Italiens Mario Balotelli:Peter Pan macht auf Musterschüler

Mario Balotelli lässt sich von den englischen Bekannten nicht provozieren - er versteht seinen Einsatz im EM-Viertelfinale gegen England ganz offensichtlich so, wie er gedacht war: als Reifeprüfung. Am Ende verwandelt der Italiener kühl den Elfmeter, nach dem Sieg freut er sich still und ohne große Gesten.

Birgit Schönau

Dieses Viertelfinale musste ihm gehören. Egal, ob überragend oder Reinfall, Traumtor oder Platzverweis: Bei diesem Match waren alle Erwartungen auf ihn gerichtet. Mario Balotelli war schon zum Protagonisten erkoren, bevor es überhaupt angefangen hatte. Und tatsächlich verkörperte ja auch niemand diese erfrischend offensive, entwaffnend unzynische Squadra Azzurra stärker als ihr jüngster Spieler. Der in der Regelspielzeit nicht traf. Der aber beim Elfmeterschießen den ersten italienischen Strafstoß verwandelte.

Quarter Final England vs Italy

Kleine Geste nach dem verwandelten Elfmeter: Italiens Mario Balotelli.

(Foto: dpa)

Balotelli spielt in England, mit Manchester City wurde er englischer Meister und Pokalsieger. In Kiew stieß er auf seine Teamkollegen Joe Hart, Joleon Lescott und James Milner. Aber auch auf Scott Parker, einen Kollegen von Tottenham Hotspur, dem Balotelli bei einem Ligaspiel übers Gesicht spaziert war. Vier Spieltage Sperre brachte das dem 21-jährigen Stürmer von City ein, drei Partien gab es für ein anderes übles Foul.

"Wirst du uns in den Himmel oder auf die Palme bringen?", hatte ihn ein italienischer Reporter vor dem Spiel gegen England gefragt. Und cool antwortete der Spieler: "Ich werde mein Bestes geben. Ob es dich dann glücklich oder sauer macht . . ."

Sein Bestes. War es das wirklich schon, in Kiew? Sofort bot Balotelli sich an, aber der Ball kam erst gar nicht zu ihm. Der Ball rollte zu Wayne Rooney, seinem Gegenspieler von Manchester United. Auch Rooney galt lange Zeit als Exzentriker, jetzt ist er 26 und wirkt irgendwie gesetzter als der Italiener, was nicht nur mit seinem gedrungenem Körperbau zu tun hat. Während Balotelli noch auf langen Beinen ins Spiel stakste, wuchtete sich der Engländer bereits in Richtung Tor. Ohne Resultat.

Aber das Kräftemessen hatte ungleich begonnen. Erfahrung wog hier mehr als Talent. Erfahrung ist nicht Balotellis Stärke. "Balo" nennen sie ihn in Italien, das klingt nett, aber auch verniedlichend. Ein Spitzname für einen talentierten Peter Pan, der niemals erwachsen wird, zum Leidwesen von Trainer und Teamkollegen. "Er ist ja schon ein großer Junge und kann Verantwortung übernehmen", lästerte über ihn Daniele De Rossi.

Still und ohne große Gesten

"Ich bin kein großer Junge, sondern ein Mann", entgegnete Balotelli. Es klang trotzig, wie so oft, wenn er sich gegen seine Kritiker wehrt. Mario Balotelli hat ein leicht entflammbares Temperament. Sein Klubtrainer Roberto Mancini wollte ihn deshalb schon aussortieren, überlegte es sich aber anders: Mancini brauchte Balotelli. Genau wie Cesare Prandelli.

Auch der Nationaltrainer hatte in der Qualifikationsphase zeitweise auf Balotelli verzichtet, weil der Stürmer im Klub zu undiszipliniert auftrat. Zur EM aber wurde der Stürmer berufen, mangels Konkurrenz. "Ich habe Mut bewiesen, als ich ihn mitgenommen habe", sagte Prandelli über seine Nachwuchshoffnung, die in den ersten beiden Gruppenspielen enttäuschte und doch gegen Irland kurz nach der Einwechslung ein künstlerisch wertvolles Fallrückziehertor erzielte. Anstatt zu jubeln, hob Balotelli an, alle Welt und vor allem Prandelli zu verfluchen. Leonardo Bonucci hielt ihm vorsorglich den Mund zu.

Gegen England schien das nicht nötig zu sein. Denn Italiens Peter Pan verstand seinen Einsatz ganz offensichtlich so, wie er gedacht war: als Reifeprüfung. Zunächst zeigte Balotelli Nerven. Rangelte mit Lescott. Patzte bei der Annahme eines perfekten Zuspiels von Andrea Pirlo. Oder gab den Ball lieber an Antonio Cassano weiter, statt selbst aufs Tor von England-Schlussmann Joe Hart zu zielen. Vom Spielfeldrand versuchte Prandelli, den verunsicherten Angreifer zu beruhigen. Und zu ermutigen.

Doch das reichte nicht. Fast schüchtern wirkte Balotelli, seinen Ruf als Provokateur schien er an diesem Abend durchaus nicht verteidigen zu wollen. Er blieb derart ernst, als gäbe es für einen Scherz schon eine gelbe Karte. Das Enfant terrible machte auf Musterschüler. Mannschaftsdienlich, umsichtig - ungefährlich. Erst kurz vor der Pause taute er auf und wurde selbstbewusster. "Ich muss niemandem etwas beweisen", hatte er behauptet. Er wollte es allen beweisen.

Eine Episode würde dieses Spiel entscheiden, hatte Prandelli vermutet. Eine unverhoffte Gelegenheit vielleicht, diese gelte es dann zu nutzen. Die Gelegenheit kamen, nutzen konnten die Italiener sie aber nicht. Einmal stand Balotelli knapp vor Torhüter Hart, der einen Fernschuss von De Rossi abwehrte und den Ball auf den Fuß des Gegners fallen ließ (52.). Und Balotelli scheiterte an seinem Vereinskollegen.

Er versuchte es kurz darauf mit einem Fallrückzieher, zog den Ball aber übers Tor. Und Hart, der zuvor noch gefrotzelt hatte, Balotelli sei Genie und Wahnsinn, musste nur kurzfristig beides fürchten. Am Ende blieb Balotelli kühl, er traf aus elf Metern und freute sich nach dem Sieg still und ohne große Gesten. Obwohl, Hart gab er zum Abschied die Hand.

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