Jan Ullrichs Rücktritt:Eine unwirkliche Veranstaltung

Jan Ullrich gibt seinen Rücktritt bekannt. Doch der letzte große Auftritt in jener Stadt, in der er einst zum Profi geformt wurde, ist eine Burleske, eine Posse.

Hans Leyendecker

Als Jan Ullrich den Ballsaal II des Hamburger Hotels Intercontinental betritt, gibt es nicht das bei solchen Gelegenheiten übliche Gerempel der Fotografen und Kameramänner. Jeder hat seinen festen Platz bekommen, die Veranstaltung ist eine Inszenierung der verfolgenden Unschuld.

Jan Ullrich gibt seinen Rücktritt bekannt

Eine Posse: Der Rücktritt von Jan Ullrich.

(Foto: Foto: ddp)

Ullrich schaut sich im Saal um, betrachtet wohlwollend Rennräder, die im Hintergrund stehen und jeder der Rahmen trägt seine Handschrift. Es fehlt nur der Hinweis, dass die Rahmen über den ausgesuchten Fachhandel erhältlich sind. Hinter ihm ist ein Foto, das ihn bei seinem Tour-Sieg 1997 im Gelben Trikot zeigt: "Das habt Ihr gut gemacht," sagt er zu seinem Medienberater, der neben ihm Platz genommen hat.

Ullrich winkt Freunden im Saal, begrüßt seine Familie, ehemalige Trainer samt Ehefrauen und nennt Kritiker aus dem journalistischen Milieu "schwarze Schafe". Es ist nicht der Tag der Wahrheit, es ist der Tag der Show, der Abrechnung. Konkret wird Ullrich an diesem Tag nur, wenn er über seine Gegner redet.

Er sieht aus, als habe er noch ein bisschen mehr Gewicht zu tragen als früher um diese Jahrezeit. Wenn die Saison begann, war der heute 33-jährige Sportler, dessen Idealgewicht bei 73 Kilogramm lag, selten in passabler körperlicher Verfassung. Aber er sagt, er habe gut trainiert und sei fit. Was Ullrich an diesem Morgen zu sagen hat, wird vom Fernsehsender N24 live übertragen.

Auf seiner Homepage (jan-ullrich.de) ist angekündigt, dass sein Auftritt auch im Internet zu sehen sei. Einmal fragt er während seines Monologs: "Schlaft Ihr alle schon oder kann ich weitermachen?" Wem es während der Übertragung zu langweilig wird, der kann während der Übertragung die "Letterbox" auf der Homepage anklicken und findet viel Zuspruch für den Mann, den seine Anhänger immer noch "Ulle" nennen: "Wir alle glauben an Dich! Du darfst dich jetzt nicht unterkriegen lassen.... Also zeig es all Deinen Kritikern am Montag und verkünde die Fortsetzung Deiner Karriere! Wir stehen hinter Dir", hat ("Hallo Jan") ein Fan namens Alexander gemailt. "Es hängt zwar nicht mein Leben davon ab, aber bitte erklären Sie am Montag nicht Ihren Rücktritt vom aktiven Radsport. Damit geben Sie Ihren Gegnern und den Heuchlern recht. Die Devise lautet: Weiterkämpfen! Oh je, ich ahne Schlimmes," schreibt ein Fan namens Sebastian aus Freiburg. Ullrichs Anhänger sehen eine andere Wirklichkeit als andere.

Wahnsinnige Enttäuschung

Die Darbietung ihres Idols an diesem Montagmorgen hat dann nicht nur die schlimmsten Befürchtungen seiner Getreuen erfüllt. Der Sieger der Tour de France von 1997 erklärt seinen Rücktritt und das Ende seiner aktiven Laufbahn. Er wird Berater des zweitklassigen österreichischen Volksbank-Teams. Der letzte große Auftritt Ullrichs in jener Stadt, in der er einst zum Profi geformt wurde, als er im Stadtteil Hummelsbüttel in einer Radsport-Wohngemeinschaft lebte, ist eine Burleske, eine Posse.

Der Radsportler, gegen den in Bonn ein Ermittlungsverfahren läuft, weil er durch Doping seinen früheren Rennstall T-Mobile betrogen haben soll, schildert seine Empfindungen, als er kurz vor dem Tour-Start 2006 suspendiert wurde: Ein "Riesenschock". Danach habe er "Weltrekorde im eigenen Pool" aufgestellt.

Eine unwirkliche Veranstaltung

"Wahnsinnig" sei er enttäuscht: Von den Radsport-Verbänden, die ihn hängen ließen, die Schweizer vorneweg, von der allumlaufenden "Vorverurteilung". Von den spanischen Behörden, die "soviel Scheiße" bei den Doping-Ermittlungen produziert hätten, vom "Negativbild" das manche in Deutschland über ihn verbreitet hätten. Ein Monolog wie bei Shakespeare. Er sieht sich umstellt von Feinden: Seinen Kritiker, den Heidelberger Wissenschaftler Werner Franke nennt er einen "zerstreuten Professor", der aus spanischen Unterlagen zitiere, obwohl er kein Spanisch könne.

