Italien:Im Namen der Väter

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Im ersten Jahr bei Juventus Turin gleich Meister: Wenn Sami Khedira für Juve auflief, blieb sein Klub ohne Niederlage. (Foto: Marco Bertorello/AFP)

Juventus Turin holt sich in Italien den fünften Meistertitel in Serie. In der kommenden Saison soll wieder einmal die Champions-League-Trophäe folgen.

Von Birgit Schönau, Rom

Sicher, auf dem Platz feiert es sich besser als in der Kabine des Juventus-Trainingszentrums in Vinovo, einem Nest an der südlichen Peripherie von Turin. Aber nach dem 2:1-Sieg am Sonntag beim AC Florenz musste Juve noch das Ergebnis der Partie AS Rom gegen den SSC Neapel abwarten, um schon am Montag Meister zu werden. Verfolger Neapel verlor 0:1, damit hat Juventus den Titel drei Spieltage vor Saisonende sicher. In Vinovo, wo Spieler und Trainer vor den Fernsehern saßen, wurde die fünfte Meisterschaft in Serie mit Schampus begossen. Der Franzose Paul Pogba zertrampelte einen Tisch, der sonst so ernste Leonardo Bonucci strahlte übers ganze Gesicht, was noch viel gefährlicher aussah. Und Präsident Andrea Agnelli verkündete im Internet: "Alle haben auf unsere Beerdigung gewartet. Stattdessen haben wir einfach Geschichte geschrieben."

Das hört sich so trotzig an, wie es gemeint ist. Als der heute 40-Jährige vor sechs Jahren Präsident des seit 1923 familieneigenen Klubs wurde, da belächelte die Konkurrenz den "zornigen Jungen", wie ihn der damalige Inter-Mailand-Patron Massimo Moratti spöttisch nannte. Der Anfang war tatsächlich schwierig, doch dann zog Agnelli junior allen davon. Fünf Meister-Titel hintereinander auf dem Platz zu gewinnen, das hatte vor ihm nur sein Großvater Edoardo Agnelli in den Jahren 1931 bis 1935 geschafft. Dem FC Turin und Inter Mailand, die ebenfalls die Fünfer-Serie in den Annalen haben, wurde vom Verband je ein Titel zuerkannt. Andrea Agnelli hat es also allen gezeigt. Den alten Männern in den Vorstandssesseln der Liga und der eigenen Familie, was für einen Agnelli ja immer die größte Herausforderung ist. Der fast gleichaltrige Cousin John Elkann leitet den Fiat-Chrysler-Konzern, steht also an der Spitze eines Weltunternehmens. Aber auch Juve wurde mit Andrea Agnelli wieder zur Weltmarke. Als einziger Klub Italiens gehört Juve zu den ersten Zehn in Europa.

Dabei hatte am Anfang der Saison nichts darauf hingedeutet, dass es im Frühling etwas zu feiern geben würde. Juventus erlebte den schlechtesten Saisonstart seit 103 Jahren und stand nach zehn Spieltagen mit zwölf Punkten auf Platz zwölf. Damals unkten alle, die Mannschaft habe den Verlust von Andrea Pirlo, Carlos Tevez und Arturo Vidal nicht verkraftet, den Abschied jenes glorreichen Trios, mit dem Juventus im Vorjahr vorbei an Borussia Dortmund und Real Madrid ins Finale der Champions League eingezogen war (das dann gegen den FC Barcelona verloren ging). Trainer Massimiliano Allegri wurde von der Kritik nach zehn Spieltagen bereits abgeschrieben - es zeige sich jetzt, hieß es, dass er im Grunde nur die Früchte der Arbeit von Vorgänger Antonio Conte geerntet habe.

Torwart Buffon schaffte einen persönlichen Rekord: Er blieb 973 Minuten ohne Gegentor

Schwer zu sagen, wer oder was Juventus aus der Depression herausgeholt hat. Ob es die temperamentvolle Ruck-Rede des 38- jährigen Kapitäns und Torhüters Gianluigi Buffon war, der nach einer Niederlage gegen den Provinzverein Sassuolo die Mannschaft um sich versammelte und brüllte: "Reißt euch endlich zusammen! Mit fast 40 will ich nicht so eine Scheiß-Figur abgeben." Ein wütender Buffon kann furchterregend sein. Aber womöglich wog die Seelenruhe von Trainer Allegri schwerer, der auch in der größten Krise gelassen blieb und geduldig an der Integration der Neuen arbeitete. Allen voran glänzte der Argentinier Paulo Dybala, den Juve für knapp 40 Millionen Euro von US Palermo holte. Und der mit 16 Toren seinen Teil dazu beitrug, dass das Fiasko mit Sassuolo das letzte blieb. In den folgenden 25 Spielen siegte Juventus 24 mal, nur ein Remis gegen Bologna stört die einzigartige Serie.

Buffon und Allegri sind zweifellos die überragenden Architekten des Erfolgs. Der Torhüter errang in dieser Saison auch noch einen persönlichen Rekord: 973 Minuten lang die Null zu halten, das hat außer ihm niemand in der Serie A geschafft. In den vergangenen 15 Spielen kassierte Buffon insgesamt nur drei Tore, und dass er gegen Florenz auch noch einen Elfmeter parierte, sicherte Juve den vorzeitigen Titel. Doch neben dem monumentalen Kapitän hat Juve weitere herausragende Spieler. Paul Pogba etwa, der von der ausländischen Konkurrenz heiß umworben wird und in dieser Saison endlich zeigte, welcher Genius in ihm steckt. Oder Alvaro Morata, der in der Champions League gegen den FC Bayern seinen großen Auftritt hatte. Oder Sami Khedira, der sich in Rekordzeit und trotz seiner Verletzungsausfälle ins Team integrierte, das mit ihm kein einziges Liga-Spiel verlor. Diese Spieler sollen bleiben, Juve will auf ihre Qualität nicht verzichten. Allegris größte Leistung ist es aber, auch Akteure wie Mario Mandzukic, Juan Cuadrado und Alex Sandro aufpoliert zu haben. Sie bilden mit den Abwehrsäulen Bonucci, Andrea Barzagli und Giorgio Chiellini das Rückgrat des Kollektivs.

Juve wird in Italien auch künftig nur schwer zu besiegen sein - aus Mangel an Konkurrenz

Auch Allegri wird in Turin bleiben, und es ist nicht schwer vorauszusagen, dass sein Team in Italien auch in den nächsten Jahren kaum zu schlagen sein wird. Aus Mangel an Konkurrenz. Früher gab es die vor allem im benachbarten Mailand - aber Inter und der AC Mailand taumeln in die Bedeutungslosigkeit. Sie sind zu Spekulationsobjekten verkommen und stehen vor dem Ausverkauf an chinesische Investoren, die von Fußball nichts verstehen und noch weniger von Italien.

Bleibt Europa. Bleibt die Champions League und der seit nunmehr 20 Jahren vergeblich ersehnte Titel. In dieser Saison ist Juventus im Achtelfinale bekanntlich nur haarscharf am FC Bayern gescheitert. Jetzt will Andrea Agnelli auch jene Trophäe holen, die seine Vorväter ihm noch voraus haben.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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