Joachim Löw trifft Philipp Lahm:Genervt vom feinen Unterschied

Philipp Lahms Autobiographie bewegt die Fußballfans - und den Bundestrainer. Joachim Löw ärgert sich, dass er ständig auf das Buch angesprochen wird, und kritisiert seinen Mannschaftskapitän für Äußerungen über frühere Trainer. Bestrafen will er den Spieler aber nicht - das Vertrauensverhältnis sei unbelastet.

Thomas Hummel

Philipp Lahm ist nun die Nummer eins. Mit dem FC Bayern hat er seit einer Ewigkeit wieder den Spitzenplatz der Tabelle erobert. Er ist nun auch der aktuell erfolgreichste Buchautor des Landes. Seit Montag und damit schon wenige Stunden nach ihrem Erscheinen belegt seine Autobiographie Der feine Unterschied beim Onlinehändler Amazon den ersten Platz der Bestsellerliste.

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"Ich finde es nicht glücklich, dass er als aktueller Spieler über Trainer in der Öffentlichkeit urteilt": Joachim Löw (links) über Philipp Lahm.

(Foto: dpa)

Es ist die neueste Meldung über ein Werk, das wohl eines der meistdiskutierten Bücher 2011 ist. Der Umstand, dass Lahm womöglich Interna aus dem Innenleben seiner Mannschaften ausgeplaudert hat und ein paar Eigenschaften älterer Trainer beurteilt, erregt das Fußballland seit einer Woche. Die Bild-Zeitung hat sich die Rechte für den exklusiven Vorabdruck gesichert, was der Sache noch mehr Wucht verliehen hat. Vor allem der frühere Teamchef der deutschen Nationalmannschaft, Rudi Völler, hat sich bitter beschwert über Lahms Äußerungen, er habe weniger Wert auf Taktikschulung und Videoanalyse gelegt, dagegen sei die Stimmung unter Völler wie bei einem Ausflug gewesen.

Der heutige Bundestrainer Joachim Löw kommt viel besser weg. Dennoch hat sich auch die aktuelle DFB-Führung mit dem Buch beschäftigt und geprüft, ob es zu ahnden sei. Am Montagabend bat die DFB-Spitze den Mannschaftskapitän zum Gespräch. Und um das Thema möglichst schnell vom Tisch zu bekommen, stiegen die Beteiligten bei der ersten DFB-Pressekonferenz am Dienstagmittag dann sofort in den öffentlichen Ring.

Dort stellte Joachim Löw klar, dass er vor allem die Kritik an ehemaligen Trainern ablehnt. "Ich finde es nicht glücklich, dass er als aktueller Spieler über Trainer in der Öffentlichkeit urteilt. Das steht niemandem zu. Das habe ich ihm auch gesagt", sagte Löw und stellte dabei den Rücken gerade. Er sprach wie ein badischer Finanzbeamter, jedes Wort bedacht und klar ausgesprochen. Es sind die Momente, in denen Joachim Löw keinen Spaß versteht.

Das hat auch der neben ihm sitzende Lahm verstanden. "Der Fehler war, dass ich Trainer sachlich kritisiert habe, weil man das als aktiver Spieler nicht tut." Wenn das der Bundestrainer nicht wolle, halte er sich selbstverständlich von nun an dran. Gleichzeitig wiederholte er, dass er das Buch an sich nicht als Fehler sieht, das Problem sei die Darstellung in der Bild-Zeitung gewesen. "Wer die 272 Seiten liest, der merkt, es ist ein leises Buch."

Warum Lahm mit 27 Jahren überhaupt eine Autobiographie geschrieben hat, erklärte er folgendermaßen: "Ich wollte den Leuten die Sicht eines Profis näher bringen. Dass es nicht nur bedeutet, ins Training zu gehen, am Wochenende 90 Minuten zu spielen und dann ist die Sache gegessen. Heute sind die Anforderungen an einen Profi weit höher."

Zugunsten des Autors stellte Bundestrainer Löw fest, dass Lahm seiner Ansicht nach keine Interna aus der Nationalmannschaftskabine aufgeschrieben habe. Die Episoden von der Europameisterschaft 2008 über eine zerstrittene Mannschaft "waren auch damals so bekannt", urteilte Löw. Er erinnerte sich gar, dass er nach der 1:2-Niederlage gegen Kroatien in der Vorrunde die Spieler selbst öffentlich aufgefordert habe, "sich mal zu unterhalten, weil der Umgangston nicht in Ordnung war".

Das Ergebnis der vergangenen Woche ist aber, dass Lahm seinen Zweitberuf als Buchautor für einige Zeit absetzen wird. "Die letzten Tage waren nicht unbedingt angenehm für mich", berichtete Lahm. Die Heftigkeit der Reaktion habe ihn überrascht, auch sein Berater Roman Grill sagte zur Süddeutschen Zeitung: Den Aufruhr um das Buch habe er erwartet, "das nimmt man in Kauf". "Aber dass es so dramatisch wird, hätten wir nicht erwartet", so Grill.

Joachim Löw bleibt der "feine Unterschied" vor allem deshalb in Erinnerung, weil er sich nach der ewigen Ballack-Debatte nun schon wieder mit Nebengeräuschen befassen muss. "Wir sind damit ununterbrochen konfrontiert worden", sagte Löw merklich genervt. Er wünsche sich nun ein Ende des Themas. "Es stört, dass wir ständig bei der Nationalmannschaft andere Themen tagelang diskutieren. Wir haben Argentinien, England, Brasilien geschlagen. Das hat für mich die höchste Priorität."

Löw betonte, dass er sich von nun an auf das Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2012 am Freitag gegen Österreich konzentrieren wolle. Mit Mittelfeldspieler Sven Bender sagte am Vormittag der nächste Profi ab - nach Mario Gomez und Sami Khedira. Bender habe am Samstag einen Schlag auf das Sprunggelenk erlitten und weil der Bluterguss nicht weichen wollte, "müssen wir den Spieler nach Dortmund entlassen". Die übrigen 18 Feldspieler und drei Torhüter müssen aber für Österreich und das Testspiel in Polen am kommenden Dienstag ausreichen, es werde kein Spieler nachnominiert.

Auch der Kapitän werde derselbe bleiben. Es sei keine Diskussion gewesen, Lahm als Kapitän abzusetzen, sagte Löw. Der Bundestrainer hätte wohl auch kaum riskiert, seine Vertrauensperson Lahm zu beschädigen oder gar zu suspendieren. "Wir hatten immer ein offenes Verhältnis, haben Dinge immer offen angesprochen. Ich kenne den Philipp als authentisch, als ehrlich, als klar", erklärte Löw. Der feine Unterschied ändere an diesem vertrauensvollen Verhältnis nichts.

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