Jüngste Mannschaft des FC Bayern:Der Mini-Rekordmeister

Sie können sich noch nicht selbst die Fußballschuhe binden, aber wenn sie aufs Spielfeld laufen, sind sie der deutsche Rekordmeister: Zu Gast bei der U8, der jüngsten Mannschaft des FC Bayern.

Oliver Hollenstein

Jüngste Mannschaft des FC Bayern: Seit drei Monaten geht er in die zweite Klasse, seit vier Monaten spielt er bei den Bayern: Sebastian "Sebi" Demmer (links) im Zweikampf.

Seit drei Monaten geht er in die zweite Klasse, seit vier Monaten spielt er bei den Bayern: Sebastian "Sebi" Demmer (links) im Zweikampf.

In der Halbzeitpause weinen sie, die Bayern. War aber auch ein blödes Ding. Die Situation längst entschärft, dann dieser Rückpass, etwas ungenau, der Torwart, etwas unaufmerksam, Tor. Eigentor. FC Bayern München gegen SpVgg Ruhmannsfelden 2:2.

"Jungs, ich habe euch gesagt, ihr dürft die nicht unterschätzen", sagt Bayern-Trainer Christian Hufnagel zu seiner Mannschaft, die sich in einer kleinen Holzhütte am Spielfeldrand vor dem Regen schützt. "Ihr müsst aufmerksamer sein." Sebastian Demmer schaut auf den Boden, er hat gleich nach dem Eigentor auf dem Platz angefangen zu weinen, immer noch fließen Tränen. Marinus, Torwart und Sebastians bester Freund, legt den Arm um seine Schultern. "Sebi, macht nix, is doch nur'n Freundschaftsspiel."

Sebi und Marinus sind sieben Jahre alt. Seit drei Monaten gehen sie in die zweite Klasse, seit vier Monaten spielen sie beim FC Bayern. Die U8 ist die jüngste Mannschaft des Vereins. Die Zweitklässler tragen das weiß-rote Bayern-Auswärtstrikot, schwarze Bayern-Mützen und schwarze Bayern-Handschuhe, in der Pause schwarze Bayern-Überjacken, nach dem Spiel rot-blaue Bayern-Trainingsanzüge, im Training schwarzes Bayern-Trainingsdress, alles mit Werbung von Adidas und Telekom. Sie sehen aus wie ein FC Bayern, der einem Erwachsenen bis zum Bauchnabel geht.

Samstagmorgen, neun Uhr, Säbener Straße, das Trainingsgelände der Bayern. Mit 75 Fans sind sie angereist aus Ruhmannsfelden, zwei Stunden aus dem Bayerischen Wald. "Wir erwarten natürlich einen Sieg", sagt die Frau des Trainers. "Unser Torverhältnis liegt bei 124:2." Die umstehenden Mütter lachen. Sie sind es nicht gewohnt, draußen zu warten. Aber beim FC Bayern sind die Regeln anders: Mamas dürfen nicht in die Kabine. Zu viel Chaos vor dem Spiel, haben die Bayern-Trainer gesagt.

"Das ist schon ein Wahnsinns-Erlebnis", sagt eine Mutter, die eine Stofftasche mit geschmierten Brötchen für die Spieler trägt. "Viele der Jungs haben schon tagelang nicht mehr richtig geschlafen. Wir spielen gegen den FC Bayern, den deutschen Rekordmeister."

Im Trikot der Bayern wird ein Siebenjähriger zum Idol und Hassobjekt

Sie kennen das bei der Bayern-Jugend. Als deutscher Rekordmeister, Rekord-Pokalsieger, zweimaliger Weltpokal-Sieger werden sie bei Auswärtsspielen oft vorgestellt. "Zieht den Bayern die Lederhosen aus", "Wir würden nie zum FC Bayern München gehen", die Schmählieder für die Profis gelten dann auch ihnen.

