Joachim Löw und die Nationalelf:Unauffällige Revolution

Weil der Fußball der deutschen Nationalelf vor lauter Begeisterung so selten seziert wird, können Joachim Löw und Hansi Flick in aller Ruhe daran arbeiten, sie auf die nächste Ebene zu heben: Sie bringen der Mannschaft eine neue Art von Fußball bei.

Christof Kneer

Es sah aus wie ein Bild aus der heiligen Zeit. Zu erkennen war Jürgen Klinsmann neben seinem treuen Helfershelfer Joachim Löw, sie saßen auf der Tribüne in Hoffenheim. Spötter meinen ja, sie hätten dort einen erheblichen Teil ihrer gemeinsamen Amtszeit verbracht, was so nicht stimmt: Klinsmann und Löw saßen nur auf der Hoffenheimer Tribüne, wenn sie nicht auf der Tribüne in Stuttgart saßen.

Training der deutschen Nationalmannschaft - Hamburg

Joachim Löw möchte der deutschen Nationalelf eine neue Art von Fußball beibringen.

(Foto: dpa)

Auf dem Bild schauen sie recht neutral in die Gegend, aber zu vermuten ist, dass Klinsmann gedanklich schon wieder einen Laden auseinandernimmt, während Löw heimlich eine Stoppuhr bedient, mit der er die Sekunden zwischen Balleroberung und Ballweiterleitung misst. Nach dem Spiel würde Klinsmann wieder über die Bundesliga schimpfen und dann den Flieger nach Kalifornien besteigen, von wo er erst kurz vor der Nationalhymne des nächsten Länderspiels wieder zurückkehren würde.

Aber etwas stimmte nicht an diesem Bild, das am Wochenende in Umlauf geriet. Klinsmann und Löw sahen nicht aus, als würden sie noch zur selben Firma gehören, und auf dem Rasen sahen sie keinen einzigen deutschen Nationalspieler. Klinsmann scoutete für sein neues Land, er überprüfte Hoffenheims US-Talent Danny Williams auf seine Proaktivität.

Und Löw saß da mit der beruhigenden Gewissheit, dass er jetzt selbst über einen treuen Helfershelfer verfügt. Hansi Flick saß in keinem Stadion am Wochenende. Er arbeitete zu Hause an den Trainingsplänen, mit denen die deutschen Nationalspieler in den nächsten Tagen weiterentwickelt werden, wie Klinsmann vermutlich sagen würde.

Seit der heiligen Zeit um 2006 ist der deutsche Fußball enorm, enorm gewachsen, wie Klinsmann ganz bestimmt sagen würde, aber die neuen Wachstumsschübe vollziehen sich unauffällig, fast unbemerkt. Für die Öffentlichkeit hat sich das Bild der Nationalelf zuletzt kaum verändert. Der Trainer: taktisch und auch sonst gut frisiert. Die Spieler: Sympathievordergrund, Migrationshintergrund. Der Fußball: irgendwie schöner als früher, irgendwie schnell und offensiv.

Eine neue Art von Fußball

Es ist Löw und Flick nicht unrecht, dass der Fußball ihrer Elf vor lauter Begeisterung so selten seziert wird. So können sie in aller Ruhe daran arbeiten, die Elf auf die nächste Ebene zu heben. Was sie im Moment planen, ist eine leise Revolution: Im Grunde bringen sie ihrer Mannschaft gerade einen anderen, einen neuen Fußball bei. "Bei der WM war das schnelle Umschalten nach Ballgewinn unsere große Stärke", sagt Trainingsplaner Flick, "wir kamen aus der eigenen Hälfte und waren im Idealfall in wenigen Sekunden vor dem gegnerischen Tor."

Was Deutschland bei der WM 2010 zeigte, war eine besonders hochwertige Variante des Außenseiterfußballs. In den Rumpel-Jahren waren die Deutschen ja zu einem spielerischen Winzling geschrumpft, den Löw mit geordneter Defensive und schnellem Konterspiel erst wieder aufrichten musste.

So entstand ein kreativer Notwehrfußball, der am wirkungsvollsten funktionierte, wenn der Gegner der irrigen Meinung aufsaß, er sei selbst ein Großer - wie bei der WM die Engländer und Argentinier, die den Deutschen verführerische Räume anboten und gründlich zerzaust wurden.

Die WM in Südafrika hat das Bild des deutschen Fußballs in der Welt verändert, und der deutsche Fußball weiß, dass er darauf reagieren muss. "Inzwischen ist es ja so, dass die meisten Gegner sich hinten reinstellen und selbst auf Konter lauern", sagt Flick, "das heißt für uns, dass wir neue Lösungen brauchen. Deshalb haben wir uns vorgenommen, das Jahr 2011 zur Weiterentwicklung zu nutzen."

Mitte des Jahres zeigten sich erstmals neue Farben im Spiel: Beim Test gegen Uruguay Ende Mai sah man eine DFB-Elf, die den Gegner viel weiter vorne attackierte als all die Jahre zuvor; man sah Abwehrspieler, die viel weiter aufrückten als früher; und man sah einen Toni Kroos, der, als zweiter Sechser getarnt, genüsslich alle Räume bespielte, die er im Mittelfeld finden konnte. "Am letzten Drittel arbeiten", so nennt das Flick, er meint das vorderste Drittel des Spielfelds. "Wir lassen jetzt verstärkt die Abläufe auf den letzten 20, 25 Metern vor dem gegnerischen Tor trainieren."

Auch die letzte Länderspielreise des Jahres haben Löw und Flick dem letzten Drittel gewidmet. Auch in den Übungseinheiten vor den Spielen gegen die Ukraine und die Niederlande wird es darum gehen, "positionsbezogen zu trainieren, Torabschlüsse zu üben und offensive Automatismen einzuspielen", sagt Flick.

Sie werden üben, wie man den Gegner (ja, auch Holland!) früh unter Druck setzt und wie man sich im Mittelfeld die Räume so aufteilt, dass das Netz dicht ist und der Weg zum Gegenspieler kurz. Ob das Spiel mit zwei Stürmern angemessen geübt werden kann, ist nach Kloses Blessur fraglich, aber Flick sagt, man habe ja noch Cacau. Es geht schon auch ums Personal in den nächsten sieben Tagen, aber noch mehr geht es um den Inhalt.

Der Plan ist, dass die Deutschen auch Favoritenfußball spielen können, wenn sie im nächsten Sommer bei der EM ankommen. Den alten Außenseiterfußball wollen sie aber nicht vergessen, den kann man ja immer gebrauchen. Zum Beispiel, wenn man irgendwann diesen lästigen Spaniern begegnet.

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