Italien:Verbeult nach Frankreich

Italy's national soccer team training

Es ist nicht mehr der EM-Zweite, der hier in Florenz für die Europameisterschaft trainiert. Es ist eine italienische Mannschaft, die nach der desaströsen WM noch immer nicht zu alter Stärke zurückgekehrt ist.

(Foto: Maurizio Degl'innocenti/dpa)

"Große Zukunft, komplizierte Gegenwart": Nicht nur Torwart-Legende Buffon fürchtet, dass die EM zu früh kommt für die italienische Mannschaft.

Von Filippo Cataldo, München/Rom

Eigentlich genügen diese zwei Sätze, vorgetragen von Giorgio Chiellini, 31, vor der EM, um zu wissen, was von den Azzurri zu erwarten ist. "Unser Fokus muss auf der Stabilität liegen, wir dürfen nicht viel zulassen. Wir sollten unsere Spiele 1:0 oder 2:0 gewinnen, nicht 4:3", sagte Chiellini, dieser auf dem Feld immer etwas ungelenk wirkende, aber effektive Strafraumverteidiger vom italienischen Meister Juventus. Man hat ja einen Ruf zu verteidigen.

Die zarten Experimente, den Azzurri einen etwas eleganteren, offensiveren Spielstil einzubläuen, sind seit der Amtsübernahme von Trainer Antonio Conte nach der desaströsen WM in Brasilien vorbei. Conte, der nach dem Turnier in Frankreich den FC Chelsea übernehmen wird, kann gar nicht anders als defensiv. Er gehört, ähnlich wie Atlético Madrids Dompteur Diego Simeone, der aussterbenden Spezies der Blut- und Tränen-Trainer an. Sein überaus katholisches Credo: Siege müssen erlitten werden. Was oft auch fürs Zuschauen gilt, dies aber nur am Rande.

Balotelli im Nachtclub, Pirlo in New York

Wahrscheinlich bleibt den Azzurri, die - kaum noch zu glauben - als EM-Finalist von 2012 nach Frankreich reisen, aber auch nichts anderes übrig, als sich auf die Ur-Tugenden des Calcio zu besinnen. Der Mannschaft fehlen diesmal schlicht die Feingeister und Hochbegabten am Ball: Die potentiellen Spielmacher Claudio Marchisio, 30, und Marco Verratti, 23, verpassen das Turnier verletzt. Stürmer Mario Balotelli, 25, darf in den nächsten Wochen seinen Freunden auf der heimischen Couch oder in irgendeinem Nachtclub vorschwärmen, wie es war, 2012 die Deutschen im Alleingang aus dem Turnier gekegelt zu haben und zum Internet-Phänomen zu werden. Altmeister Andrea Pirlo, 37, scheint in New York eher die kulturellen Angebote der Stadt zu genießen, als das Publikum mit seinen Passgemälden zu verzücken. Statt Pirlo hat Conte im letzten Moment Daniele de Rossi reaktiviert, ein Raubein mit tätowierten Teletubbies auf der Wade, der auch mit 32 noch "Capitan Futuro" genannt wird beim AS Rom, weil der Stadtheilige Francesco Totti sich einfach nicht zur Ruhe setzen kann oder will.

De Rossi wird so einer von drei verbliebenen Weltmeister von 2006 im Kader sein. Die anderen sind der frühere Wolfsburger Andrea Barzagli, 35, der im Alter tatsächlich noch einmal besser wurde - und, natürlich, Torwart Gianluigi Buffon, der seinem Legendenstatus gemäß längst seinen Nachnamen verloren hat und sich auch nach der EM nicht zur Ruhe setzen wird. Das große Ziel von Gigi nazionale: die WM in Russland 2018. Bei der wird er 40 sein, womöglich werden die Chancen auf den Triumph dann wieder etwas größer sein als jetzt.

Buffon, dem in seiner Titelsammlung sowohl der EM-Titel wie die Champions League fehlen, hat sich in den letzten Jahren zu einem Berufsoptimisten entwickelt, gerade in Bezug auf seine Nationalmannschaft. Doch selbst er sagte der SZ: "Ich sehe für Italien eine große Zukunft, viele junge, sehr gute Spieler sind schon in den Startlöchern, ihnen fehlt noch die Erfahrung. Die Gegenwart aber ist etwas kompliziert, die Nationalmannschaft und der italienische Fußball im Allgemeinen erleben gerade keinen leichten Moment. Wir reisen ein wenig verbeult nach Frankreich."

Spätberufene und eingebürgerte Brasilianer

Das liegt zum einen an den Verletzungen der Leistungsträger, aber auch an der Vielzahl der international weitgehend unbekannten Spieler, die Conte aus Mangel an Alternativen nominieren musste: Spätberufene wie Mittelfeldspieler Marco Parolo, 31, von Lazio Rom. Oder mehr oder weniger eilig eingebürgerte Brasilianer wie die Mittelfeldspieler Jorginho, 24, Thiago Motta, 33, und Stürmer Éder, 29, der in seinem Geburtsland wohl nicht einmal träumen dürfte von einer Nominierung und bei Inter Mailand eine bestenfalls mediokre Saison hinter sich gebracht hat.

Die Azzurri nun deswegen abzuschreiben, wäre aber ein Fehler, warnte Buffon. "Italien war immer in der Lage, gerade in schwierigen Situationen richtig zu reagieren, den Widrigkeiten zu trotzen und große Dinge zu erreichen. Uns mangelt es nicht an Vertrauen, wir haben einen großen Trainer und außerdem den Stolz und die Lust, eine großartige Europameisterschaft zu spielen", sagte er. Dazu kommt: Abgesehen von der deutschen Nationalmannschaft passt der schöne alte Begriff "Turniermannschaft" zu keiner Auswahl besser als zur italienischen. Daran erinnerte auch Chiellini: "Wir sind eine Mannschaft, die von Spiel zu Spiel wächst. In den Gruppenphasen haben wir uns immer schwer getan. Aber danach können wir alle schlagen. So wird es auch diesmal sein", sagte er.

Mag sein. Aber bei den beiden vergangenen Weltmeisterschaften klappte das nicht so gut - Italien schied schon in der Vorrunde aus.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: