Rauswurf von Trainer Stevens:Lösung nach Schalker Hausrezept

Mindestens bis zum Saisonende: Nachwuchstrainer Jens Keller ersetzt überraschend den von den Schalker Fans zum "Jahrhunderttrainer" gewählten Huub Stevens. Um Keller zu stärken, opfert der Klub einen aussichtsreichen Kandidaten für die Nachfolge.

Von Philipp Selldorf

Horst Heldt verabschiedete sich am Samstag nach dem 1:3 gegen den SC Freiburg mit der Auskunft, er werde jetzt nach Hause fahren "und gucken, wie der Abend weiter verläuft". Es war aber jedem seiner Zuhörer klar, dass der Manager des FC Schalke 04 den Abend nicht bei einem entspannten Glas Wein oder einem netten Kinobesuch ausklingen lassen würde. Nachdem die Schalker trotz ihrer ehrlichen Bemühungen um Besserung von den Freiburgern an die Wand gespielt worden waren, gab es für keinen Betrachter Zweifel daran, dass Heldt in seiner Düsseldorfer Wohnung noch einige Überstunden einlegen würde.

Am nächsten Tag um 9.25 Uhr gab der Verein das Ergebnis von Heldts Heimarbeit bekannt: Cheftrainer Huub Stevens wurde wegen akuten und hartnäckigen Misserfolgs mit sofortiger Wirkung beurlaubt, sein Assistent Marcus Gisdol ebenso.

Obwohl die Entlassung des Jahrhunderttrainers Stevens in Schalke die weit größere Wirkung erzeugte, nämlich schwere Erschütterungen in der Vereinsseele, bietet die zweite Personalie die weit größere Überraschung: Gisdol, 43, galt als potenzieller Nachfolger, er selbst hielt das offenbar auch für einen geeigneten Plan. Doch Heldt und die übrigen Verantwortlichen favorisierten ein anderes Hausrezept. Sie beförderten U17-Trainer Jens Keller, 42, was wiederum Gisdols Unheil war. "Marcus ist ein junger, ambitionierter Trainer. Wir wollten jetzt eine klare Hierarchie, und das wäre mit ihm nach unserer Meinung nicht möglich gewesen", erklärte Heldt.

Gisdol wurde geopfert, um Keller zu stärken. Der neue Cheftrainer soll bis zum Saisonende in Schalke amtieren, "mindestens", wie der Vereinspatron Clemens Tönnies behauptete. "Ich kenne Jens. Wir sind in einem ähnlichen Alter. Ich halte ihn für einen hervorragenden Trainer, und er genießt mein vollstes Vertrauen", sagte Heldt, der Keller aus gemeinsamen Zeiten beim VfB Stuttgart kennt. Zur laufenden Saison trat Keller als B-Jugendtrainer seinen Dienst auf Schalke an, seine Bilanz ist makellos: 14 Siege in 14 Spielen, 73:10 Tore. Bemühungen um eine externe Lösung hätten sich erübrigt, meinte Heldt: "Warum in die Ferne schauen, wenn man gute Leute vor Ort hat?"

Stevens' Bilanz wies zuletzt auch einen eindeutigen Trend auf, jedoch war sie alles andere als makellos. In acht Bundesligaspielen sammelte seine Mannschaft nur noch fünf Punkte, zuletzt gab es drei Niederlagen hintereinander. "Vor ein paar Wochen hatten wir uns im Schatten der Bayern etabliert. Stand heute sieht das anders aus - wir haben zerstört, was wir uns aufgebaut hatten", konstatierte Christoph Metzelder, der gegen Freiburg für den verletzten Verteidiger Atsuto Uchida eingewechselt wurde und sich gleich einreihte ins typische Bild. Sein Fehlpass führte in der 61. Minute zum fatalen 1:3 durch Jan Rosenthal.

"Viele Fehler, viel auf Glück gespielt, fast kein Fußball"

Trotzdem wäre keiner auf die Idee gekommen, Metzelder oder seinen Nebenmann Joel Matip, der das 1:2 auf dem Gewissen hatte, zum Schuldigen für die Niederlage zu ernennen - dafür war die Konkurrenz im konfus agierenden Team zu groß. Auf dem Platz begegneten sich zwei Mannschaften mit prinzipiell gegensätzlicher Ausstrahlung: Die eine unverschämt selbst- und stilsicher, die andere grundlegend derangiert. "Man hat gemerkt, dass das ganze Gebilde sehr zerbrechlich ist", sagte Metzelder. Klaas-Jan Huntelaar, der verhinderte Torjäger, präzisierte: "Viele lange Bälle, viele Fehler, viel auf Glück gespielt, fast kein Fußball."

"Stevens trägt die Entscheidung mit"

Diesen schlechten Eindruck teilten die Vereinsoberen, wie Heldt am Samstagabend während seiner Telefonate mit den Leuten vom Vorstand und dem Aufsichtsrat erfuhr. Stevens berichtete im niederländischen Magazin Voetbal International von seiner Ablösung: "Als ich morgens um Viertel vor acht von Horst Heldt angerufen wurde, um in sein Büro zu kommen, wusste ich, was die Stunde geschlagen hatte. Denn normalerweise ist er nie so früh auf der Anlage." Protestiert hat Stevens angeblich nicht, als ihm Heldt und Tönnies die Botschaft überbrachten. "Er trägt die Entscheidung voll und ganz mit und hält sie für richtig", berichtete Heldt. Stevens sei "ein toller Kerl", stimmte Tönnies ein.

Stevens' hohes Ansehen in Schalke, seine alten Verdienste und die jüngeren Erfolge seit der Übernahme des Postens im September 2011 waren nicht erst seit Samstag nebensächlich geworden. Der Niederländer wirkte resigniert und seiner Aufgabe überdrüssig, ein strategisches Konzept und ein phantasiereiches Spiel hat am Samstag bloß die Mannschaft aus Freiburg geboten. Heldt beschrieb den Niedergang als "schleichenden Prozess", jetzt war auch der letzte Rest Hoffnung auf eine Trendwende verloren, und weil das Verhältnis zwischen den Spielern und dem Trainer im Misserfolg zunehmend gelitten hatte, sahen die Verantwortlichen keinen Grund mehr, das Pokalspiel gegen Mainz am Dienstag noch abzuwarten. Man habe "das Innenleben der Mannschaft erforscht", sagte Heldt.

Keller hat nun die Chance, sich als Sanierer zu profilieren. In Stuttgart ist ihm das als Nachfolger von Christian Groß vor zwei Jahren nicht gelungen, er selbst erklärt das mit den Umständen des anspruchsvollen Spielkalenders. Nach Schalke kam er im Sommer mit dem Bewusstsein, seinem Beruf künftig im Verborgenen der Nachwuchsarbeit nachzugehen, "ich habe in keinster Weise gedacht, hier irgendwie höher zu kommen", erzählte er. "Jetzt ist der Plan, mit Jens bis zum Saisonende zu arbeiten", versprach Heldt, wies aber auch darauf hin, man denke "erst mal kurzfristig". Keller muss also nicht viel tun: Er muss Schalke lediglich beibringen, wieder Spiele zu gewinnen. Seine B-Jugend hat das am Sonntag beim 6:0 gegen Rot-Weiß Essen auch ohne ihn geschafft.

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