Japans WM-Aus:"Es fühlt sich an wie eine Tragödie"

World Cup - Round of 16 - Belgium vs Japan

Pure Enttäuschung: Japans Spieler nach dem 2:3 gegen Belgien.

(Foto: REUTERS)
  • Durch ein Gegentor in der Nachspielzeit gegen Belgien scheidet Japan bei der WM aus - nach zwischenzeitlicher 2:0-Führung.
  • Bei der Abreise aus dem Stadion hinterlässt Japan eine sauber geputzte Kabine und eine Botschaft des Danks.
  • Der Mannschaft steht ein Generationswechsel bevor, der jüngste Spieler aus der Startelf gegen Belgier ist 25.
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Von Sven Haist, Rostow am Don

Um nicht alleine zu sein bei der Bewältigung der Enttäuschung, hüllten sich die Japaner in ihre Landesflaggen ein. Das bisschen Stoff hielten sie so nahe an ihre Körper heran, als könnte es Trost spenden. Auf diese Weise kauerten einige Fans auf den Tribünen, nebenher lief das gefühlsduselige "Don't look back in Anger" der britischen Musikgruppe Oasis. Der Refrain mit der Aufforderung, dem Geschehenen nicht im Zorn nachzutrauern, klang wie ein gut gemeinter Rat an Japan.

Das dramatische Aus im Achtelfinale der Weltmeisterschaft in Russland kam für die japanischen Spieler auf dem Platz einem Gesichtsverlust gleich. Nach Abpfiff sanken sie fast gleichzeitig zu Boden, ausgelaugt und fassungslos angesichts der Tatsache, erneut die erstmalige Qualifikation des Landes für ein WM-Viertelfinale verpasst zu haben. "Es fühlt sich an wie eine Tragödie", sagte Nationaltrainer Akira Nishino auf der Pressekonferenz.

In der Interviewzone versuchten die Profis, ihre Würde zu wahren, indem sie auf emotionale Distanz gingen zur Niederlage; vermutlich um sich vor den Augen der Welt zu schützen. Dabei mussten sie sich für ihre Leistung gar nicht grämen. "Die Spieler haben das Beste aus sich herausgeholt", sagte Nishino, aber das Resultat könne er deswegen nicht als Erfolg werten: "Vielleicht in vier Jahren, wenn wir auf dieses Turnier zurückblicken werden." Neben den afrikanischen Teilnehmern sind nun auch die asiatischen Vertreter im Turnier ausgeschieden. Bei der Abreise aus dem Stadion hinterließ Japan eine sauber geputzte Kabine mit einer Notiz auf Russisch: "Danke".

Der jüngste Spieler gegen Belgien: der 25-jährige Gen Shoji

Auch für Keisuke Honda ist Schluss: In der Nacht trat der 32 Jahre alte Mittelfeldspieler nach 98 Länderspielen und 37 Toren aus der Nationalelf zurück. "Das ist meine letzte WM", sagte Honda, "ich mag meine Karriere mit Japan beendet haben, aber ich verlasse das Team glücklich. Denn ich denke, dass all die jungen und talentierten Spieler, die die Fortsetzung übernehmen, die Geschichte des japanischen Fußballs neu schreiben werden."

Eine Teilnahme am nächsten Großereignis in vier Jahren in Katar dürfte darüber hinaus für Kapitän Makoto Hasebe, 34, und Torhüter Eiji Kawashima, 35, beinahe ausgeschlossen sein. Innerhalb dieses Zyklus steht dem Team, den "Samurai Blue", ein Generationswechsel bevor. Der jüngste Spieler in der Startelf gegen Belgien war Innenverteidiger Gen Shoji: mit 25 Jahren.

