Joachim Löw vor WM-Viertelfinale:Mit jedem Fallstrick mehr Selbstbewusstsein

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Hat Löw auf langen Strandspaziergängen innere Ruhe gefunden? Der DFB-Trainer gibt sich vor dem WM-Viertelfinale gegen Frankreich tiefenentspannt.

Von Thomas Hummel, Rio de Janeiro

Der Leiter der Pressekonferenz im Bauch des Maracanã-Stadions wollte Joachim Löw wohl einen Gefallen tun. Jetzt mal Schluss mit dem Termin hier, vorletzte Frage, bitte. Okay, jetzt die letzte. Hiermit beenden wir die Gesprächsrunde. Doch der Bundestrainer war darauf nicht vorbereitet. "War's das jetzt?" fragte Löw überrascht, zog den Kopfhörer für die Übersetzungen an einem Ohr nach unten und blickte mit großen Augen hinüber. Ja, ja, Mister Löw, Sie können nun gehen. "Ah, okay", Löw legte den Kopfhörer vor sich auf den Tisch, bot dem verdutzten Chef der Veranstaltung den Handschlag an, lächelte freundlich und klopfte ihm auf die Schultern. Haste gut gemacht.

Joachim Löw legte vor dem Viertelfinale der Fußball-Weltmeisterschaft einen Auftritt hin, der in Erinnerung bleiben wird. Über das Wie entscheidet erst einmal der Ausgang des Spiels am Freitag, Ortszeit 13 Uhr, in Rio de Janeiro gegen Frankreich. Verliert die Nationalmannschaft, werden die Gegner über ihn herfallen und ihm vorwerfen, die Bodenhaftung verloren zu haben. Gewinnt er, vielleicht am Ende alles, was sich die Fußballnation erträumt, steigt er auf in die Kategorie Herberger und Beckenbauer. Als standhafte Persönlichkeit, die ihre Linie durchzog, ohne auf die wirren Stimmen von außen gehört zu haben.

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Einige Fragen an Löw am Donnerstag hatten das Potenzial für einen Knalleffekt. Doch der 54-Jährige ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil: Mit jedem Fallstrick, der ihm hingelegt wurde, trug er mehr Selbstbewusstsein zur Schau.

Herr Löw, zu Hause werden Sie sehr stark kritisiert, macht Ihnen das was aus? "Ich bekomme das gar nicht aus der Nähe mit. Ich lese fast keine Zeitungen bei der WM. Davon mache ich mich ein Stück weit frei", antwortete er. Er habe diese Situationen schon erlebt bei Turnieren. Da gebe es unterschiedliche Meinungen. Der Druck auf den Bundestrainer sei groß.

Löw lacht diebisch

Herr Löw, viele wünschen sich, dass Philipp Lahm wieder rechts hinten spielt. "Glauben Sie nicht, dass das für mich was Neues ist. Früher wurde debattiert, ob er links oder rechts spielen soll. Solche Diskussionen helfen mir nicht unbedingt weiter." Er und sein Trainerstab machten sich vor jedem Spiel Gedanken, was das Beste für die Mannschaft sei. "Aber es gibt nie Entscheidungen, die für ewig zementiert sind."

Die Leute müssten sich gedulden, bis morgen der Spielberichtsbogen vorliege. Oder bis das Spiel beginne. "Wo er spielt, werden sie morgen relativ schnell erkennen", sagte er und lachte fast diebisch.

Dann wurde es persönlich: Herr Löw, bekommen Sie mit, dass bereits über Ihre Zukunft diskutiert wird? Jetzt wirkte es, als würde ein kleiner Zorn in sein Gemüt kriechen. Wenn auch nur ein klitzekleiner. In Südafrika sei es vom zweiten Spiel weg um seine Zukunft gegangen, erinnerte er. "Ganz ehrlich, solche Dinge interessieren mich überhaupt nicht. Ich bin völlig tiefenentspannt. Andere sind bereits im Urlaub. Wir werden morgen unter die letzten vier kommen, dann sehen wir weiter."

Die Atmosphäre zwischen Kritikern und dem Bundestrainer hat sich seit dem wackligen Achtelfinale gegen Algerien erheblich eingetrübt. Weil Löw und seine Berater bislang partout nicht auf ihre Anregungen und Ratschläge eingehen wollen, verschlechtert sich die Laune im Umfeld zusehends. Da sagen, schreiben, kommentieren sie zum hundertsten Mal, dass Lahm rechts hinten spielen soll, und dieser Löw sitzt vorne und sagt, er sei "tiefenentspannt". Dabei steht nach wie vor die Antwort auf die Frage aus, ob Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger ein solch intensives Spiel über 90 Minuten überhaupt durchhalten. Von 120 Minuten ganz zu Schweigen.

Oder ob sie mangels Fitness und Konstanz zwangsläufig bei ihrer Arbeitsteilung bleiben müssen. Nun wird Löw selbst in normalen Berichten "Sturheit" oder "bockige Treue" vorgeworfen, falls er weiterhin an Lahm im Mittelfeld, an Benedikt Höwedes oder Mesut Özil festhalte. Dass sich Shkodran Mustafi schwer am Muskel verletzt und damit nicht mehr einsatzbereit ist, wurde nicht selten mit hämischem Unterton kommentiert. Nach dem Motto: Das Problem hat sich erledigt.

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In der Mannschaft führt die Wucht der Unzufriedenheit mit den Leistungen und den Entscheidungen des Bundestrainers zu genervter Stimmung. Per Mertesackers Rückfrage "Was soll diese Fragerei" im ZDF ist exemplarisch. Thomas Müller sagte, er habe nicht vor, sich für einen Finalsieg mit nur einem Tor Unterschied zu entschuldigen. Die Mannschaft spiele nicht für Schlagzeilen. Löw urteilte, dass die erste Halbzeit gegen Algerien "ganz schlecht" gewesen sei. Doch er erklärte auch: "Wenn hier jemand denkt, dass man im Achtelfinale mal locker einen besiegt, der kennt sich im internationalen Fußball nicht aus. Ein Spiel bei einer WM ist kein Computerspiel, das so einfach zu berechnen ist."

Falls er sich keine perfekte Maske aufsetzt hier in Brasilien, hat Löw auf den langen Spaziergängen und Läufen am Strand von Campo Bahia die innere Ruhe gefunden. Er wolle an der generellen Linie festhalten, ohne Umstellungen völlig auszuschließen.

Die Aufregung rund um die Aufstellung am Freitag ist groß. Der TV-Sender Sky meldete vom Abschlusstraining im Maracanã, dass Lahm rechts hinten verteidigt habe und Miroslav Klose Mittelstürmer spielte. Die Bild-Zeitung sah, dass Kevin Großkreutz rechts hinten in der ersten Elf agierte und vorne wieder Götze, Müller und Özil angriffen. Die Spekulationen nehmen Fahrt auf.

Löw jedenfalls war sich seiner Sache einen Tag vor dem Spiel sicher. "Wir sind siegessicher, selbstbewusst, gut vorbereitet. Wir gehen mit allem Selbstbewusstsein, das wir haben, in das Spiel", sagte er. Ohne zu verschweigen, dass sich seine Elf "mit einer Klasse-Mannschaft" messen werde. Die Franzosen seien bislang bei dieser WM sehr stabil, sehr gut, es werde eine Begegnung auf Augenhöhe werden.

Hummels soll wieder gesund sein

Eine beunruhigende Nachricht hatte er auch dabei: Fast ein Drittel des Kaders klagte am Donnerstag über starke Halsschmerzen. Nach Mats Hummels gegen Algerien drohten diesmal gleich mehrere Profis auszufallen. "Es gab bislang bei keinem ein Gefühl der Müdigkeit. Wir hoffen, dass über Nacht keine Verschlechterung eintritt", sagte der Bundestrainer. Hummels soll zumindest wieder gesund sein und in die Innenverteidigung zurückkehren.

Doch egal, wer im Maracanã in den weißen Trikots aufläuft. Sollte Deutschland das Spiel verlieren, könnte ein Sturm der Entrüstung losbrechen. Da dürfte sich so mancher Internet-Shitstorm in der Vergangenheit rückblickend zu einem lauen Lüftchen reduzieren.

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