Italienische Nationalmannschaft:Der Glanz der Azzurri verblasst

Football Soccer - Macedonia v Italy - 2018 World Cup Qualifying European Zone

Ob Gigi Buffon sich Sorgen macht? Von den im Sommer noch gepriesenen Eigenschaften der Azzurri ist beim Zittersieg gegen Mazedonien kaum etwas übrig.

(Foto: REUTERS)

Von den im Sommer noch gepriesenen Eigenschaften der italienischen Fußballer ist beim Zittersieg gegen Mazedonien kaum etwas übrig. Ausgerechnet Ciro Immobile gibt den Helden.

Von Birgit Schönau, Rom

In Skopje steht das einzige Stadion der Welt, das nach einem Feldherrn aus dem 4. Jahrhundert vor Christus benannt ist: Philipp II. war der Vater des ungleich berühmteren Alexander des Großen. Mit längst verblichenem Ruhm schmückt sich das kleine Mazedonien, und doch gelang es der Nummer 146 der Weltrangliste in der Gegenwart, den Riesen Italien das Fürchten zu lehren. Mit ihrem vorsintflutlichen Taktik-Arsenal aus Catenaccio und Manndeckung entpuppten sich die Mazedonier beim WM-Qualifikationsspiel am Sonntag als Scheinzwerge, die im Auge ihrer ängstlichen Betrachter immer größer wurden. Bis ihnen tatsächlich der Sieg drohte, eine Viertelstunde lang.

Mazedonien-Italien 2:1, von Spielminute 60 bis 75. Dann: Zwei Tore von Ciro Immobile, das letzte in der Nachspielzeit. 3:2, aufatmen, allgemeine Erleichterung.

"Wir haben alles gegeben" (Gigi Buffon). "Wir haben sehr gelitten" (Marco Verratti). "Ich fühle mich wichtig" (Ciro Immobile). Das sei dem ehemaligen Dortmunder Immobile gegönnt. Für seine ersten beiden Tore in der Nationalmannschaft hatte er zwei Jahre benötigt, jetzt brauchte er nur 16 Minuten, um Held des Abends zu werden und staatstragend in die Mikrofone zu tönen, ein Anfang sei gemacht, der Weg nach Russland aber leider noch lang. Immerhin, man steht in Gruppe G punktgleich mit Spanien an der Spitze. Kein schlechter Platz für "eine Mannschaft ohne Persönlichkeit, ohne Ideen und ohne Mut", wie La Repubblica befand.

Nun sind Italiener Dauer-Weltmeister in vernichtender Selbstkritik, doch noch im Sommer war die Squadra Azzurra ganz anders besungen worden, als clever, tollkühn und mit starkem Charakter. Damals hatten die Azzurri unter der Leitung des inzwischen zum FC Chelsea gewechselten Trainers Antonio Conte Spanien aus dem EM-Turnier geworfen. Als man sich in der vorigen Woche in der WM-Qualifikation wieder traf, erwurschtelten die Italiener ein gnädiges 1:1, mit einem Elfmeter kurz vor Schluss.

Contes Nachfolger Giampiero Ventura will beweisen, dass er mehr darstellt als eine offenkundige Verlegenheitslösung in einem Job, den prominentere Kollegen von Carlo Ancelotti bis Claudio Ranieri dankend abgelehnt hatten. Ventura ist 68, er hat eine lange und weitgehend unauffällige Trainerkarriere in der italienischen Fußballprovinz absolviert. An Contes Meriten als Spieler und Coach, an das Charisma des Vorgängers reicht er nicht heran. An Selbstbewusstsein aber mangelt es Ventura nicht.

Er will jetzt seine eigene Mannschaft schaffen, alles umkrempeln und anders machen. Die Jugend soll ran. In Frankreich hatte Italien die älteste Mannschaft des Turniers aufgeboten. In Russland würde die Squadra Azzurra wohl mit dem ältesten Nationaltrainer antreten, dafür mit einem jungen Team. "Ich soll die Jugend fördern", dröhnt Ventura: "Nun, ich denke, dass das das Einzige ist, was ich in meiner Karriere immer mit Erfolg betrieben habe."

Ventura kennt kein Pardon für Aufmüpfige

Gegen Mazedonien hatte er das Durchschnittsalter um glatte fünf Jahre gesenkt, von 31 auf 26. Zwei Weltmeister von 2006 waren noch dabei - Torwart Buffon, der sich gegen Spanien einen folgenreichen Patzer geleistet hatte, und Verteidiger Andrea Barzagli. Weiter vorn aber: jede Menge junges Gemüse. Im Mittelfeld agierte der 23 Jahre alte Verratti von Paris Saint- Germain als Zauberlehrling von Andrea Pirlo, der seine Besen allerdings noch nicht ganz unter Kontrolle hatte, was die pfiffigen Mazedonier weidlich ausnutzten. Dabei verfügt der nur 1,65 Meter große Verratti, nach dem der FC Bayern angeblich die Fühler ausstreckt, unbestreitbar über das größte Talent in der ansonsten verstörend mittelmäßigen Squadra.

Dass Immobile, dem in Dortmund und Sevilla keiner eine Träne nachweint, als Angestellter von Lazio Rom den Stammplatz so gut wie sicher hat, spricht Bände. Der Nationaltrainer hatte Immobile beim FC Turin gefördert. Bei Venturas letztem Arbeitgeber in der Liga kickte Andrea Belotti, der Schütze des Führungstreffers gegen Mazedonien. Belotti ist 22, Immobile 26, beide sind Stürmer der alten Schule. Wenig Witz, Fantasie, Raffinesse. Dass sie irgendwann noch richtig abheben, ist kaum zu befürchten, aber immerhin verfügt das Duo über genügend Instinkt dafür, im richtigen Moment richtig zu stehen. Und folgsam sind sie auch.

Mit aufmüpfigen Geistern kennt der gestrenge Signore Ventura kein Pardon. Er weist ihnen die Tür, wie Graziano Pellè. Der Held der EM und mit einem 15-Millionen-Euro-Vertrag in China derzeit bestverdienende italienische Profi hatte Ventura bei seiner Auswechslung im Spiel gegen Spanien ein paar handelsübliche Beleidigungen an den Kopf geworfen. Und flog prompt aus dem Kader, verabschiedet mit einem harsch formulierten Verbands- Kommuniqué, in dem viel von Werten und dem Respekt vor denselben die Rede war.

Dieselben Werte, diesmal in trauter Gemeinsamkeit vertreten, waren kurz vorher bereits in einer anderen Verlautbarung des Verbandes beschworen worden. Darin wurde das Wett-Unternehmen Intralot als neuer Sponsor der Nationalmannschaft bekanntgegeben. Man verspreche sich davon die Unterstützung von Talenten, "und den gemeinsamen Kampf gegen Formen der Illegalität". Ein Wettriese als Mäzen für Pirlos Erben - auch so verblasst der Glanz der Azzurri.

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