Wie nahe den Japanern das eigene Scheitern ging, ließ sich ihren Erklärungen entnehmen, bei denen sie zwischendrin immer wieder ins Stocken kamen. "Ich bin sehr traurig und kann gar nicht sagen, was in mir vorgeht. Das ist zu schwierig. Immerhin haben wir gezeigt, dass wir guten Fußball spielen können", sagte Hasebe. Mit Eintracht Frankfurt gewann der Defensivorganisator in der vergangenen Saison den DFB-Pokal, er hätte in der Theorie über das Wissen verfügt, seine Mannschaft in der vierten Minute der Nachspielzeit vor einer Naivität zu bewahren. Aber Hasebe hielt sich bei einem Eckball zusammen mit sieben weiteren Kollegen in der Nähe des gegnerischen Strafraums auf in der Hoffnung, den Siegtreffer zu erzielen. Auf eine entblößte Defensive hatte Belgien im Spiel die ganze Zeit spekuliert - und prompt die erste sich bietende Gelegenheit durch den eingewechselten Nacer Chadli zum spielentscheidenden Konter genutzt.

Belgiens Kompany lobt Japans "taktische Meisterleistung"

Das 3:2 bringt den Roten Teufeln ein Treffen mit Rekordmeister Brasilien am Freitag in Kasan ein. Zum zweiten Mal nach der WM 1986 in Mexiko könnte Belgien das Halbfinale erreichen und die Spieler das ewige Versprechen einhalten, eine so genannte goldene Generation ihres Landes zu sein. Zwischen dem möglichen Siegtreffer für Japan und dem Siegtreffer für Belgien lagen lediglich 15 Sekunden. "Wir waren zu naiv und zerbrechlich, vielleicht war da eine kleine mentale Schwäche vorhanden. Ich habe keine Ahnung, ob das zu viel Selbstvertrauen war oder ein Mangel an Erfahrung", sagte Abwehrchef Maya Yoshida. Um den zwischenzeitlichen Vorsprung über die Ziellinie zu transportieren, hat Japan eine Viertelstunde gefehlt - oder die Fähigkeit, die ursprüngliche Strategie abzuändern, die zu den Toren durch Genki Haraguchi und Takashi Inui führte.

In den vergangenen Jahrzehnten hat Japan das einstige Sicherheitsdenken abgelegt, nur keine Fehler zu begehen. Im Studium der bekannten Fußballnationen ließ sich der Verband erst deren Vorgehen zeigen und übertrug das dann auf die eigenen Ambitionen. Herausgekommen ist eine auf zwei Viererreihen und einer Doppelspitze im Angriff getrimmte Formation, über deren Abläufe auf den einzelnen Positionen jeder Spieler bis ins Detail in Kenntnis ist. Mit den balltechnischen und koordinativen Fähigkeiten der Japaner kann kaum ein anderes Land mithalten. "Was sie gezeigt haben, war eine taktische Meisterleistung. Unglaublich, wie sie füreinander gearbeitet haben", sagte Belgiens weitgereister Anführer Vincent Kompany.

Japan verzichtet auf Änderungen

Eine Stunde lang trieben sie mit ihren feinen Füßen die Belgier in den Wahnsinn, bis die eine nicht zu berechnende Komponente ins Spiel brachten: den Kampf. Statt die Führung mit allen Spielern bis in alle Ewigkeit vor dem eigenen Tor zu verteidigen, verzichtete Japan beim belgischen Strategiewechsel auf Anpassungen. Ohne die Widerstandsfähigkeit und das Durchsetzungsvermögen in der Abwehr zu erhöhen, gewannen die Belgier daraufhin so gut wie jeden Kopfball, beim Anschlusstor traf Thomas Vermaelen sogar aus 18,60 Metern per Kopf, der größten je gemessenen Kopfballtor-Entfernung bei einer WM. "Die Spieler sind nicht die Schuldigen. Ich gebe mir die Schuld und zweifle an meiner Taktik", sagte Nishino.

In den Achtelfinals haben sich mit Gastgeber Russland, Belgien, Kroatien und Uruguay vor allem Nationen in die nächste Runde vorgearbeitet, die ihre Dominanz im Spiel vorzugsweise über ihre Physis erreichen. Auch wenn die "Samurai Blue" den Favoriten stetig näherkommen: Für die Großen sind die Japaner derzeit dann doch noch ein bisschen zu klein.

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