Jürgen Klinsmann als US-Nationaltrainer:Auf der anderen Seite des Tellers

Jürgen Klinsmann macht als US-Nationaltrainer wieder das, was er am besten kann: Er nimmt den Laden auseinander. Als Coach der deutschen Nationalmannschaft hat er den deutschen Fußball amerikanisiert. Jetzt "deutscht" er den amerikanischen Fußball ein - und nutzt dafür alte Netzwerke.

Christof Kneer

Im Großraum Schwaben ist dieses Turnier eine große Nummer. Wer einmal da war, der kann jahrelang herrlich prahlen. Manche erzählen stolz, sie hätten dort erstmals die jungen Seedorf und Kluivert erblickt, andere brüsten sich damit, dass ihnen dieser Özil schon als 17-Jähriger und damit vor allen anderen deutschen Staatsbürgern aufgefallen sei.

Jürgen Klinsmann als US-Nationaltrainer, US-Fußball-Nationalmannschaft

Bitte Mühe geben, der Chef schaut zu: Die US-Nationalspieler beim Warmmachen vor dem Länderspiel in Frankreich.

(Foto: AFP)

Regelmäßige Besucher dieses Turniers bringen inzwischen sogar ein halbes Mittelfeld von Real Madrid zusammen, sie haben neben Özil auch den jungen Sami Khedira und den jungen Nuri Sahin entdeckt. Das A-Junioren-Turnier im Sindelfinger Glaspalast gilt als Insider-Messe für Spieler, die man sich merken muss. Die besten deutschen Klubs schicken jeden Januar ihre A-Junioren-Jahrgänge vorbei, gerne kommen auch Ajax Amsterdam oder Lazio Rom.

Im Januar 2012 kommt auch die U19-Auswahl der USA. Die Amerikaner waren vorher noch nie da. Aber Jürgen Klinsmann war ja vorher auch noch nie amerikanischer Nationaltrainer.Trainingsgast in der Bundesliga Der größte Teil von Jürgen Klinsmann ist in Amerika zurzeit, am Mittwoch traf er seinen Trainerstab zur Teamsitzung.

Aber ein kleiner Teil von ihm ist im Moment auch in good old Europe. Man könnte also auf den ersten Blick meinen, dass sich gar nicht viel verändert hat seit den Tagen, als Klinsmann noch die deutsche Elf verantwortete.

Auch damals war er physisch meistens in Übersee, während ein virtueller Teil von ihm zum Beispiel wegen eines republikgefährdenden 1:4 in Italien vom Sportausschuss des deutschen Bundestages angeklagt wurde. Was sich aber komplett verändert hat, ist die Perspektive: Damals versuchte Klinsmann den Deutschen zu erklären, sie müssten sich vom US-Sport inspirieren lassen.

In Schwaben tun sie ihm gerne Gefallen

Über den Tellerrand schauen, so nannte er das. Jetzt schaut er wieder über den Teller, aber in die andere Richtung. Damals hat er den deutschen Fußball amerikanisiert. Jetzt wird der amerikanische Fußball eingedeutscht. Klinsmann späht in Deutschland nach Spielern mit US-Wurzeln, er hat bereits Chandler (Nürnberg), Williams und Johnson (beide Hoffenheim) zu US-Nationalspielern gemacht, die Olympia-Auswahl hat er zu einem Lehrgang in Duisburg zusammenziehen lassen, und auch die U19 des US-Verbandes kommt natürlich wegen Klinsmann nach Sindelfingen.

Im Großraum Schwaben tut man dem Bäckerbuben aus Botnang gerne jeden Gefallen, aber auch auf andere Weggefährten ist noch Verlass, wie ein Blick auf ein paar ausgesuchte europäische Trainingsplätze beweist: Der 18-jährige US-Angreifer Juan Agudelo (New York Red Bulls) trainiert gerade beim VfB Stuttgart mit, Robby Rogers (24, Columbus Crew) und Kyle Beckerman (29, Real Salt Lake City) findet man auf dem Übungsgelände des 1. FC Kaiserslautern, dessen Vorstandschef Stefan Kuntz mit Klinsmann seit den gemeinsamen EM-Wochen 1996 beste Kontakte pflegt.

Den Mittelfeldspieler Jeff Larentowicz (28, Colorado Rapids) hat Klinsmann bei den Bolton Wanderers untergebracht, und für Brek Shea (FC Dallas), eines der größten US-Offensivtalente, hat Klinsmann sogar die alte Verbindung zu seinem Ex-Coach Arsene Wenger aktiviert. Shea, 21, trainiert jetzt beim FC Arsenal.

Klinsmann macht wieder das, was er am besten kann. Er nimmt den Laden auseinander. Es gefällt ihm nicht, dass die US-Profiliga bis März pausiert, also inspiriert er seine Jungs, den Beckham-Weg zu gehen. Der große, alte Engländer hat sich über den Winter meist an den großen, alten AC Mailand ausleihen lassen, so prominent sind Klinsmanns Jungs nicht.

Sie haben keine Verträge, sie üben auf jederzeit kündbarer Basis erst mal bis zur Winterpause mit. Sie wissen aber: Wenn sie sich so anstrengen, dass ein europäischer Klub sie verpflichtet, würde sich keiner mehr freuen als ihr amerikano-schwäbischer (schwäbo-amerikanischer?) Coach.

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