Krise bei Juventus Turin:Pleiten, Pech und Panikkäufe

IPP20150830 Football soccer Serie A AS Rom Juventus Turin la delusione di Pogba e Sturaro H

Kronzeugen des Fehlstarts in die Saison: Paul Pogba und Stefano Sturaro, beim 1:2 von Juventus Turin am Sonntag beim AS Rom.

(Foto: imago/HochZwei)
  • Für Juventus Turin läuft es in der italienischen Liga nicht gut - die Investitionen des Serienmeisters gehen nicht auf.
  • Dabei hat der Verein viele neue Spieler verpflichtet.

Von Birgit Schönau, Rom

Aber natürlich gab es für Juventus schon einmal einen schlechteren Saisonstart. Es ist allerdings schon ein Weilchen her: exakt 103 Jahre. Seit anno domini 1912 hat die alte Signora aus Turin zu Beginn eines Fußballjahres nicht zwei Spiele hintereinander verloren, jetzt, nach einer Saison mit dem vierten Meistertitel in Serie, dem Pokalsieg und dem Einzug ins Champions-League-Finale, ist es soweit. Null Punkte, null Begeisterung, und was noch schwerer wiegt: null Zuversicht.

Dabei hat Juve mit 123,5 Millionen Euro so viel Geld auf dem Transfermarkt gelassen wie lange nicht. Aber wie sagte Daniele De Rossi vom AS Rom am Sonntag nach dem 2:1-Heimsieg seiner Mannschaft über einen Erzrivalen, der sich wie ein Haufen verschüchterter Provinzkicker kaum aus der eigenen Hälfte getraut hatte: "Um einen neuen Pirlo zu finden, müssen sie lange suchen." Um einen Carlos Tevez, einen Arturo Vidal zu ersetzen, offensichtlich auch.

Dabei gilt Juventus-Geschäftsführer Giuseppe Marotta, 58, als neues Transfer-Genie der Serie A, kompetent und verhandlungsstark wie sein Vorgänger Luciano Moggi, nur nicht so korrupt. Wegen Moggis Machenschaften musste Juventus 2006 zwei Meistertitel abgeben und in die zweite Liga absteigen, mit Marotta konnte der Turiner Klub endlich wieder an die alten Erfolge anknüpfen. Als rechte Hand von Präsident Andrea Agnelli holte der Manager Pirlo, Vidal und Tevez nach Turin - also genau jenes Trio, das Juventus nun verlassen hat. Pirlo suchte, befeuert durch seine neue Lebensgefährtin,

Luftveränderung beim FC New York. Tevez wollte partout zurück zu seinem Heimatklub Boca Juniors nach Buenos Aires. Und der "Krieger" Vidal, für den der FC Bayern großzügige 37 Millionen Euro berappte, hatte dem Vernehmen nach seinen Trainer Massimiliano Allegri und die "Senatoren" im Team zuletzt ein wenig genervt. Als Dreingabe (für gutes Geld) bekamen die Bayern auch noch ein Jungtalent, den Franzosen Kingsley Coman, der um Freigabe in Richtung Bundesliga gebettelt hatte.

Marottas Entdeckung Paul Pogba immerhin blieb, trotz Schwindel erregender Offerten aus England. Zur Belohnung verlieh ihm Allegri die Trikotnummer 10. Dass das nicht reicht, um aus dem hoch begabten, französischen Exzentriker einen Offensivregisseur zu machen, war bei den Niederlagen gegen Udinese und Roma nicht zu übersehen.

Khedira, Götze, Draxler? Nunja.

Hat Marotta sich verzockt? Als Sami Khedira ablösefrei von Real Madrid kam, war die Freude in Turin zunächst groß. Die Tifosi träumten von einem Weltmeister-Terzett mit Mario Götze und Julian Draxler, die Deutschen sollten Juve endgültig an die europäische Spitze befördern. Doch Khedira verletzte sich bei einem Testspiel und wird wohl erst im Oktober wieder einsatzfähig sein. Götze wollte nichts davon wissen, an die Südseite der Alpen zu ziehen - und Draxler wechselte nach wochenlangem Verhandlungspoker nach Wolfsburg, wo der VW-Klub ein deutlich höheres Salär verheißt als die italienische Autobauer-Konkurrenz in Turin.

Vielleicht ist das die bitterste Erfahrung für Juve im Transfer-Sommer: Zwölf Millionen Fans, eine schillernde, mit Europas Hochadel versippte Besitzerfamilie und die glorreiche Klubgeschichte reichen nicht aus, um Topspieler und deren Agenten zu überzeugen. Selbst die Finalteilnahme bedeutet noch keine Garantie, endlich wieder zu den Granden in der Champions League zu gehören.

Große Namen sagen "no grazie"

Während die großen Namen also "no grazie" sagten, kamen der einst beim FC Bayern stürmende Kroate Mario Mandzukic (19 Millionen), der Brasilianer Paulo Dybala (40 Millionen) und der Kolumbianer Juan Cuadrado (Leihgabe FC Chelsea) für den Angriff und sehr knapp vor Toresschluss der Franzose Mario Lemina (Leihgabe Olympique Marseille) und der Brasilianer Anderson Hernanes (elf Millionen) für das Mittelfeld.

Besonders Hernanes ist offensichtlich ein veritabler Panikkauf, ein mediokrer Spieler, der zuletzt fünf glanzlose Jahre bei Lazio Rom und Inter Mailand zugebracht hatte. Trainer Allegri fällt jetzt die schwierige Aufgabe zu, mit den Zugängen eine Mannschaft zu formen, die nicht nur Juventus heißt, sondern auch so auftritt - selbstbewusst, aggressiv, siegessicher. An den ersten beiden Spieltagen hat Italien bislang nur einen Abklatsch der alten Juve gesehen. Die echte Juventus trägt neuerdings den Künstlernamen AS Roma.

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Zentrum der Jubeltraube: Edin Dzeko, Zugang aus Manchester, traf erstmals für den AS Rom.

(Foto: Filippo Monteforte/AFP)

Edin Dzeko in der Rolle von Carlos Tevez. Miralem Pjanic als Andrea Pirlo - bei seinem Freistoßtor zum 1:0 muss es den Juventini kalt den Rücken heruntergelaufen sein, so sehr ähnelte es den kühl berechneten Treffern des Maestro. Und Lucas Digne als omnipräsenter Arturo Vidal: Die Roma hat die nicht unbeträchtliche Summe von 80 Millionen Euro ausgegeben, trotz Einnahmen von 72 Millionen aber auf keinen ihrer Protagonisten verzichtet.

Und so sieht man ein junges Team, das schwungvollen Offensivfußball zelebriert, während der fast 39-jährige Anteilseigner und ewige Kapitän Francesco Totti geduldig auf der Bank seine Galaeinsätze erwartet. Vielleicht findet sich für die neue Roma-Show ja tatsächlich auch noch ein Trikotsponsor.

Insgesamt hat die Serie A gut 600 Millionen Euro auf dem Transfermarkt gelassen, mehr als die spanische Liga und die Bundesliga. Seit fünf Jahren wurden in Italien nicht mehr solche Summen ausgegeben, wobei der Löwenanteil von knapp 400 Millionen von nur vier Klubs kam. Hinter den Champions-League-Teilnehmern Juventus (Gruppengegner von Borussia Mönchengladbach) und Roma (Bayer Leverkusen) haben die Mailänder mächtig investiert.

Inter und Milan haben den Anschluss an die europäischen Wettbewerbe verpasst, damit das nicht mehr verkommt, legten sie jeweils rund 100 Millionen Euro auf den Tisch. 38 Millionen zahlte Inter allein für den französischen Mittelfeldspieler Geoffrey Kondogbia, eine Summe, die Trainer Roberto Mancini "total übertrieben" findet. Für nicht halb so viel Geld hat der Montenegriner Stevan Jovetic schon drei Tore abgeliefert, weshalb Inter mit voller Punktzahl an der Tabellenspitze steht. Ganz oben jedoch thront eine Mannschaft, die für 4,45 Millionen Euro Spesen schon sieben Tore gesammelt hat: der Vorortklub Chievo aus Verona.

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