Fußball-EM:Italien schuftet für die Party ohne Pirlo

EURO 2016 - Italy pitch visit

Ciro Immobile, Giianluigi Buffon und Lorenzo Insigne (v.l.n.r.): Gut drauf in Frankreich

(Foto: dpa)

Talente im italienischen Team sind rar - mit Fleiß und Kampf soll es trotzdem eine gute EM werden. Welches Erbe hinterlässt Nationaltrainer Conte?

Von Birgit Schönau

No Pirlo, no Party. Andrea Pirlo ist in seiner neuen Heimat New York geblieben, Mario Balotelli in Mailand. Und Italiens EM-Kader - die "Nationalmannschaft mit dem geringsten Aufgebot an Talenten seit Menschengedenken" (Corriere della Sera) paukt in geradezu klösterlicher Abgeschiedenheit Taktik und Technik. Beim Auftaktspiel gegen Belgien an diesem Montag soll die Squadra Azzurra beweisen, dass Talent nicht alles ist - und Disziplin sowieso viel wichtiger.

Italien spielt jenen Fleiß- und Kampffußball, der Nationaltrainer Antonio Conte mit Juventus Turin zuvor drei Meistertitel in drei Jahren gesichert hat. Mit dem Unterschied, dass damals Pirlo mit von der Partie war. Jetzt hat Conte den Mittelfeld-Maestro nicht mehr gewollt. Zu alt (37) - zu langsam, zu berechenbar. Für den ebenfalls ausgeladenen Stürmer Balotelli gilt das Gegenteil: zu sehr Kindskopf für seine 25 Jahre, zu nervös, zu unberechenbar. Sicher, der Angreifer hatte Deutschland im Halbfinale (2:1) zwei Tore verpasst. Aber das war 2012.

Heute setzt Conte auf den Italo-Brasilianer Eder von Inter Mailand, auf Graziano Pellé vom englischen Erstligisten FC Southampton und auf Lorenzo Insigne vom SSC Neapel. Gemeinsam kommt das Angriffstrio auf 31 Einsätze bei den Azzurri, mit der dürftigen Quote von neun Treffern. Italiens größtes Problem besteht im mangelnden Ertrag der Offensive. Deshalb dürften Ciro Immobile (FC Turin) und Simone Zaza (Juventus) trotz der noch düsteren Statistik von je einem Tor in zusammen 22 Einsätzen ihre Chance bekommen. Conte wird nichts unversucht lassen, bis Tore fallen. Er will in Frankreich keine schlechte Figur machen, so viel steht fest.

Kaum Gelegenheit zum Flippern

Noch nie ist die Squadra Azzurra mit einem Coach in ein Turnier gestartet, dessen Abschied bereits ausgemachte Sache ist. Nach der EM wird der 46-jährige Commissario Tecnico Conte beim FC Chelsea anheuern, unabhängig von dem Resultat in Frankreich. Er hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er den Job als Nationaltrainer vor allem als Zumutung empfunden hat - ungeachtet seines Rekordeinkommens von 4,5 Millionen Euro jährlich.

Nachfolger Giampiero Ventura wird nur ein Drittel verdienen. Ventura ist 68, er hat, anders als Conte, nie selbst für die Azzurri oder auch nur für einen großen Klub gespielt und weder als Spieler noch als Trainer irgend eine Trophäe gewonnen. Gleich nach der EM werden die Zeichen auf Gemütlichkeit stehen. Noch aber ist der ehrgeizige Conte dran. Der will noch schnell beweisen, dass ein guter Trainer mit einer durchschnittlichen Elf Großes leisten kann.

"Ich habe noch nie so hart gearbeitet", hat sein Spieler Daniele De Rossi verkündet. In ihrem Trainingslager in Montpellier haben die Azzurri vor lauter Taktikbüffelei und Körperstählen kaum Zeit, sich den von Conte empfohlenen Freizeitbeschäftigungen Flippern und Tischtennis zu widmen. Die Frauen müssen draußen bleiben, Koch und Priester haben die Azzurri im Gefolge. Mit De Rossis Einsatz für die Azzurri hatte kaum jemand gerechnet, am wenigsten der Spieler selbst. Doch dann verletzten sich Claudio Marchisio (Juventus) und Marco Verratti (Paris St. Germain). Als am Ende auch noch Riccardo Montolivo (AC Mailand) ausfiel, musste Conte sein Mittelfeld neu erfinden.

Je weniger erwartet wird, desto besser spielen die Azzurri

Jetzt kreist es um De Rossi, einen der verbliebenen Weltmeister von 2006, assistiert von seinen AS-Rom-Vereinskollegen Stephan El Shaarawy und Alessandro Florenzi sowie von Antonio Candreva (Lazio Rom). Die Trikotnummer 10 bekam der Italo-Brasilianer Thiago Motta (PSG) verpasst. Dessen bislang 25 Auftritte für die Heimat seiner Großväter nährten vor allem den Verdacht, dass ihn die Seleção mit gutem Grund verschmäht hatte. Conte pflegt solche Sticheleien nur achselzuckend zu quittieren: Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Dem improvisierten römischen Mittelfeld schließt sich die erprobte Juventus-Meisterabwehr an: Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci, Giorgio Chiellini - und im Tor Gianluigi Buffon, 38. Der Kapitän ist der Veteran der Truppe, ein absolut treuer Vasall des Kommandanten Conte und mit seinen 157 Einsätzen im blauen Trikot Rekordhalter und Garant für Beständigkeit. Gemeinsam mit De Rossi und Barzagli hatte Buffon vor zehn Jahren in Berlin im WM-Finale über die Franzosen triumphiert - bei den nachfolgenden Turnierauftritten war Italien vor allem grandios gescheitert.

No Demut, no Party

Und während Buffon mit Juventus den Liga-Rekord von 973 Minuten ohne Gegentor aufstellte, musste er sich im Frühjahr innerhalb weniger Tage in München gleich acht Mal geschlagen geben: zunächst bei Juves 2:4 im Achtelfinale der Champions League gegen die Bayern, danach beim 1:4 im Freundschaftsspiel von Italien gegen Deutschland.

Dafür, dass es diesmal bei der EM anders läuft, arbeitet Conte Tag und Nacht. Er weiß, dass die Außenseiterposition für Italien stets ein gutes Omen bedeutet hat: Je weniger die Nation erwartet, desto besser spielen die Azzurri. So war es immer, und umgekehrt natürlich auch.

Also üben sich Trainer und Spieler in Demut. Bis auf den Neapolitaner Lorenzo Insigne, der etwas vorlaut bekannt gab: "In der Abwehr stehen die Belgier nicht besonders gut. Also werden wir sie genau da treffen." Kaum hatte Insigne das gesagt, ließ Trainer Conte durchblicken, dass der Spieler gegen Belgien nicht in der Startelf steht. No Demut, no Party.

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