Italiens Antonio Conte:Der Amboss hat noch Rechnungen offen

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Missmutig nach München: Italiens Trainer Antonio Conte. (Foto: Claudio Villa/Getty Images)

Mit Feldherren-Rhetorik will Antonio Conte den Italienern den Glauben an ihr Nationalteam zurückgeben. Das soll auch die DFB-Elf zu spüren bekommen.

Von Birgit Schönau, Rom

Ja doch, wir sind im Jahr 2016. Man sieht es an den Frisuren und Tätowierungen der Spieler: Diese Squadra Azzurra ist keine Mannschaft der 1960er-Jahre. Sie ist schneller, wendiger und ihr 3-4-3-Taktikschema ist sowieso unmissverständlich modern. Der Coach, der Italiener derart aufstellt, scheint allerdings etwas aus der Zeit gefallen zu sein. Dabei ist er noch jung, erst 46. Und doch bedient Antonio Conte sich einer Rhetorik, die so markig-vaterländisch ist, als trüge er auf seiner Playmobil-Frisur auch noch einen Helm.

Nach dem glanzlosen 1:1 am Gründonnerstag gegen Spanien raunzte der Trainer, etwas heiser vom Einsatz am Spielfeldrand, folgende Erkenntnis in die Fernsehmikrofone: "Die Jungs lieben dieses Trikot." Also das blaue Hemd der Nationalmannschaft. Und feierlich schob der Coach hinterher: "Ich kann allen Italienern sagen, dass wir eine Mannschaft sein werden." Allen Italienern! Also spricht Condottiere Conte, der letzte Feldherr des blauen Trikots. Der Mann, für den es keine Freundschaftsspiele gibt. Denn: "Man muss ja begreifen, ob man Amboss oder Hammer ist."

Amboss oder Hammer, diese schöne italienische Redewendung besagt, dass es im Leben immer einen gibt, der Schläge austeilt - und einen, der Schläge hinnimmt.

Contes Leben als Amboss

"Der Nationaltrainer ist ein Amboss" verkündete Conte vor ein paar Tagen, "das galt schon für meinen Vorgänger und wird auch für meinen Nachfolger gelten." Ein Amboss? Na, schönen Dank auch. Noch bevor er ins Turnier nach Frankreich zieht, hat Condottiere Conte seinen Abschied eingereicht. Nach der EM ist Schluss, "mir hat es nicht gefallen, so lange in der Garage abgestellt zu sein". Ein Feldherr will kämpfen, will Hammer sein, also räumt Conte den Posten für den nächsten Amboss.

Angeblich geht er nach England, zu Chelsea. Aber er will sich nicht endgültig von Italien verabschieden, "wo ich aufgewachsen bin, wo ich gesiegt und verloren habe, zwischen Freuden und Schmerzen". Mamma mia. Wer drechselt im Weltfußball noch solche Sätze? Es wird jedenfalls interessant sein, sie demnächst auf Englisch zu hören.

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In der Substanz hat Conte natürlich recht. Alle Versprechungen von Klubs und Verband, nach dem schmählichen Scheitern der Azzurri bei der WM 2014 - ein Sieg, zwei Niederlagen und Ciao, Ciao nach der Vorrunde - die Renaissance des italienischen Fußballs einzuleiten, erwiesen sich als Palaver. Die Klubs betrachten die Nationalelf als notwendiges Übel, um den Marktwert ihrer eigenen Spieler zu steigern, sehen aber nicht ein, dass sie dafür auch Opfer bringen müssten. Vergebens beantragte Conte Testspiele und Trainingslager.

Auch seine Bitte, das für 21. Mai terminierte Pokalfinale zwischen Juventus und AC Milan zwecks der EM-Vorbereitung vorzuverlegen, verhallte ungehört. Obwohl es keinen vernünftigen Grund dafür gibt: Erstmals seit 15 Jahren hat sich keine einzige italienische Mannschaft für die Viertel- finals der Europapokale qualifiziert, Champions und Europa League laufen ohne italienische Beteiligung weiter. Der nächste Tiefpunkt ist also erreicht. Und noch deutet nicht viel darauf hin, dass Contes verzweifelter Versuch, die nächste Klatsche zu verhindern, von Erfolg gekrönt sein wird. Man muss ein Fifa-Ranking, das den Viermal-Weltmeister Italien aktuell auf Platz 14 hinter den Fußballriesen Schweiz und Ecuador wähnt, nicht allzu ernst nehmen. Aber den Condottiere wurmt es doch.

Conte hat noch so viele Rechnungen offen - eine davon mit der Justiz. Weil er 2010 als Trainer von Siena angeblich von einer Wettmanipulation durch Mitglieder seiner Mannschaft erfahren hatte, ohne die Spieler anzuzeigen, wurde Conte vom Verband für vier Monate gesperrt. Das strafrechtliche Verfahren aber läuft weiter. Im Juli 2015 kündete die Staatsanwaltschaft in Cremona an, Conte gemeinsam mit 103 anderen Beschuldigten wegen Sportbetrugs anklagen zu wollen. Wann das grotesk aufgeblähte Verfahren eröffnet wird, steht in den Sternen. Conte reicht es schon lange. Er will nicht länger mit dem Verdacht leben, der sein Wirken als Nationaltrainer vergiftet hat. Seit Jahren verlangt er, schnell abgeurteilt zu werden. Doch seine Appelle verhallen ungehört.

Conte steht auf Brechertypen

"Organisation und Opferbereitschaft werden unser Schatz sein", verspricht die Gazzetta dello Sport über die Squadra Azzurra. Das sind schöne Aussichten: Auch in Frankreich soll also gelitten werden. Und sehr wahrscheinlich fängt man im Testspiel gegen Weltmeister Deutschland schon mal damit an. "Wir haben halt nicht die Talente der anderen", analysiert das rosa Sportblatt. Italien, Weltmeister im Tiefstapeln. Auch das geht Conte auf die Nerven. Kein Talent? Was ist mit Lorenzo Insigne, dem Torschützen beim 1:1 gegen Spanien? Der 1,63 Meter kleine Neapolitaner spielt im Klub seiner Heimatstadt und ist ein italienischer Angreifer der alten Schule: flink, dribbelstark, einfallsreich.

Eigentlich hat Conte vorn lieber Brechertypen wie Graziano Pellé, der gegen Spanien allerdings nicht überzeugte, oder Simone Zaza, der wahrscheinlich in Deutschland zum Einsatz kommt. Das sind Angreifer, die 1,90 Meter groß sind und Gegner schon durch ihre physische Präsenz einschüchtern. Der kleine Insigne aber ist nicht von ungefähr der beste Italiener in der Torschützenliste der Serie A - auf Platz acht, was ein weiteres Problem offenbart: Die besten Ligaspieler sind keine Italiener; wenn man die Abwehr von Juventus Turin ausklammert, die geschlossen in die Nationalmannschaft überführt wird.

Juve bildet mit fünf Blauen wie eh und je den Kern der Squadra, danach kommt mit drei Spielern schon Paris St. Germain: Thiago Motta, Ersatztorwart Salvatore Sirigu und der derzeit verletzte Marco Verratti. Das PSG-Terzett ist ein Novum, ebenso wie das Trio der Italo-Brasilianer: Thiago Motta, Jorginho (SSC Neapel) und Eder (Inter Mailand). Italien spielt deshalb aber nicht brasilianischer, das weiß Conte zu verhindern. Schönheit oder gar Spaß am Spiel haben in seinem Fußball nichts verloren. Eher erinnert die Nationalmannschaft an Juventus Turin, wo der Coach drei Meistertitel in Serie holte - und zwar mit jenem druckvollen, kraftmeiernden Conte-Stil, den inzwischen die Azzurri pflegen. Trutzig, trotzig, das ist das Italien des Condottiere. "Wer auch immer nach ihm kommt", hat Kapitän Gigi Buffon erklärt, "sollte so sein wie Conte."

© SZ vom 29.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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