Über die Bielfelder Professorin für Kriminologie, Strafrecht und Strafverfahrensrecht, Britta Bannenberg, will er "nicht viel Worte verlieren". Und sagt dann doch, sie sei ein "armer Mensch", der sich wichtig mache. Offenbar wolle sie ein Buch, das ein "Ladenhüter" sei durch die Attacke gegen ihn promoten. Ach, Ullrich. Es ist eines der besten Bücher über Korruption in Deutschland und Frau Bannenberg hat es gemeinsam mit dem berühmten Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner geschrieben.

"Freund Rudolf Scharping"

Dann ledert Ullrich gegen den Präsidenten des Bundes Deutscher Raderennfahrer, Rudolf Scharping, los, der sich von Ullrich distanziert - und erklärt hatte, dass Ullrich in Deutschland nicht starten dürfe. Ullrich versucht den Eindruck zu erwecken, der frühere Bundesverteidigungsminister habe sich früher mit ihm wichtig gemacht. Der Sozialdemokrat sei "wahnsinnig schlecht" für den Radsport", sagt Ullrich.

Seine "Freund Rudolf Scharping" müsse "noch eine mitkriegen". Ein bisschen sprachlos folgt das Publikum, ein paar Klatscher ausgenommen, dem Vortrag - es ist eine unwirkliche Veranstaltung. Den Medienleuten war schon vor ihrer Akkreditierung mitgeteilt worden, sie dürften keine Nachfragen stellen. Ullrich werde "auf alle ihm wichtigen Gesichtspunkte eingehen". Erkundigungen der Journalisten seien aber verboten.

Das erinnert an die Presseerklärung, die der Fernsehmoderator Michel Friedman 2003 in Frankfurt gab, als er über Kokain und die Enttäuschung seiner Lebensgefährtin sprach - aber das Thema Zwangsprostitution nicht erwähnte. Fragen waren auch nicht erlaubt gewesen, als Gerhard Schröder 1999 den Rücktritt seines Finanzministers Oskar Lafontaine bekannt gab. Journalisten, die nicht fragen dürfen, erinnern an vegetarische Krokodile, aber eigentlich sind sie nur Staffage wie im Zoo.

Standardantwort aus der Retorte

Dabei ist das, was Ullrich sagt, so verquast, dass Nachhaken dringend notwendig gewesen wäre, um zumindest in bisschen den Nebel, zu vertreiben. Aber um 11. 37 Uhr ist Feierabend. Es drängt ihn samt Ehefrau ins Fernsehstudio - zur Aufzeichnung der Talk-Show von Reinhold Beckmann, die am Abend ausgestrahlt werden soll. Bevor Beckmann das glückliche Paar fragt, hier nur ein paar der Fragen, die nach der Presseerklärung bleiben, vorweg: Hat er gedopt? Wenn ja, warum? Dopen alle Spitzenfahrer? Sind die Aufs und Abs in seiner wechselhaften Karriere damit zu erklären, dass er manchmal nicht gedopt hat?

Genau eine halbe Stunde, bevor Ullrich am Montagvormittag seinen Monolog begann, waren seine Anwälte bei der Staatsanwaltschaft Bonn erschienen, um ihre Sicht in dem Ermittlungsverfahren darzulegen, das die Strafverfolgungsbehörde seit Sommer vorigen Jahres gegen Ullrich führt. Es gibt den Verdacht, dass Ullrich Kunde des spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes war und Ullrich sagt in seiner Erklärung nur, er nehme dazu derzeit nicht Stellung, weil es sich um ein laufendes Verfahren handele. Eine Standardantwort aus der Retorte.

Im Mai 2006 hatten spanische Ermittler in den Räumen des Mediziners Blutbeutel sichergestellt. Darunter sollen sich auch Blutbeutel von Ullrich befinden. Die Bonner Ermittler wollen Proben des Blutplasmas mit eines Speichelprobe des ehemaligen Olympiasiegers vergleichen, doch der Abgleich ist bislang von Anwälten Ullrichs verhindert worden. Nach der jüngsten Entscheidung eines spanischen Gerichts sieht es so aus, dass das Plasma nach Deutschland kommt. Ullrichs langjähriger Berater Rudy Pevenage, der ebenso wie Ullrich im vorigen Jahr von Ermittlern heimgesucht wurde, soll häufiger nach Madrid geflogen sein. Traf er Fuentes?

Ullrichs Anwälte sprachen mit dem Dezernenten des Ullrich-Verfahrens. Dessen Abteilungsleiter Fred Apostel war allerdings zum Kurzurlaub in China. Das Land ist so rätselhaft wie die Fangemeinde, die ihm vermutlich nach seiner Verschwörungs-Show treu bleiben wird. Sylvia Schenk, frühere Präsidentin des BDR kommentierte den Ullrich-Auftritt mit den Begriffen "traurig" und "peinlich" Das war er wirklich.

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