Italienische Nationalmannschaft:Italien macht gegen Deutschland das Abitur

Ausgerechnet Trainer-Veteran Ventura setzt in der italienischen Nationalelf plötzlich auf Nachwuchs - der Test gegen den Weltmeister kommt ihm aber deutlich zu früh.

Von Birgit Schönau, Rom

Als Deutschland am 2. Juli 2016 in Bordeaux sein erstes Pflichtspiel gegen Italien gewann, war Andrea Belotti bei einem Familienfest. Die Eltern seiner Freundin feierten Hochzeitstag - spätestens, nachdem Jonas Hector den 18. Elfmeter im EM-Viertelfinale ins Tor von Gianluigi Buffon gepflanzt hatte, war es aus mit der Feierlaune: "Eine fürchterliche Enttäuschung" bekennt Belotti. Am vergangenen Freitag sah er dann schon wieder eine starke DFB-Elf: "Das 8:0 gegen San Marino fand ich auch sehr beeindruckend. Aber Angst haben gilt nicht, nur beste Vorbereitung."

Vier Einsätze hat Belotti inzwischen für Italiens Squadra Azzurra absolviert, drei Tore hat er dabei geschossen, die letzten beiden am Samstag beim 4:0 gegen Liechtenstein. Kein schlechter Einstand für einen Spieler, der im Dezember erst 23 wird und in der Liga bereits 26 Treffer vorweisen kann, davon 20 für den FC Turin. Dort wurde Belotti von Giampiero Ventura entdeckt und gefördert, dem heutigen Nationaltrainer. Vier Spiele also - und zum fünften kommt jetzt Deutschland. Beim Test am Dienstagabend im Meazza-Stadion von Mailand wird Andrea Belotti sicher dabei sein. Er gilt bereits als unverzichtbar in einem Team, das die italienischen Medien als Banda Belotti bejubeln. Die Zwanziger-Bande. Bei den Azzurri ist nämlich der Jugendwahn ausgebrochen.

Bei der EM in Frankreich war alles noch ganz anders

Bei der EM in Frankreich war Italien noch mit der ältesten Mannschaft des Turniers aufgetreten - angeführt von einem Trainer, der mit 47 Jahren einen guten Teil seiner Karriere noch vor sich hat: Tatsächlich wechselte Antonio Conte inzwischen zum FC Chelsea. Bei der WM in Russland könnte sich 2018 das umgekehrte Bild ergeben, eine junge Mannschaft mit einem dann 70-jährigen Coach, der das Amt des Commissario Tecnico als finale Krönung einer langen Laufbahn versteht - mit vielen Verdiensten und null Trophäen.

Als Fußballer hat dieser Giampiero Ventura nie erstklassig gespielt, als Trainer schaffte er erst mit seiner 19. Station beim FC Turin den Sprung auf die große Bühne. Jetzt soll Ventura die Squadra Azzurra neu erfinden, sie für die kommenden Jahre aufstellen. Conte hatte auf Routiniers gesetzt, Ventura muss und will ohne sie auskommen; auch Italiener können nicht ewig spielen, außer vielleicht Gianluigi Buffon.

Test in San Siro

Italien - Deutschland ARD / Di. 20.45

Italien: Buffon (Juventus Turin/38 Jahre/165 Länderspiele) - Darmian (Manchester United/ 26/26), Bonucci (Juventus Turin/29/66), Astori (AC Florenz/29/12), De Sciglio (AC Mailand/ 24/30) - Parolo (Lazio Rom/31/28), Verratti (Paris St. Germain/24/19), De Rossi (AS Rom/33/109) - Candreva (Inter Mailand/29/44), Belotti (FC Turin/22/4), Immobile (Lazio Rom/26/19). - Trainer: Ventura.

DFB: Leno (Bayer Leverkusen/24/2) - Kimmich (FC Bayern/21/10), Höwedes (FC Schalke/28/42), Hummels (FC Bayern/27/54), Gerhardt (Wolfsburg/22/0) - Weigl (Borussia Dortmund/21/3), Gündogan (Manchester City/26/19) - Müller (FC Bayern/27/82), Götze (Dortmund/24/61), Gnabry (Werder Bremen/21/1) - Gomez (VfL Wolfsburg/29/69). - Trainer Löw.

Schiedsrichter: Soares Dias (Portugal).

Der Torwart, 38, stand zwischen den Pfosten, als Italien Deutschland im WM-Halbfinale 2006 und im EM-Halbfinale 2012 besiegte. Im französischen Sommer endete dann Buffons lange Siegesserie gegen die DFB-Auswahl. Am Dienstag wird er wohl nur eine Halbzeit lang dabei sein, die zweite soll dann seinem designierten Nachfolger Gianluigi Donnarumma gehören. Der Milan-Keeper ist erst 17, hat sein Debüt in der Nationalmannschaft schon hinter sich und wird von seinem berühmten Kollegen in höchsten Tönen gelobt.

Kaum bekannte Gesichter

Auch in der Abwehr werden die Deutschen außer Leonardo Bonucci auf der zentralen Position kein bekanntes Gesicht finden. Dessen Juventus-Turin-Kollegen Andrea Barzagli und Giorgio Chiellini sind verletzt. Den bewährten, aber schon recht betagten Juve-Block vor Kapitän Buffon zu ersetzen, ist überhaupt die größte Aufgabe für Ventura. Als Rechtsverteidiger in seiner Dreierabwehr könnte er Matteo Darmian, 26, von Manchester United einsetzen, links den erst 21-jährigen Alessio Romagnoli vom AC Mailand.

Von Juventus kommt Daniele Rugani, 22, den Ventura bereits beim Test gegen Frankreich ausprobiert hatte. Ein 1:3 verlorener Prestige-Test, den der Trainer ebenso wie die Begegnung mit Deutschland gern auf später verschoben hätte: "Ganz ehrlich, ich hätte zum jetzigen Zeitpunkt lieber Gegner gehabt, wo die jungen Spieler sich ausprobieren können. Gegen den Weltmeister zu debütieren, ist wie eine Abi-Prüfung für Grundschüler."

Immerhin hat Marco Verratti, der Nachfolger von Andrea Pirlo im Mittelfeld, trotz seiner 24 Jahre schon ausreichend internationale Erfahrung vorzuweisen, nicht zuletzt durch seinen Klub Paris St. Germain. Verratti, ein überaus wendiger und technisch raffinierter Spieler, dem allerdings noch Beständigkeit und Wettbewerbshärte fehlen, war bereits beim glücklosen Ausflug der Azzurri zur WM 2014 mit von der Partie, musste aber im vergangenen EM-Sommer verletzt passen.

Nun soll er ein sehr offensiv ausgerichtetes Mittelfeld mit Marco Parolo (Lazio Rom), Mattia De Sciglio (Milan) und dem torgefährlichen Antonio Candreva (Inter) dirigieren. Der Veteran Daniele De Rossi vom AS Rom könnte gegen Deutschland für etwas mehr Defensiv-Balance sorgen, doch sein Einsatz ist ungewiss; ebenso wie jener des Inter- Angreifers Eder, der beim Match gegen Liechtenstein verletzt wurde.

Revanche für das bitter verlorene EM-Viertelfinale

Wie es aussieht, wird die Banda Belotti also weitgehend ohne großväterliche Unterstützung auskommen müssen. "Wir müssen Charakter zeigen", glaubt Ventura, "aber wir sollten dieses Spiel auch nicht überbewerten. Es ist nur ein Test, davon kann nicht unsere Zukunft abhängen. Und es ist auch keine Revanche für die Europameisterschaft." Auch nicht für Ciro Immobile, den ehemals bei Borussia Dortmund nicht glücklich Gewordenen, der jetzt bei Lazio Rom im Angriff spielt, dem Ex- Verein von Miroslav Klose.

Die Deutschen haben zur Vorbereitung das Kolosseum besucht und den Papst, die Italiener haben sich im Milan-Trainingszentrum Milanello eingeschlossen. "Ich bin immer wie besessen vom nächsten Spiel", sagt Belotti. Also hat der Anführer der jungen Wilden Italiens wie besessen trainiert. Freundschaftsspiel hin oder her, zwischen Italien und Deutschland geht es immer um mehr.

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