Joshua gegen Klitschko:Würdiger als Klitschko kann man nicht K.o. gehen

Er boxt langweilig, ohne richtige Gegner und kann nichts einstecken - mit dem Kampf gegen Anthony Joshua hat Wladimir Klitschko alle Kritiken widerlegt. Es wäre der perfekte Zeitpunkt für ein Karriereende.

Kommentar von Saskia Aleythe, London

Drei Stunden waren schon vergangenen nach Kampfende, doch Wladimir Klitschko hat in seiner Karriere schon oft bewiesen, dass er auch tief in der Nacht noch prägende Sätze parat haben kann. Seine Pressekonferenz um zwei Uhr nachts moderierte er kurzerhand selbst, stellt sich auch gleich selber die erste Frage und irgendwann später sagte Klitschko: "Du kannst nur Tore schießen, wenn du im Spiel bist. Ich habe heute auch Tore geschossen, aber Joshua hatte mehr."

Für einen Kampf, der in einem Fußballstadion ausgetragen wurde, waren das freilich passende Worte, aber sie legten auch den Blick frei auf eine Tatsache, die dieser Abend mit sich gebracht hatte. Klitschko war gegen Anthony Joshua k.o. gegangen, er konnte die drei zur Eroberung gedachten WM-Gürtel nicht mit nach Hause nehmen. Aber ein Verlierer? Das war er nicht.

"Obwohl ich meinen zweiten Kampf in Folge verloren habe, habe ich heute Abend auch viel gewonnen", sagte Klitschko, das war ein Verweis auf seinen überraschenden Titelverlust gegen Tyson Fury im November 2015. Damals ließ er sich übertölpeln von einer unorthodoxen Taktik, von den Psychospielchen des Briten, er hatte einen richtig miesen Tag - und schoss keine Tore. Sein Ego sei angekratzt, meinte Klitschko vor der Begegnung mit Joshua. Er wolle sich beweisen, dass er das Boxen noch drauf hat, wieder ein Champion sein kann. Samstagnacht, nach dem Kampf, schien er bemerkt zu haben, dass ein Champion nicht zwingend einen WM-Gürtel tragen muss.

Klitschko geht Risiken ein und widerlegt mit einem einzigen Kampf seine Kritiker

Es gibt drei wesentliche Kritikpunkte, die Klitschko in seiner Karriere verfolgen und alle drei konnte er durch den Kampf gegen Joshua bekämpfen. In seinem Jahrgang ist er ein Hochbegabter, dem es an hochklassigen Gegnern oft mangelte, was nur schwerlich von ihm selbst beeinflusst werden kann. Der Vorwurf, er würde sich nur in Kämpfe stürzen, die für ihn ungefährlich seien, wurde mit dem Aufeinandertreffen mit Joshua obsolet. "Ich habe dem jungen Herausforderer das Gesicht gezeigt und nicht den Rücken", sagte Klitschko und hatte damit durchaus Recht: Das Duell galt schon vor dem ersten Gong als ziemlich riskant.

Allerdings nur sportlich, fürs Image ist es auf jeden Fall ein Gewinn. Gegen einen Joshua kann man auch als Klitschko verlieren, ohne ihm Schatten zu versinken. "Ich fühle mich nicht, als hätte ich meinen Namen, Gesicht oder Reputation verloren", meinte Klitschko nach dem Kampf. Natürlich sei er enttäuscht, "weil ich gehofft habe, heute einen großen Sieg zu feiern. Aber: Ich habe die Herausforderung angenommen".

Kritiker dichteten Klitschko einst ein Glaskinn an

Ein zweiter Kritikpunkt ist sein Boxstil: Verbunden mit der Wehrlosigkeit vieler seiner unterlegenen Gegner der vergangenen Jahre war stets das auf die Defensive bedachte Lauer-Boxen eher eine Herausforderung als ein Genuss für den Beobachter. Auf Sicherheit bedacht hielt sich der 41-Jährige die Kontrahenten mit seinem Jab vom Hals, es wurde viel geklammert und sich auf den Gegner geduckt - davon gab es gegen Joshua so gut wie gar nichts zu sehen. "Ein bisschen durch den Ring tanzen wird nicht reichen", sagte Klitschko vorab. Die Vorstellung gegen Joshua war wohl die offensivste seiner Karriere. Es wurde tatsächlich geboxt.

Womit auch der dritte Kritikpunkt zusammenhängt: Wer offensiv schlägt, muss defensiv Abstriche machen und fängt sich schon mal eine. Nach seiner Niederlage im Jahr 2004 gegen Lamon Brewster wurde Klitschko ein Glaskinn angedichtet, weil er allzu sehr ins Wanken geriet. Gegen Joshua ist er nun drei Mal zu Boden gegangen - und wieder aufgestanden. Was auch für eine Willenskraft steht, die andere sich erst einmal antrainieren müssen.

"Das war mein bester Kampf, den ich wahrscheinlich gewinnen sollte", sagte Klitschko mit Wehmut in der Stimme und die Gelegenheit dazu hätte er auch gehabt. Als Joshua in der sechsten Runde wie eine Boje durch den Ring wankte, hätte wohl eine platzierte Rechte für einen weiteren Niederschlag gereicht. Was für einen 41-Jährigen gegen einen hoch talentierten 27-Jährigen eine beeindruckende Leistung darstellt. Womöglich war der 29. April 2017 der Tag, an dem Klitschko seinen größten Sieg feierte. Und das mit einer Niederlage.

Es werde dauern, bis er sich zu seiner Zukunft äußern werde, meinte Klitschko nach dem Kampf, er mag die Fragen danach nicht gerne und hat sich auch noch nicht entschieden. "Ich fühle mich im Moment sehr gut, auch wenn ich verloren habe", sagte er noch und das ist aufgrund der genannten Faktoren gut nachvollziehbar. Eine Rückkampfoption mit Joshua ist vertraglich vereinbart, wobei die Betonung auf "Option" liegt. Will Klitschko, wird es dazu kommen.

"Manchmal lernt man von Rückschlägen mehr als vom Erfolg", sagte Klitschko tief in der Nacht im Wembley-Stadion, als die 90 000 Zuschauer längst woanders weiterfeierten. Ob dieser Abend nun eine Erfrischung für seine Karriere ist, wurde er noch gefragt. "Absolut", sagte er, "es hat sich alles ausgezahlt. Da gibt es jetzt mehr Gewinner als Verlierer insgesamt." Es wäre ein würdiges Ende einer großen Karriere.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: