Fußball-WM:Löws falscher Plan

Der Bundestrainer gilt als prinzipientreu und von seinen Ideen überzeugt. So ist er Weltmeister geworden. Doch er hat einige Warnsignale ignoriert.

Kommentar von Martin Schneider, Moskau

Langfristige Planung ist eigentlich nie verkehrt, und gerade Deutsche wissen sie zu schätzen. Aber nach dem 1:0-Sieg seiner Mannschaft zum WM-Auftakt war es der mexikanische Trainer Juan Carlos Osorio, der mit Stolz sagen konnte: "Wir hatten einen Spielplan, den haben wir bereits vor sechs Monaten aufgestellt." Es war ein guter Plan, das steht fest. Im Gegensatz zum Plan der Deutschen. Spieler Thomas Müller und Manager Oliver Bierhoff mussten in Interviews zugeben, dass Mexiko eine ganz andere Taktik gespielt hatte, als man das eigentlich erwartet hätte. Der Plan der Mexikaner überraschte die Deutschen, die dann keinen Plan dagegen fanden. In der Fußballersprache heißt das: Joachim Löw wurde ausgecoacht.

Taktik und Spielplan liegen in jeder Mannschafts-Sportart in der Verantwortung des Trainers. Bei allem weltmeisterlichen Respekt muss man vor allem mit Blick auf die erste Halbzeit feststellen, dass das deutsche System schlicht nicht funktioniert hat. Das merkt man immer daran, dass es schwer fällt, einen oder zwei Spieler herauszugreifen, denen man die Verantwortung für eine Niederlage zuschieben kann. Wenn Mexikos Angreifer allein in der ersten Halbzeit nicht einmal, nicht zweimal, nein, fünfmal einsam über das weite Feld Richtung deutsches Tor rannten, dann gibt es halt zwei Möglichkeiten: Entweder passte die Taktik nicht, oder die Mannschaft setzte die passende Taktik nicht um.

Ist die Hochrisiko-Variante im ersten Spiel nötig?

Abwehrspieler Mats Hummels, der im ZDF seine Wut nur mit Mühe zügeln konnte, nannte Zahlen: Wenn sieben oder acht deutsche Feldspieler angreifen, dann sind nach den knallharten Gesetzen der Mathematik eben nur noch drei oder zwei Feldspieler hinten. Man kann natürlich so spielen, aber man muss sich bewusst sein, dass dies die Hochrisiko-Variante unter den Strategien ist. Und braucht man die wirklich für ein erstes Gruppenspiel? Für die Experten: Mexiko stand tief, stellte die spielstarken Kroos und Hummels zu und wartete auf Ballverluste, um zu kontern. Deutschland versuchte mit offensiver Wucht durchzukommen und schaffte das nicht.

Der Vorwurf an Löw und sein Team lautet: Sie haben verschiedene Warnsignale entweder ignoriert oder sie konnten nicht darauf reagieren. Beim Testspiel gegen Saudi-Arabien kämpfte die Mannschaft mit nahezu identischen Problemen. Schon bevor das Tor von Mexiko fiel, sah man ganz ähnliche Spielzüge. Der Fußballfloskelbaukasten sieht dafür den Satz vor: "Das Tor hat sich abgezeichnet."

Bei dieser WM sitzt erstmals ein Co-Trainer auf der Tribüne und kann per Headset mit der Auswechselbank kommunizieren - und von oben müssen die Löcher im deutschen Mittelfeld noch eindrucksvoller ausgesehen haben als vom Spielfeldrand. Löw wartete aber bis zur 60. Minute, ehe er den unglücklichen Sami Khedira auswechselte, Marco Reus brachte und mit Mesut Özil auf der Doppel-Sechs für mehr Stabilität sorgte. Die Vermutung ist nicht so weit hergeholt, dass ein Pep Guardiola das System schon früher umgestellt hätte.

Löw muss ein gravierendes Problem lösen

Joachim Löw sprach in seiner Analyse hauptsächlich von den leichten Ballverlusten seiner Mannschaft, weniger von der fehlenden Absicherung nach hinten. Auch Julian Draxler mahnte an, dass man die Kugel zu leicht hergegeben habe. Doch als ein Journalist nachfragte, ob es nicht normal sei, dass im Fußball nun mal ab und zu der Ball verloren gehe und man darauf als Team eine Antwort haben müsse - da musste er zustimmen.

"Einen Plan über den Haufen schmeißen, das machen wir schon gar nicht", sagte Löw auf der Pressekonferenz. Wohl aber werde er "einige Korrekturen anbringen". Wo die Grenze zwischen "einigen Korrekturen" und "Plan über den Haufen" werfen ist, das wird dann vermutlich Definitionsfrage sein. Der Bundestrainer gilt als prinzipientreu und von seinen Ideen überzeugt. So ist er Weltmeister geworden. Aber bis zum Spiel gegen Schweden muss er mindestens ein gravierendes Problem lösen: Entweder er hat die falsche Taktik vorgegeben - dann muss er umdenken. Oder seine Spieler setzen die richtige Taktik nicht um - dann muss er seine Spieler zum Umdenken bringen.

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