Dass sich die Spieler der U8 noch nicht selbst die Fußballschuhe binden können, dass im allerbesten Fall vielleicht einer der neun Jungen einmal Profi wird, dass sie auf einem Kleinfeld sieben gegen sieben spielen, zwei Mal zwanzig Minuten, dass die Gegner der Bayern meistens ein Jahr älter sind: egal. Im Trikot des FC Bayern wird auch ein Siebenjähriger zum Bayern-Spieler, zum Idol und Hassobjekt.

Jüngste Mannschaft des FC Bayern: Hochkonzentriertes Fitnesstraining: Zwei Mal in der Woche trainieren die Zweitklässler, zwei Mal die Woche fahren sie zu Spielen.

Hochkonzentriertes Fitnesstraining: Zwei Mal in der Woche trainieren die Zweitklässler, zwei Mal die Woche fahren sie zu Spielen.

Familie Demmer wohnt in einer Einfamilienhaus-Siedlung in Buchenau bei Fürstenfeldbruck, gut 35 Kilometer von der Säbener Straße entfernt. Sebi und Marinus sitzen am Küchentisch und malen mit dicken Buntstiften in einem Malbuch, ein Fußballbild. Die Trikots der Spieler kriegen Längsstreifen, dunkelblau und rot. "Wie Barcelona", sagt Sebi. "Wie Messi", sagt Marinus. "Und wie Xavi", sagt Sebi. Ist Fußballspielen bei Bayern eigentlich anders? "Jaaa", sagt Sebi, Marinus nickt aufgeregt. "Da sind die Bälle komisch. Immer zu hart. Oder zu weich."

Frank Demmer, Sebis Vater, sitzt am Kopfende des Tisches und schmunzelt. "Für die Jungens ist alles noch total spielerisch. Die machen sich keine großen Gedanken", sagt er in einem Singsang, der ein bisschen an Reiner Calmund erinnert. "Die sind fußballverrückt und kicken sowieso den ganzen Tag." Dennoch oder vielleicht gerade deswegen habe er zunächst gezweifelt, ob er Sebi schon in dem Alter den Stress mit dem FC Bayern antun solle. "Ich wollte ihm eigentlich die Chance geben, sich hier im Verein noch ein paar Jahre in Ruhe zu entwickeln. Aber die Jugendbetreuer von Bayern meinten, er solle es jetzt schon versuchen."

Bei den Bayern ist es mit der Ruhe vorbei. "Da musst du jetzt immer gewinnen, ne, Sebi", sagt Yannick Demmer und strubbelt seinem kleinen Bruder durch die Haare. Yannick muss es wissen. Der 16-Jährige spielt seit sechs Jahren bei den Bayern, inzwischen in der U17-Bundesliga. "Bei den Bayern ist der Druck einfach höher als bei anderen Vereinen", sagt er. "Jeder Gegner strengt sich mehr an, weil er gegen den FC Bayern München gewinnen will."

Die Bayern müssen gewinnen. Alles andere als ein Sieg ist eine Sensation. Das ist bei den Profis so, das ist bei der U8 so. "Wichtig ist, dass wir schnell ein paar Tore machen", schärft Trainer Hufnagel seiner Mannschaft vor dem Spiel gegen Ruhmannsfelden ein. "Sonst werden die Eltern wieder laut." Die Kinder nicken ernst.

Die wichtigste Regel: Zusammenspiel

Die Mannschaft aus dem Bayerischen Wald hat deutlich mehr Fans mitgebracht, als Bayern-Unterstützer zum Kunstrasenplatz am Rand des FCB-Trainingsgeländes gekommen sind. Mamas, Papas, Omas, Opas, Schwestern und Brüder. Viele haben Fotoapparate dabei, einer filmt mit seinem iPad das Spiel. Und es kommt, wie von Hufnagel befürchtet: Felix, der Sohn des Ruhmannsfelder Trainers, umtanzt auf der rechten Seite seinen Gegenspieler, schießt mit links ins Bayern-Tor. 0:1. Die Ruhmansfelder Fans jubeln so laut, dass die mitgebrachten Kleinkinder die Gesichter verziehen. "Ja, wir machen die Bayern fertig", schreit ein junger Vater mit Mantel und gegeelter Bankerfrisur.

FC Bayern U 8

Torwart Marinus ist Sebis bester Freund. Was bei den Bayern anders ist? Mal sind die Bälle zu hart, mal zu weich, sagt er.

Bayern-Trainer Hufnagel verschränkt die Arme vor der Brust, schüttelt den Kopf. Wenn sein Team in Rückstand gerät, wird es schwieriger, hat er vorher gesagt. Dann dreht die Stimmung am Spielfeld oft gnadenlos gegen seine Mannschaft, dann wird der Druck riesig für die Kleinen. Nun sagt er: "Wie alt ist der Kerl, der das Tor geschossen hat? 20? Der ist doppelt so groß wie unsere Spieler." Später wird er ihn zum Probetraining einladen.

Es ist das Prinzip der Bayern. Die Besten sollen hier spielen, auch in der Jugend. Einmal im Jahr, bei den Talenttagen im Juni, sichten die Trainer Hunderte Kinder. Außerdem sind Scouts in ganz Bayern unterwegs. Marinus kommt aus Bad Aibling. Vier Mal in der Woche muss er nach München gefahren werden, hin und zurück 120 Kilometer. Zwei Mal Training, zwei Mal Spiel. Geld oder Fahrtkostenzuschüsse zahlen die Bayern für die Kleinen noch nicht. Das Versprechen: die bestmögliche Ausbildung.

Die U8 trainiert mittwochs und freitags. "Stooop!", schreit Hufnagel über den Platz, die Kinder laufen zusammen. Wie diszipliniert die Kleinen trainieren, erstaunt sogar die Eltern. Bislang haben die Kinder Spannschüsse geübt, flach, Entfernung 30 Meter, abwechselnd linker Fuß, rechter Fuß. Dann Torschüsse, beidfüßig. "Jetzt spielen wir", ruft Hufnagel, klatscht in die Hände. Fünf gegen fünf, Doppelpässe zählen als Tor. "Stooop!", schreit Hufnagel wieder, abrupt bleiben die Kinder an ihren Positionen stehen. Der Trainer läuft aufs Spielfeld, erklärt, wie nun wer laufen könnte und wer nun wen anspielen könnte.

Von den jungen Talenten wird kaum einer zum Profi

Wer schon in der Jugend bei den Bayern spielt, lernt nicht nur Technik und Tricks, sondern Taktik und Fußballdenken. Profis werden trotzdem die wenigsten. Trainer Hufnagel, dessen Sohn zehn Jahre bei der Bayern-Jugend gespielt hat, warnt die Eltern davor, sich zu viel davon zu versprechen. "Es ist egal, wie gut ein Kind mit 7 ist." Ein Kind kann sich verletzen, irgendwann zu klein und schwach für Fußball sein, einfach keine Lust mehr haben. Von den derzeitigen Profis war nur Diego Contento schon in der U8 bei den Bayern.

Die zweite Halbzeit gegen Ruhmannsfelden beginnt wie die erste. Kurz nach der Pause versenkt wieder Felix, der Sohn des Trainers, den Ball im Netz. Vorher spielt er ausgerechnet Sebi aus. 3:2, es wäre die erste Heimniederlage für die Bayern in dieser Saison. Meistens gewinnen sie mit mehr als zehn Toren Abstand. Sebi weint, Hufnagel wechselt ihn aus. "Das hat keinen Sinn mehr, jetzt ist er durch", sagt Sebis Vater am Spielfeldrand. Hufnagel ruft: "Jetzt konzentriert euch, kämpft." Sie kämpfen, sie gleichen aus. Dann schaffen sie mit einem Weitschuss von der Strafraumgrenze das 4:3.

Nach dem Spiel müssen die Eltern wieder warten, vor den Kabinen herrscht dichtes Gedränge. "Das ist mal eine gute Erfahrung für die Jungens, dass es auch mal knapp war", sagt Frank Demmer. Dann kommt Sebi aus der Kabine, schaut seinen Vater mit großen Augen an. "Papa, kann der Marinus nächste Woche zum Spielen vorbeikommen?"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: