Italiens Liga in der Krise:Dolce Vita war einmal

Die Serie A war einmal der attraktivste Transfermarkt der Welt, bekannt für Überraschungen und teure Zugänge. Mittlerweile sind nur noch die Abgänge spektakulär, wie zuletzt der von Samuel Eto'o nach Russland. Dabei sind die Gehälter immer noch fürstlich - trotzdem ist Italien für die Kicker-Prominenz kein angesagtes Pflaster mehr.

Birgit Schönau

Aber natürlich war früher mehr Lametta. Ganz früher pflegte beispielsweise Graf Raimondo Lanza di Trabia in seiner Suite im Mailänder Grand Hotel Gallia die Unterhändler der Konkurrenz zu empfangen - angesichts der drückenden Augusthitze befand sich Conte Raimondo dabei am liebsten bis zum Hals im kalten Wasser seiner Badewanne.

Italian League Serie A 2010-2011

Geht lieber in den Nordkaukasus, als in Italien zu bleiben: Samuel Eto´o.

(Foto: fotogloria)

Der Mann hatte sich nebenberuflich noch zu duellieren, wobei es selbstredend um Frauen ging, nicht um Fußballer. Seinen Platz in der Geschichte aber sollte Lanza di Trabia als Erfinder des calciomercato einnehmen. Über Jahrzehnte hielt die italienische Variante des Transfermarktes halb Europa in Atem, seit der Graf aus der Badewanne 40 Millionen Lire für den Dänen Helge Bronée springen ließ, man schrieb das Jahr 1950.

Zwar besaßen Lanza di Trabias Nachfolger weniger adlige Nonchalance, von Fechtkünsten ganz zu schweigen, auf jeden Fall verfügten sie aber als Industriekapitäne über Scheunen voller Lirascheine und mit vielen Koffern Geld holten sie fortan für ihre Vereine die besten Spieler nach Italien.

Es kamen die Deutschen Rummenigge, Klinsmann, Matthäus, Brehme, Völler, Riedle, Bierhoff oder Doll, daheim etwas verkniffen "Legionäre" genannt, weil man sich lieber vorstellen wollte, sie zögen in den Kampf anstatt ins Dolce Vita - vielleicht auch, weil die Gefechtsanordnung italienischer Fußballteams damals noch frappierend an Cäsars Schildkrötentaktik erinnerte.

Es kamen der Argentinier Maradona, der Franzose Zidane, der Brasilianer Ronaldo, und es gab Weltmeisterschaften, da kickten die Finalteilnehmer fast geschlossen in Italien.

Und doch blätterte der Putz schon leise mahnend vom Hotel Gallia, als 1999 Christian Vieri der teuerste Spieler des calciomercato wurde. Für 90 Milliarden Lire, heute gut 45 Millionen Euro, wechselte er von Lazio Rom zu Inter Mailand. Insgesamt spielte Vieri in zwölf Mannschaften, niemand verkörperte den calciomercato besser als er, noch nicht mal der Conte Raimondo.

Als er schon längst nicht mehr teuer war, fuhr Christian Vieri mit dem Vorortzug von Prato nach Florenz zum Training. Heute ist er 38, lebt in Australien und wünscht nur noch, in Ruhe gelassen zu werden.

Irgendwie passt es, dass Vieri ans andere Ende der Welt geflüchtet ist. Es hauen sowieso alle nur ab aus der einstigen Glitzerliga, nur das Hotel Gallia steht noch vor dem Bahnhof von Mailand und hätte dringend eine Renovierung nötig.

Der Letzte macht das Licht aus, denken sie insgeheim bei Milan, Inter und Juventus, und seitdem auch noch der große Samuel Eto'o von Inter Mailand gen Dagestan zog, ist das Szenario ja auch wirklich düster. Sicher, gegen 20 Millionen netto im Jahr ist kein Kraut gewachsen, noch nicht mal der heilige Rasen von San Siro. Aber Dagestan! Nordkaukasus! Das riecht verdammt traurig, einsam und endgültig. Und das tut weh.

In diesem Sommer kam der Knall

Der Erste kam aus Dänemark, der Letzte zog nach Dagestan, Deckel drauf, Kiste zu. Da werden dann eben 30 Millionen kassiert, auch der FC Udinese bekam 26 Millionen Euro für den Chilenen Alexis Alejandro Sánchez, der jetzt beim FC Barcelona stürmt. Aber Udine hat seine Spieler stets verkauft, während Inter-Eigentümer Massimo Moratti einst in manchen Sommern so viel Geld auf dem Transfermarkt ließ wie die gesamte Bundesliga.

S.S. Lazio v FK Rabotnicki - UEFA Europa League Play-Off

Einer der letzten Großen in einer bröckelnden Liga: Miroslav Klose. 

(Foto: Getty Images)

Für Eto'o kommt vielleicht Diego Forlan, der nicht mehr ganz taufrische Urugayaner von Atletico Madrid. Vielleicht kommt aber auch: niemand, jedenfalls zu Inter. Die Konkurrenz vom AC Mailand bemühte sich vergebens um Bastian Schweinsteiger, aber auch um Riccardo Montolivo vom AC Florenz. Möglicherweise klappt es mit Alberto Aquilani vom FC Liverpool, den Juventus Turin noch nicht einmal fast geschenkt haben wollte.

Auch die Rückkehr des Brasilianers Kakà (Real Madrid) wird nicht ausgeschlossen. Juve hat ihrerseits Andrea Pirlo von Milan übernommen und dies als Transfercoup des Sommers 2011 verbucht. Weiter südlich bewegt sich nichts beim AS Rom, der sich mit seinen neuen Besitzern aus den USA in einer Phase des radikalen Neuanfangs befindet, wobei besonders radikal gespart wird.

Genau wie bei Lazio Rom, dort verfügt man jedoch nun neben Miroslav Klose mit Mauro Zarate sogar noch über einen fähigen Stürmer, der stoisch auf der Bank sitzt. Früher war das mal das Markenzeichen der italienischen Großklubs: Eine Weltklassemannschaft auf dem Platz, die anderen beiden in Reserve.

Heute kratzt man bei Inter schon das letzte Aufgebot für die erste Mannschaft zusammen, es heißt Diego Milito (Formtief) und Giampaolo Pazzini (Dauerpubertät), während die Fachpresse über die Zukunftsaussichten von Antonio Cassano spekuliert. Jawohl, Cassano.

Der calciomercato verhält sich fatalerweise wie sein größerer Bruder, der Aktienmarkt. Man wusste zwar schon lange, dass Italien auf einem Berg von Schulden und verfallenen Wachstumsperspektiven sitzt, aber erst in diesem Sommer kam der Knall. Vergebens wird da versichert, das Land sei eigentlich solide. Auch der Fußball ist keineswegs pleite; kommende Saison wird die Serie A einen geschätzten Umsatz von 1,7 Milliarden Euro erwirtschaften, nicht viel weniger als im Vorjahr.

In diesem Sommer wurden tatsächlich schon über 300 Millionen Euro in neue Spieler investiert - bekannte Größen sind jedoch nicht dabei. An den Gehältern kann es nicht liegen, die sind nämlich immer noch viel zu hoch.

Woran liegt es dann? Vermutlich an der Aura und Atmosphäre. Große Spieler wollen mit anderen großen Spielern spielen und von einem überragenden Trainer angeleitet werden. Das alles am besten in einem erstklassigen Stadion vor einem mitreißenden Publikum. Oh Conte Raimondo, hilf!

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