klopp feuert die Spieler an; Wolfsburg baut die Führung aus — Klopp zeigt Zähne; Kevin De Bruyne wird an der Seitenlinie behandelt — Klopp legt sich erst mit dem Wolfsburger Bankpersonal an, ehe er dem Spieler aufmunternd den Hinterkopf tätschelt; Dortmund und Wolfsburg vergeben Chance um Chance in der zweiten Halbzeit — Klopp mal mit Zeige- und Mittelfinger an den Daumen gepresst, mal mit wegwerfender Faustbewegung, mit und ohne Kauleiste. Und dann, je näher der Schlusspfiff kommt, je näher die Pokalniederlage sich abzeichnet, werden die Gesten sparsamer, die Mimik eingefrorener.

Und dann kommen die Umarmungen. Und die Küsse in den Wind. Und die Flucht vom Rasen.

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